Du bist es! 10 Freunde spielen seit 24 Jahren Fangen

Written by on 19/12/2014 in Nido with 0 Comments

Sie reisen hunderte von Kilometern, verstecken sich stundenlang in Gebüschen und lauern geduldig auf Restauranttoiletten. Ein Freundeskreis von zehn erwachsenen Männer spielt Fangen – und das seit über 24 Jahren. Jetzt will Hollywood ihre Geschichte verfilmen.

Update: Die Geschichte wurde inzwischen unter dem Titel „Catch Me!“ unter anderem mit Jerey Renner und Will Ferrell verfilmt. 

Herr Konesky, Sie spielen mit Ihren Freunden seit 24 Jahren Fangen. Können Sie sich noch erinnern, wie das Ganze anfing?

Es war Anfang der Achtziger und wir zehn gingen gemeinsam in Spokane, Washington, zur Schule. Ich weiß nicht mehr, wer es war, aber zwischen zwei Schulstunden sagte einer von uns: „Du bist es!“, und schlug einen anderen ab. Den Rest des Schuljahres jagten wir uns also durch die Flure und Klassenzimmer. Wer auch immer „es“ beim letzten Klingeln des Schultags war, war es für den Rest des Tages. Das wollte natürlich niemand. Besonders schlimm traf es Joe Tombari, der „es“ am Ende des allerletzten Schultags war. Wir wussten, dass wir alle unserer Wege gehen würden, also war er „es“ für den Rest seines Lebens. Das fand er zum Kotzen.

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Die Freunde damals (Konesky kniet vorne rechts) …

Das Spiel ruhte dann einige Jahre. Wann haben Sie es wiederbelebt?

1990 verabredeten wir uns in einer Bar in Seattle und sprachen über die alten Zeiten. Nach einigen Gläsern Bier schlug jemand vor, wir sollten wieder anfangen, Fangen zu spielen. Wir lebten damals schon über das ganze Land verteilt. Aber einer von uns, Patrick Schultheis, war gerade Anwalt geworden und entwarf ein Regelwerk und einen Vertrag.

Wie sehen die Regeln aus?

Wir spielen jedes Jahr vom 1. bis zum 28. Februar. In dieser Zeit ist alles erlaubt, um einen anderen Spieler abzuschlagen. Die beiden einzigen wichtigen Einschränkungen: Rückschlag gilt nicht – ich darf also jemanden, der mich gerade abgeschlagen hat, nicht sofort wieder abschlagen. Und wenn ich „es“ bin und mich jemand fragt, muss ich sofort laut und ehrlich mit „Ja“ antworten.

Warum spielen Sie nur im Februar?

Der Februar ist irgendwie so ein toter Monat, da ist einfach nichts los (lacht). Außerdem würden wir es nicht durchhalten, das ganze Jahr zu spielen. Wir reisen durchs ganze Land, denken uns Strategien und Fallen aus, verkleiden uns – das kostet alles viel Geld und Zeit.

Auf welches erfolgreiche „Du bist es!“ sind Sie am meisten stolz?

In den ersten Jahren des Spiels bin ich einmal nach Kalifornien geflogen, als ich „es“ war. Ich habe mich um zwei Uhr morgens in die Garage meines Kumpels Brian Dennehy geschlichen und von dort im Dunkeln in sein Haus vorgetastet. Ich wusste, welches der Zimmer sein Schlafzimmer war, riss die Tür auf und schaltete das Licht an. Brian sah mich verschlafen und ungläubig an. Seine Freundin, die neben ihm im Bett lag, rief noch „Lauf, Brian!“ – aber er hatte keine Chance.

Wusste seine Freundin von Ihrem Spiel?

Ja, aber ich wusste ehrlich gesagt nicht, dass sie bei ihm wohnte und war froh, dass ich die beiden nicht in einer verrückten Sexposition überrascht hatte. Sie ist inzwischen seine Frau. Alle unsere Frauen und Kinder wissen von dem Spiel. Sie finden es großartig. Manche Familien beschützen ihre Väter – andere verbünden sich mit dem anderen Spieler und versuchen, Papa reinzulegen.

Wie ist es bei Ihnen?

