Interview Sebastian Thrun: „Ich kann verstehen, warum Google Glass nicht erfolgreich war“

Written by on 10/11/2020 in brand eins with 0 Comments

Woran orientieren sich Tech-Pioniere bei der Wahl ihrer Projekte? Ein Gespräch mit Sebastian Thrun, dem „Deutschen im Silicon Valley“.

Herr Thrun, bei Google waren Sie mit der Abteilung „Google X“ für die sogenannten Moonshot-Projekte zuständig: waghalsige Ideen, von denen niemand wusste, ob sie funktionieren. Worauf sind Sie rückblickend besonders stolz?

Am meisten auf Google Brain. Dieses Deep-Learning-Team hat die Firma inzwischen komplett transformiert. Egal ob bei der klassischen Internet-Suche, bei Youtube oder dem Google Assistant – nichts geht mehr ohne Deep Learning. Ich hatte Google Brain um 2010 herum eher gegen den Willen der Firmenleitung begonnen: Die wollten das Team rein auf Hardware konzentrieren. Aber uns war das Potenzial von Deep Learning schon damals klar, und so habe ich Andrew Ng und Jeff Dean angeheuert, um zu schauen, was wir mit diesen Unmengen an Daten, die das Unternehmen zur Verfügung hat, machen können. Zum Beispiel können Googles Computer besser Objekte in Bildern oder Videos erkennen als die besten menschlichen Experten. Außerhalb von Google haben wir die gleiche Technik zur Detektion von Hautkrebs angewandt.

„Datenbrillen werden kommen.“

Und was war die größte Enttäuschung in dieser Zeit?

Google Glass. Das war ein Lieblingsprojekt von mir. Wir haben die Brille zu früh auf den Markt gebracht. Und ich kann verstehen, warum sie nicht erfolgreich war. Die Leute haben die Technik als übergriffig und indiskret empfunden, fühlten sich ausspioniert, der Begriff Glasshole wurde geboren. Aber die Datenbrillen werden kommen. Bei Geschäftskunden sind sie ja schon längst im Einsatz: in Warenlagern, bei Ärzten, in der Landwirtschaft. Eine ähnliche Entwicklung wird es im Privaten geben: Die Brille ist einfach ein zu praktisches Interface.

Foto vom Google-Campus in Mountain View , Kalifornien

Erfolg von Start-ups scheint unberechenbar zu sein. Der Mobilitätsanbieter Uber galt lange als große Hoffnung, wurde mit vielen Milliarden Dollar bewertet und ist dann tief gefallen. Bei Facebook hingegen fragten in den ersten Jahren alle kopfschüttelnd, wie die Plattform jemals Geld verdienen will. Zweieinhalb Milliarden Nutzer später weiß man es. Wie entscheiden Sie, mit welchem Projekt Sie sich beschäftigen und mit welcher Geschäftsidee Sie eine Firma gründen?

Ich frage immer, wo ich in der Welt etwas nachhaltig verbessern kann. Unsere Lernplattform Udacity war so ein Fall: Als Stanford-Professor war mir immer klar, dass die Universität viel zu wenige ausländische Studenten akzeptiert. In China beispielsweise studieren aktuell knapp 30 Millionen College-Studenten, und Stanford akzeptiert davon gerade einmal 1200. Das geht auch nicht anders, darauf basiert das Geschäftsmodell. Online hat man aber ganz andere Möglichkeiten: Man braucht keine Hörsäle und Wohnheimbetten. Bei unserem ersten Onlinekurs für Stanford zum Thema künstliche Intelligenz hatten wir aus dem Stand 160 000 Studenten. Und die Kosten pro Teilnehmer lagen unter einem Dollar. Da wurde mir klar, dass es da einen Bedarf gibt und dass unser Angebot hilfreich für viele Menschen ist. Wir haben es schrittweise immer weiter verbessert.

„Wenn Unternehmen sehr viel Risikokapital bekommen, können Schwächen des Geschäftsmodells lange verborgen bleiben.“

In den vergangenen beiden Jahren mussten Sie bei Udacity Ihr Personal stark reduzieren, jüngst um 20 Prozent. Was läuft falsch?

In Brasilien haben wir unser Büro zugemacht, in Europa haben wir von einem Direktkundengeschäft zu einem Firmengeschäft umgestellt. Der oder die Deutsche ist nicht gewöhnt, für die eigene Ausbildung zu zahlen. Deutsche Firmen wie zum Beispiel BMW und Airbus buchen aber Kurse für ihre Angestellten, etwa zu maschinellem Lernen. Das Thema ist seit drei, vier Jahren richtig heiß. Und wenn man seinen Abschluss vor zehn Jahren gemacht hat, kennt man sich damit wahrscheinlich nicht aus.

Und seit diesem Wechsel hin zu Geschäftskunden läuft es besser?

Ja, wir schreiben jetzt seit sechs Monaten schwarze Zahlen. Wir hatten vor zwei Jahren relativ viel Geld in Wachstum investiert, aber das hat sich vor allem im Privatkundensegment leider nicht wie erhofft eingestellt. Deshalb mussten wir uns von insgesamt 400 unserer 800 Angestellten trennen. Das ist kein schöner Moment für eine Firma und für einen Gründer – aber es hat sich als richtig herausgestellt.

Sind solche Kurskorrekturen bei innovativen Firmen normal?

Sie sind auf jeden Fall nicht ungewöhnlich. Wenn Unternehmen sehr viel Risikokapital bekommen, kann es aber sein, dass Schwächen des Geschäftsmodells lange verborgen bleiben. Im Nachhinein kann man bei Firmen wie Uber oder Wework leicht sagen, man habe das alles vorher gewusst. Aber als Uber in der Anfangsphase so explosiv gewachsen ist, da fühlte es sich vollkommen richtig an, Milliarden reinzustecken in dieses neue Geschäft und zu versuchen, damit weltweit zu dominieren.

Würden Sie sagen, dass es inzwischen zu viel dummes Geld gibt? Riesige Zukunftsfonds, bei denen die Anteilseigner oft gar nicht mehr verstehen, wo das Kapital genau hinfließt, Hauptsache, sie versprechen exponentielles Wachstum in einem Winner-takes-all-Markt?

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Interview: Christoph Koch
Foto: Guido Coppa / Unsplash

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About the Author

About the Author: Christoph Koch ist Journalist (brand eins, GEO, NEON, Wired, GQ, SZ- und ZEIT-Magazin, Süddeutsche, etc.), Autor ("Ich bin dann mal offline" & "Digitale Balance" & "Was, wäre wenn ...?") sowie Moderator und Vortragsredner. Auf Twitter als @christophkoch unterwegs, bei Mastodon @christophkoch@masto.ai .

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