Cory Doctorow im Interview: „Jetzt besteht die Chance, die Techbranche zu regulieren“

Written by on 10/09/2025 in brand eins with 0 Comments

Schaden die sozialen Medien der Demokratie? Oder liegen die Probleme ganz woanders? Ein Interview mit dem Autor und Aktivisten Cory Doctorow.

Anfangs galten die sozialen Medien als der Demokratie dienlich, da sie auch Minderheiten eine Stimme gaben. Heute wird ihnen vorgeworfen, vor allem Desinformation und Populismus zu fördern. Sind Social Media unterm Strich gut oder schlecht für die Demokratie?

Cory Doctorow: Ich wüsste nicht, wie man das zuverlässig messen könnte. Ich finde es interessanter, zu fragen, welche Kräfte zu den positiven und welche zu den negativen Auswirkungen geführt haben. Zu fragen, wie die Gesamtbilanz aussieht, spielt letztlich nur den großen Social-Media-Unternehmen in die Hände.

Inwiefern?

Die Konzerne wollen uns glauben machen, man könne die Vorteile nicht haben, ohne die Nachteile in Kauf zu nehmen. Ich bin der Ansicht, wir sollten im Internet Kontakte finden, Freundschaften pflegen und uns politisch äußern können, ohne dass Mark Zuckerberg oder Elon Musk jedes Wort überwachen, das wir wechseln. Doch die behaupten: Nein, das geht nicht. Social Media könnten nur so funktionieren, wie sie es anbieten. Dabei waren es bewusste Entscheidungen, die aus den sozialen Netzwerken das gemacht haben, was sie sind.

Sie haben diesen Prozess als Enshittification beschrieben – auf Deutsch etwa: Scheißifizierung. Das Wort hat ziemlich Karriere gemacht …

Ja, um das Kackhäufchen-Emoji auf meinem Grabstein komme ich nun wohl nicht mehr herum.

Enshittification wird außerdem Plattformverfall genannt. Können Sie das genauer erläutern?

Facebook ist ein perfektes Beispiel. Die Plattform begann mit einem einfachen und attraktiven Versprechen: Wir zeigen dir, was deine Freunde posten. Sag uns, wer oder was dir wichtig ist, und wir sorgen dafür, dass du nichts mehr verpasst. Facebook verfügte damals über viel Risikokapital und musste daher nicht sofort alles mit Werbung zupflastern oder die Nutzerinnen und Nutzer ausspionieren.

Eine gute Sache also?

Ja, deshalb wurde es auch so erfolgreich. Doch dann kam die zweite Stufe: Nachdem so gut wie alle werberelevanten Menschen in den USA und Europa ein Facebook-Konto hatten, wandte sich das Unternehmen den eigenen Werbekunden zu. Diese konnten dort nun für lächerlich niedrige Preise sehr genau definierte Zielgruppen erreichen. Und jene Medien, die ihre Inhalte auf Facebook teilten, erhielten eine Zeit lang Unmengen an Traffic, den sie monetarisieren konnten. Der Preis dafür war, dass die Nutzerinnen und Nutzer nun ausspioniert wurden und nicht nur die Inhalte ihrer Freundinnen und Freunde sahen, sondern außerdem Werbung und Medieninhalte – egal, ob sie sich dafür interessierten oder nicht.

Schlecht für die Privatnutzer, gut für die Businesskunden. Wie ging es weiter?

Nachdem einige Jahre später auch die Firmenkunden und die Medien abhängig von Facebook waren, zog das Unternehmen auch bei denen die Daumenschrauben an. Die Werbepreise stiegen, obwohl längst nicht mehr sicher war, ob die Anzeigen noch von Menschen gesehen wurden. Um überhaupt jemanden zu erreichen, mussten die Medien für diese Reichweite zahlen. Der Mehrwert wanderte also erst von den Nutzern zu den Businesskunden und dann zu den Aktionären von Meta. Das Problem ist nur: Dieser Zustand kann nicht ewig anhalten.

Es gibt also noch eine weitere Stufe der Enshittification?

Ja, und zwar den Tod der jeweiligen Plattform. Selbstverständlich tun die Anbieter alles, um diesen hinauszuzögern. Mark Zuckerberg etwa behauptet seit ein paar Jahren, es sei das Größte, einen Avatar durch das Metaverse zu steuern. Elon Musk wiederum hat sich in die US-Regierung eingekauft. Er setzt darauf, dass Unternehmen versuchen, sich seine Gunst zu kaufen, indem sie Werbung auf X schalten.

Das bringt uns zum politischen Einfluss von Social Media. Wie würden Sie diesen beschreiben?

Es ist ein Problem, wenn man Plattformen, die in der Hand sehr weniger Individuen sind, die Macht darüber gibt, welche Informationen wir sehen und welche nicht. Auch das hat sich geändert: In den Anfangsjahren von Social Media sah man die Inhalte der Konten, denen man folgte. Heute zeigen einem die Algorithmen vor allem solche Beiträge, die viele Interaktionen auslösen, weil sie polarisieren. Allein diese algorithmische Auswahl für die Krise der Demokratie verantwortlich zu machen wäre jedoch zu kurz gedacht.

Sondern?

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Interview: Christoph Koch
Foto: jonathanworth.com

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About the Author

About the Author: Christoph Koch ist Journalist (brand eins, GEO, NEON, Wired, GQ, SZ- und ZEIT-Magazin, Süddeutsche, etc.), Autor ("Ich bin dann mal offline" & "Digitale Balance" & "Was, wäre wenn ...?") sowie Moderator und Vortragsredner. Auf Twitter als @christophkoch unterwegs, bei Mastodon @christophkoch@masto.ai .

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