Logistikexperte: „Keine europäische Stadt hat ein Verkehrsproblem wegen Paketzustellern“

Written by on 30/11/2020 in brand eins with 0 Comments

Der niederländische Logistikexperte Walther Ploos van Amstel beschäftigt sich seit Jahrzehnten mit dem Warenverkehr in unseren Städten. Ein Gespräch über Alternativen zum Lieferwagen und zu viel Luft in den Paketen.

Herr Ploos van Amstel, in den Städten sieht man ständig Lieferfahrzeuge von DHL, UPS, DPD oder Hermes. Wären alle Verkehrsprobleme gelöst, wenn wir einfach weniger im Internet bestellen würden?

Walther Ploos van Amstel (lacht): Leider nicht. Liefer- und Lastkraftwagen sind tatsächlich für sehr viel Verkehr in unseren Städten verantwortlich. Wir schaffen es vielerorts nach und nach, die Zahl der Pkw zu reduzieren, aber mit den Lkw klappt es leider nicht. Aber keine Sorge: Die Schuhe, die Sie im Internet bestellt haben, sind nicht das Problem.

Warum nicht?

Nehmen wir meine Heimatstadt Amsterdam: Logistik ist dort für jedes fünfte Fahrzeug verantwortlich, das in der Stadt unterwegs ist. In anderen Städten sind die Zahlen ähnlich. 33 Prozent dieser Logistikfahrzeuge liefern jedoch keine Pakete aus, sondern steuern Baustellen an, bringen und holen Material, Gerüste oder Maschinen. 25 Prozent der Fahrzeuge beliefern Restaurants, 20 Prozent den Handel, zum Beispiel mit Lebensmitteln. Nur 7 Prozent des gesamten Logistikverkehrs entstehen durch Paketzustellung. Und zwei Drittel dieser Lieferungen gehen an Geschäftskunden. Die Bestellungen von Privatleuten sind lediglich für ein Drittel verantwortlich.

Wir ziehen also die falschen Schlüsse, wenn wir uns über zu viel Lieferverkehr ärgern?

Genau. Letztlich machen Transporter, die Ihnen beispielsweise Ihre Schuhe bringen, weniger als ein Prozent aller Fahrzeuge aus. Man sieht diese zwar dauernd am Straßenrand stehen, weshalb wir das Gefühl haben, unsere Städte seien voll davon. Aber keine europäische Stadt hat ein Verkehrsproblem wegen Paketzustellern. Zwar bestellen wir jedes Jahr ungefähr 25 Prozent mehr im Internet als im Vorjahr, aber die Zahl der Paketfahrzeuge nimmt jährlich nur um etwa drei bis fünf Prozent zu.

Wie kommt das?

Zum einen wird die Zustellung effizienter organisiert. Zum anderen benötigt man keine weiteren Paketfahrzeuge, wenn die, die bislang fahren, nicht voll beladen sind. Und das ist der Fall. Denn ein einzelner Fahrer kann in der Stadt pro Schicht nicht mehr als etwa 200 bis 240 Pakete zustellen. Das entspricht ungefähr zwei Kubikmetern an Päckchen, damit sind die meisten Lieferwagen nicht ausgelastet. Manche Firmen gehen deshalb inzwischen dazu über, ein Fahrzeug mit mehreren Zustellern zu besetzen.

„Wenn man nun noch die Luft aus den Paketen lassen würde, könnte man den Transport noch effizienter.“

So schickt in London eine Firma mittlerweile einen großen, möglichst gut gefüllten Lkw in die Stadt – und vier Mitarbeiter verteilen dann dessen Ladung. Wenn man nun noch die Luft aus den Paketen lassen würde, könnte man den Transport noch effizienter und mit kleineren Fahrzeugen organisieren – mit Lastenfahrrädern, E-Rollern oder kleinen Elektroautos. Man müsste die Händler dazu bewegen, nicht jedes kleine Teil in einer riesigen Box zu verschicken.

Stichwort Effizienz: In den meisten Städten bringt der Postbote einmal am Tag die komplette Briefpost. Wäre es nicht sinnvoller, wenn es bei den Paketen genauso wäre – also ein einziger Dienstleister alle Pakete brächte? Dann würden nicht länger mehrere Zusteller von unterschiedlichen Lieferdiensten im selben Wohnblock jeweils ein oder zwei Päckchen zustellen.

Das stimmt. Was aber viele nicht wissen: Von den 2,50 bis drei Euro Transportkosten fließen nur 80 bis 100 Cent in die berühmte letzte Meile. Der Rest geht in die Lagerhäuser, in die Sortierung und in den Transport bis vor die Stadt. Wenn die Firmen also bei der Zustellung kooperieren würden, könnten sie gar nicht so wahnsinnig viel Geld sparen.

Wie ließe sich das ändern?

Wenn man es wie London viel teurer macht, mit einem Lieferwagen in die Stadt zu fahren, wird es für die Unternehmen rentabler, sich zusammenzutun. Eine ähnliche Chance bieten Zeitfenster: In Amsterdam dürfen Geschäfte in Einkaufsstraßen nur zwischen 9 und 11 Uhr vormittags beliefert werden. Das hat zu ersten Kooperationen der verschiedenen Zusteller geführt. Langfristig wird es international aber nur noch ein paar große Player wie Amazon und DHL geben. Doch auf der lokalen Ebene, auf der wirklich letzten Meile, werden viele kleine Anbieter überleben oder neu dazukommen.

Wird es den klassischen Paketfahrer irgendwann vielleicht gar nicht mehr geben?

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Interview: Christoph Koch
Foto: Maarten van den Heuvel / Unsplash

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About the Author

About the Author: Christoph Koch ist Journalist (brand eins, GEO, NEON, Wired, GQ, SZ- und ZEIT-Magazin, Süddeutsche, etc.), Autor ("Ich bin dann mal offline" & "Digitale Balance" & "Was, wäre wenn ...?") sowie Moderator und Vortragsredner. Auf Twitter als @christophkoch unterwegs, bei Mastodon @christophkoch@masto.ai .

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