Lernspiele: Ran an die Konsole!

Written by on 03/02/2023 in brand eins with 0 Comments

Wer sich entspannt neues Wissen aneignen will, sollte es mal mit Lernspielen versuchen.

Biep – Biep – Biep – Biiiieeeep. Der durchgehende Ton eines EKG-Geräts, das den Herzstillstand signalisiert, ist ein alarmierendes Geräusch. Auch beim Spielen von „Asystole“ macht es nervös. Obwohl der Ton in diesem Fall nur anzeigt, dass die Zeit abgelaufen und die aktuelle Runde zu Ende ist.

Asystole ist ein Kartenspiel – der Timer kann im Netz heruntergeladen werden –, das Medizinstudierenden und jungen Ärztinnen und Ärzten Wissen vermitteln soll. Grob gesagt, funktioniert es wie eine Mischung aus Lern-Karteikarten und dem Klassiker „Tabu“. Die Spielenden schlüpfen abwechselnd in die Rolle von Patienten, die ihre Krankheit beschreiben müssen, ohne dabei eine Reihe von naheliegenden, aber verbotenen Wörtern zu benutzen. Bei Rheuma müssen sie also ohne Begriffe wie „Gelenke“, „Finger“ oder „Schmerzen“ auskommen (die meisten Krankheiten und Tabu-Begriffe sind freilich medizinisch komplexer). Je mehr Begriffe ein Team errät, bevor die Zeit abläuft und das Smartphone den EKG-Ton erklingen lässt, umso mehr Punkte bekommt es. Präzision und Schnelligkeit zählen – vor allem aber das, was nach der Partie hängen bleibt.

Dass Spiele das Lernen fördern können, ist seit Langem bekannt und wissenschaftlich nachgewiesen. So kam beispielsweise eine Metaanalyse von 39 Studien zu dem Ergebnis, dass digitale Spiele den Lernerfolg effektiver fördern als klassische Bildungsangebote und dafür sorgen, dass das Gelernte besser behalten wird. Trotzdem haftet ihnen – sei es analog mit Karten oder digital am PC oder an der Konsole – immer noch etwas Unseriöses an. Ganz nett vielleicht, aber mehr auch nicht.

Dabei birgt spielerischer Wissenserwerb großes Potenzial. Er kann gestresste Lehrkräfte entlasten, individualisiertes Lernen ermöglichen und für zusätzliche Motivation sorgen. Denn wenn das Aneignen neuer Fähigkeiten Spaß macht, taucht eine Frage niemals auf: „Und wofür sollen wir das später mal brauchen?“ In Deutschland sind Lernspiele nicht erst seit den Homeschooling-Tagen der Pandemie beliebt: In einer Umfrage der Online-Englischschule Novakid unter 10 000 Familien gaben 83 Prozent der Eltern an, dass ihre Kinder solche Games mögen.

Es gibt nicht nur Angebote für Schulkinder, sondern für verschiedenste Altersklassen und Ansprüche. Die Idee, mit Asystole ein Spiel zu entwickeln, dass angehenden Medizinerinnen und Medizinern das Lernen erleichtert, kam Johanna Ludwig und Sven Jungmann während ihres Studiums. „Wir haben uns im wahrsten Sinne des Wortes über einer Leiche kennengelernt“, sagt Ludwig. „Wir arbeiteten am Anatomietisch zusammen und stellten fest, dass wir im selben Dilemma steckten wie viele in diesem anspruchsvollen Fach: Wir wollten Zeit mit unseren Kommilitoninnen und Kommilitonen verbringen, hatten aber permanent ein schlechtes Gewissen, wenn wir uns nicht auf unsere Prüfungen vorbereiteten.“

Asystole (der Name leitet sich vom Fachbegriff für Herzstillstand ab) erlaubt beides. „Als wir das Spiel in einer frühen Version getestet haben, konnten wir beobachten, dass es der Runde nicht nur Spaß machte, sondern sich darüber zwanglose Gespräche über den Stoff ergaben“, so Ludwig. Inzwischen arbeitet sie als Unfallchirurgin in einem Berliner Krankenhaus, ist ehrenamtlich für die Ärztekammer tätig und bewertet für eine große Stiftung Gesundheits-Apps.

Die medizinische Aus- und Weiterbildung zu verändern ist ihr ebenso ein Anliegen wie Sven Jungmann, der sich inzwischen beruflich mit Gesundheits-Start-ups beschäftigt. „Ich bin fest davon überzeugt, dass sich unsere Art zu lernen ebenso verändern wird wie unsere Kommunikation“, sagt Ludwig. „Früher hat man sich hingesetzt und in aller Ruhe einen Brief geschrieben. Heute schickt man je nach Anlass eine Mail, eine Sprachnachricht oder ein kurzes Video. Auch das Lernen wird flexibler und spielerischer werden und sich in unseren Alltag integrieren, statt nur aus einsamem Pauken zu bestehen.“

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Text: Christoph Koch

Foto: Kelly Sikkema auf Unsplash



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About the Author: Christoph Koch ist Journalist (brand eins, GEO, NEON, Wired, GQ, SZ- und ZEIT-Magazin, Süddeutsche, etc.), Autor ("Ich bin dann mal offline" & "Digitale Balance" & "Was, wäre wenn ...?") sowie Moderator und Vortragsredner. Auf Twitter als @christophkoch unterwegs, bei Mastodon @christophkoch@masto.ai .

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