Meine Frau kennt alle Jungs, sie war mit uns auf der Schule. Sie freut sich immer, wenn sie mich ans Messer liefern kann. Ich habe drei Töchter, eine Achtjährige und Zwillinge im Alter von sieben Jahren. Die finden es super, dass ihr alter Vater sich einem so kindischen Spiel verschrieben hat. Einmal war ich im Februar mit ihnen einkaufen und wusste, dass mein Freund Joe „es“ war. Also sagte ich meinen Töchtern: „Wenn Ihr Mr. Tombari seht, sagt mir Bescheid.“ Keine fünf Minuten später kreischten sie, „Renn weg, Papa, da ist er!“ Er jagte mich eine Weile durch den Laden, am Ende hat er mich doch erwischt. Meine Töchter fanden es spektakulär!

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…und heute (Konesky 1. von links, stehend)

Ist es auch erlaubt, zusammenzuarbeiten?

Klar! Als unser Freund Mark Mengert „es“ sehr lange nicht gewesen war, habe ich mich mit Patrick Schultheis zusammengetan, der „es“ damals war. Ich verabredete mich mit Mark zum Abendessen und er fragte mich „Bist du’s gerade?“, und ich verneinte wahrheitsgemäß. Was Mark jedoch nicht wusste: Patrick hatte sich auf der Toilette des Restaurants versteckt, ich ließ mich dort von ihm abschlagen, ging zum Tisch zurück, legte Mark die Hand auf die Schulter und sagte lässig: „Du bist es!“

Ist Ihnen auch schon mal eine Aktion schiefgegangen?

Anfang der Neunziger bin ich einmal nach Boston geflogen, um Chris Ammann zu erwischen. Das war noch vor dem Internet und mein Handy war damals so groß wie ein Schuhkarton. Man war also noch nicht so detailliert auf dem Laufenden, was die anderen so machten und wo sie sich aufhielten. Ich legte mich also in einem Gebüsch vor dem Apartment von Chris Ammann auf die Lauer, aber der war auf Reisen, wie sich später herausstellte. Ich ging ein paar Mal in eine Kneipe um die Ecke, um mich aufzuwärmen und was zu essen, aber insgesamt saß ich bestimmt 48 Stunden in diesem Gebüsch.

Wie haben Internet und Handys Ihr Spiel verändert?

Man ist jetzt viel besser auf dem Laufenden, wer „es“ gerade ist, weil das sofort per SMS oder Mail verbreitet wird. Überraschungen aus heiterem Himmel sind also seltener geworden. Dafür kann man sich kompliziertere Strategien und Tricks ausdenken. Manche von uns verkleiden sich, und wenn sie dann eine SMS von der Frau des potenziellen Opfers bekommen, in welchem Restaurant die Familie sitzt, gehen sie zum Beispiel als alte Frau oder Bauarbeiter verkleidet rein, spazieren an den Tisch und schlagen ihn ab.

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Ausschnitt aus dem „Vertrag“, den alle Mitspieler unterzeichnet haben

Der normale Weg, mit alten Schulfreunden in Kontakt zu bleiben, ist heutzutage Facebook.

Das stimmt, aber ich glaube, unser Spiel ist der bessere Weg. Wir haben so unterschiedliche Wege eingeschlagen, ich bin mir sicher, dass wir zehn uns längst nicht mehr so nahe wären, wenn es das Spiel nicht gäbe. Einer von uns ist Priester, ein anderer Topmanager. Einer arbeitet in einer Autowerkstatt und wohnt immer noch in Spokane, ein anderer ist Anwalt und reist um die ganze Welt. Aber das Spiel schweißt uns zusammen.

Wollte schon mal jemand aus dem Spiel aussteigen?

Nein, bisher nicht. Ich wüsste aber auch nicht, ob wir jemanden aussteigen lassen würden (lacht).

Können Sie sich im Februar überhaupt alle zusammen treffen – oder gäbe das sofort Chaos?

Patricks Vater ist letzten Februar gestorben und die Beerdigung war zu Hause in Spokane. Neun von uns waren da, und aus Respekt wollten wir eigentlich das Spiel für einen Tag aussetzen. Aber Patrick erzählte uns, dass sein Vater von dem Spiel wusste, das damals schon seit über zwanzig Jahren lief, und es großartig fand. Also haben wir ihm zu Ehren weitergespielt und haben uns auch bei der Beerdigung und der Trauerfeier gegenseitig abgeschlagen.

