In Schweden bringen seit rund 50 Jahren spezielle Stiftungen Arbeitslose in kurzer Zeit wieder in Lohn und Brot. Ein Vorbild auch für Deutschland?
Was sind das für Stiftungen?
Die Stiftungen für Arbeitssicherung (schwedisch „Trygghetsråd“) werden nicht vom Staat betrieben. Sie basieren auf Verträgen zwischen Arbeitgeberverbänden und Gewerkschaften und gehören diesen gemeinsam. International werden sie oft als Job Security Councils (JSC) bezeichnet. Es gibt 15 verschiedene, meist abhängig von Branchen und Tarifgruppierungen. Die bekanntesten sind TRR (zuständig für Büroangestellte in Privatunternehmen), TSN (für Arbeiter) oder TSL (für den öffentlichen Dienst). Da die Tarifbindung in Schweden sehr hoch ist, fallen rund 90 Prozent der Erwerbstätigen unter den Schirm der Stiftungen. Allein die TRR-Stiftung betreut etwa 1,1 Millionen Angestellte in 30.000 Firmen.

Was leisten diese Organisationen?
Im Falle einer Kündigung haben die Betroffenen Anspruch auf eine individuelle Beratung, um schnell wieder eine geeignete Stelle zu finden. Das ist die Hauptaufgabe der Stiftungen. Für die Lohnfortzahlung oder für Arbeitslosengeld sind sie nicht zuständig. „Die ersten Monate zahlen die Unternehmen das Gehalt weiter“, sagt Ola Bergström, Wirtschaftsprofessor an der Universität Göteborg. „Falls nach drei, sechs oder zwölf Monaten, je nach Betriebszugehörigkeit, noch keine neue Stelle gefunden ist, bezahlt der Staat Arbeitslosengeld.“ Das setzt sich in Schweden aus den Leistungen einer staatlichen Pflichtversicherung, die als Grundsicherung fungiert, und denen einer freiwilligen Zusatzversicherung zusammen.
Meist muss die Arbeitslosenversicherung jedoch nicht einspringen: „Die genauen Zahlen schwanken je nach Branche, aber rund 85 Prozent der Menschen finden dank der JSC in weniger als einem Jahr einen neuen Job – oft sogar besser bezahlt als der alte“, sagt Gernot Mühge, Professor für Sozialwissenschaften an der Hochschule Darmstadt, der sich in mehreren Studien mit dem schwedischen System beschäftigt hat. Dieses soll Gehaltseinbußen nach einer Entlassung vermeiden: Tut sich für den Betroffenen eine grundsätzlich attraktive Stelle auf, die jedoch ein wenig schlechter dotiert ist als die alte, übernehmen die JSC bis zu drei Jahre lang die Differenz. Entlassungen können die Stiftungen gleichwohl nicht verhindern. Die Arbeitslosigkeit liegt in Schweden sogar etwas über dem EU-Schnitt. Langzeitarbeitslose gibt es allerdings vergleichsweise wenige: 21,3 Prozent der Arbeitslosen sind länger als ein Jahr ohne Job (Stand 2023). In Deutschland liegt diese Quote bei 30,6 und im EU-Durchschnitt bei 34,9 Prozent. In Schweden ist nur ein Prozent der Arbeitslosen vier Jahre lang nicht erwerbstätig – in Deutschland sind es fast zehn Prozent.
Neuerdings auch Weiterbildung
Umschulungen gehörten ursprünglich nicht zu den Aufgaben der Stiftungen. „Die Grundannahme war, dass es meist nicht die Fähigkeiten eines Individuums sind, die zur Entlassung führen“, so Bergström. „Sondern dass Firmen manchmal in Schieflage geraten und Personal abbauen müssen.“
Seit einer Reform im Jahr 2022 bieten viele JSC jedoch außerdem Weiterbildung unter dem Motto „lebenslanges Lernen“ an. Die können auch Leute in Anspruch nehmen, die nicht von Kündigung betroffen sind. „Wer sich fragt, ob er auf dem richtigen Karrierepfad ist, kann sich informieren, ob und welche Weiterbildungsmaßnahmen sinnvoll sind“, sagt Ola Bergström. Erwerbstätige erhalten während einer solchen Weiterbildung von ihrem Arbeitgeber bis zu neun Monate lang 80 Prozent ihres Gehalts. Viele JSC helfen zudem beim Weg in die Selbstständigkeit.
Wann ist das schwedische System entstanden?
Durch die Ölkrise in den Siebzigerjahren geriet Schwedens Wirtschaft unter Druck. „Viele Unternehmen, vor allem Textilhersteller und Schiffswerften, mussten Personal abbauen – zum ersten Mal auch White-Collar-Arbeitskräfte“, sagt der Ökonom Ola Bergström. „Die staatlichen Stellen waren überfordert, diese Fachkräfte in neue Stellen zu vermitteln.“ Also gründeten Arbeitgeber und Gewerkschaften gemeinsam eine Arbeitsvermittlung – die TRR entstand im Oktober 1974 und war so erfolgreich, dass man an diesem System festhielt. „Als in den Neunzigern eine Krise im öffentlichen Dienst zu vielen Entlassungen führte, gründete man auch dort ein JSC“, sagt Bergström. „Und nach der Jahrtausendwende gab es auch zunehmend JSC für Blue-Collar-Berufe.“
Woher kommt das Geld?
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Text & Foto: Christoph Koch