Kontroll-KI Appzen: Harte Zeiten für Spesenritter

Written by on 08/06/2020 in brand eins with 0 Comments

Die kalifornische Firma AppZen setzt künstliche Intelligenz ein, um Unternehmen bei der Kontrolle von Spesenabrechnungen zu helfen. Manchmal kommt dabei Interessantes ans Licht.

Die menschliche Kreativität kennt bekanntlich keine Grenzen – auch nicht bei Reisekostenabrechnungen: Ausflüge in den Stripclub werden als Restaurantbesuche getarnt, Wodkaflaschen landen auf der Rechnung für den Arbeits-Lunch. Und dann gibt es noch den Starbucks-Trick, eine der Lieblingsgeschichten von AppZen-Mitgründer und CEO Anant Kale: „Eine Angestellte traf ihre geschäftlichen Kontakte regelmäßig in einem Starbucks-Café und reichte die Bewirtung stets ordnungsgemäß bei ihrer Firma ein“, erzählt Kale. „Dabei lud sie aber auch jedes Mal ihre private Starbucks-Guthabenkarte um 10 oder 20 Dollar auf.“

Laut Kale werden in Unternehmen nur 5 bis 20 Prozent aller Spesenabrechnungen wirklich geprüft. Das meiste werde durchgewunken, solange es einigermaßen plausibel erscheint. Dank künstlicher Intelligenz (KI) soll sich das ändern: Die Software der 2012 gegründeten Firma AppZen aus dem kalifornischen San José, die in existierende Systeme integriert wird, analysiert Spesenabrechnungen innerhalb weniger Minuten. Wird eine Abrechnung eingereicht und bestätigt, stuft die KI nach kurzer Analyse ihr Fehlerrisiko ein: hoch, mittel oder niedrig. Je nach Kategorie kann anschließend ein Mitarbeiter prüfen, ob es sich um ein Versehen handelt – oder um versuchten Betrug.

„Unsere Algorithmen weisen nur auf Unstimmigkeiten hin“, sagt Kale. „Wir würden nie jemandem Absicht unterstellen. Das zu überprüfen ist Aufgabe des Arbeitgebers.“ Etwa jede zehnte Abrechnung zeige Auffälligkeiten, doch nur bei einem Bruchteil ginge es wirklich um mutwillige Falschangaben. Manchmal hat sich nur ein Zahlendreher eingeschlichen, oder jemand bezahlt eine Ausgabe mit einer Firmenkreditkarte und reicht den Beleg später aus Versehen zur Erstattung ein.

Zu den mehr als 1500 Unternehmenskunden von AppZen gehören neben Schwergewichten wie Amazon, Airbus, Salesforce oder Intuit auch zahlreiche deutsche Firmen. „Viele unserer Kunden machen das nicht öffentlich“, sagt AppZen-Marketingchefin Jamie Barnett, „weil sie nicht mit Betrug assoziiert werden wollen. Aber wir betreuen zwei der zehn größten deutschen Unternehmen.“ Weil die Firmen nicht gern über betrügerische Mitarbeiter sprechen, ist es schwierig herauszufinden, wie groß das Problem tatsächlich ist. Der US-Prüferverband Association of Certified Fraud Examiners, die weltgrößte Organisation dieser Art, wertete zwischen Januer 2016 und Oktober 2017 insgesamt 2690 Betrugsfälle aus – und ermittelte einen Schaden von sieben Milliarden Dollar.

Anant Kale, der in Mumbai studiert und zehn Jahre in leitender Funktion bei Fujitsu USA gearbeitet hat, gründete AppZen mit seinem Nachbarn Kunal Verma, der zuvor ein KI-Team bei Accenture leitete. Beim Rausstellen der Mülltonnen und Spaziergängen mit den Kindern sprachen die beiden immer wieder darüber, wie eine sinnvolle Anwendung von Machine Learning und Sprachverarbeitung für die Unternehmensbuchhaltung aussehen könnte. Ihr erstes gemeinsames Produkt sollte Angestellten das Erstellen und Einreichen von Spesenabrechnungen erleichtern. Unternehmen zeigten sich grundsätzlich interessiert, erzählt Kale, „sie signalisierten jedoch auch, dass ein System, mit dem sie Abrechnungen verwalten und überprüfen könnten, für sie viel wertvoller sei.“

Aber würde ein Wodka-Mittagessen oder ein regelmäßiger Starbucks-Schwindel nicht auch einem menschlichen Mitarbeiter auffallen? Kale bezweifelt das: „Zum einen können sich schnell wachsende Firmen wie Amazon oder Facebook immer nur einen Bruchteil der Abrechnungen ansehen“, sagt er. Und die Trickser würden besser: Striplokale geben sich unverdächtige Namen und stellen Rechnungen aus wie für ein gewöhnliches Abendessen. Wer extrem dreist ist, kann sich sogar auf speziellen Websites kostenlos fingierte Tankquittungen oder andere Rechnungen ausstellen lassen.

Um die Plausibilität von Rechnungen zu überprüfen, zieht das System externe Datenquellen heran. So überprüft es, ob es ein bestimmtes Restaurant in Tokio tatsächlich gibt oder das Benzin für den Mietwagen in Honduras wirklich so teuer ist. Wo sich Preise aufgrund der Nachfrage ständig ändern, etwa für Hotels oder Flüge, speichert das System historische Daten und kann damit auch beurteilen, wie hoch die Hotelpreise in Madrid vor vier Wochen waren. Wird ein fragwürdiger Vorgang gefunden, sind die dran, die heute alles kontrollieren müssen. „Diese Mitarbeiter werden nach wie vor gebraucht – aber sie können sich auf verdächtige Fälle konzentrieren, statt nach einer Nadel im Heuhaufen zu suchen.“

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Foto: Scott Graham / Unsplash

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About the Author: Christoph Koch ist Journalist (brand eins, GEO, NEON, Wired, GQ, SZ- und ZEIT-Magazin, Süddeutsche, etc.), Autor ("Ich bin dann mal offline" & "Digitale Balance" & "Was, wäre wenn ...?") sowie Moderator und Vortragsredner. Auf Twitter als @christophkoch unterwegs, bei Mastodon @christophkoch@masto.ai .

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