Ist mal jemand durch das Spiel richtig in Schwierigkeiten geraten?

Bisher musste noch niemand ins Gefängnis, das ist doch schon mal ganz gut. Joe Caferro hatte sich einmal verkleidet und in der Lobby von Patrick Schultheis‘ Bürogebäude gewartet. Irgendwann wurde die Security jedoch misstrauisch, und als er auf ihre Fragen nicht so recht antworten konnte, führten sie ihn ab. Und Joes Frau hat sich einmal verletzt.

Wie kam das?

Sean Raftis, der Priester, war „es“ gerade, und ich half ihm, Joe dranzukriegen. Wir versteckten Sean in meinem Kofferraum und ich bat Joe, mir mit einem Möbelstück zu helfen, das ich angeblich gekauft und im Kofferraum transportiert hatte. Als ich die Klappe aufmachte, sprang Sean heraus und schlug Joe ab. Dessen Frau erschrak so, dass sie rückwärts über die Bordsteinkante stolperte und danach ins Krankenhaus musste. Es war aber nichts Ernstes. Und wir hatten Joe gekriegt – das ist es ja, was zählt.

Den ganzen Februar über haben Sie wieder gespielt – wer war „es“ denn zum Schluss?

Am Ende ging es wieder hoch her, weil niemand Lust hat, „es“ für die nächsten elf Monate zu sein. In den letzten Februartagen war „es“ Joe Caferro – genannt „Beef“ – und es sah so aus als würde er niemanden mehr erwischen: Beef lauerte zum Beispiel Joe Tombari, dem Lehrer, vor dessen Schule auf. Aber Tombaris Tochter Christie kam mit einem Fluchtwagen vorgefahren und rettete ihren Vater. Erst kurz vor Spielende um Mitternacht gelang es Beef Rick Bruya abzuschlagen, der „es“ nun bis nächstes Jahr ist. Ich selbst hatte mich in der letzten Nacht mit ein paar anderen in einer Bar versteckt.

Jetzt wird Ihre Geschichte sogar in Hollywood verfilmt. Aufgeregt?

Und wie! Wir haben die Rechte an unserer Geschichte an Hollywood verkauft, und jetzt werden Will Ferrell und Jack Black einen Film daraus machen. Die Dreharbeiten sollen noch diesen Sommer beginnen.

Wissen Sie schon, wer Sie spielen wird?

Das sorgt natürlich für die größte Aufregung und die meisten Diskussionen unter uns zehn. Ich glaube, Will Ferrell wird mich spielen, was mich wahnsinnig freuen würde. Aber wir werden sehen. Wir wissen auch gar nicht, wie viel unserer echten Geschichte im Film sein wird und wie viel sie dazuerfinden. Es ist ja schließlich keine Dokumentation.

Trotzdem wird es sich finanziell gelohnt haben, oder?

Wir bekommen nicht so wahnsinnig viel Geld. Im Grunde kann jeder einen Film über Freunde drehen, die Fangen spielen – das ist nicht sehr exklusiv. Noch dazu müssen wir das Geld durch zehn teilen. Aber wir haben uns drauf geeinigt, dass wir alle gemeinsam mit unseren Familien eine Urlaubsreise machen und dass wir versuchen wollen, zu ein paar internationalen Premieren unseres Films zu reisen. Vielleicht schaffen wir es ja auch nach Deutschland. Ich habe mal zwei Jahre in München gelebt und Joe Tombari flog damals extra nach Europa, um mich abzuschlagen. Er hat mich aber erst am 2. März erwischt, also zählte es nicht mehr.

Update: Die Geschichte wurde inzwischen unter dem Titel „Catch Me!“ unter anderem mit Jerey Renner und Will Ferrell verfilmt. 

Interview: Christoph Koch
Fotos: Mike Konesky

Erschienen in: Nido 4/14

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About the Author

About the Author: Christoph Koch ist Journalist (brand eins, GEO, NEON, Wired, GQ, SZ- und ZEIT-Magazin, Süddeutsche, etc.), Autor ("Ich bin dann mal offline" & "Digitale Balance" & "Was, wäre wenn ...?") sowie Moderator und Vortragsredner. Auf Twitter als @christophkoch unterwegs, bei Mastodon @christophkoch@masto.ai .

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