Steinway stellt seit mehr als 170 Jahren Flügel her, überwiegend in Handarbeit. Doch der Markt schrumpft. Deshalb hat der Handwerksbetrieb eine neue Idee: Instrumente für Menschen, die sie nicht spielen können.
I. Die Ausgangslage
Steinway & Sons, vom deutschen Auswanderer Heinrich Engelhard Steinweg und seinen Söhnen 1853 in New York City gegründet, ist weltweiter Marktführer bei Luxusflügeln. Der Firmengründer galt als Perfektionist. Bis heute führen die Beschäftigten mehr als 80 Prozent der Arbeitsschritte per Hand durch. An einem Flügel arbeiten mehr als 200 von ihnen über einen Zeitraum von etwa zwölf Monaten, an Sondereditionen noch länger.
Der geschwungene Korpus (daher der Name Flügel) besteht aus Lagen von Ahorn- und Mahagoniholz, die verleimt und in Form gebogen werden. Die Hölzer, darunter Fichte, Kiefer oder Rotbuche, wählen Einkäufer vor Ort aus – unter anderem in Alaska, Wisconsin und Mittelafrika –, anschließend werden sie in den Werken in New York City und Hamburg mindestens zwei Jahre lang getrocknet. Die Holzfeuchte soll vor der Weiterverarbeitung weniger als zehn Prozent betragen.
Nach dem Trocknen suchen Beschäftigte die besten Hölzer aus. Dabei achten sie auf Schwingungsverhalten, Faserverlauf und dichte und gleichmäßige Jahresringe. Doch das Geschäft mit Flügeln und Klavieren ist seit Jahren rückläufig – deshalb hat Steinway sich etwas Neues ausgedacht.
II. Der Plan
Das Unternehmen erschließt sich gerade eine neue Käuferschicht: Menschen, die nicht Klavier spielen können. Dazu erweitert der Hersteller seine Flügel seit einiger Zeit um ein digitales Innenleben. Spirio heißt die Technik, die ermöglicht, dass ein Flügel von selbst spielt. „Es gab schon immer Menschen, die sich einen Steinway gekauft haben, ohne selbst spielen zu können“, sagt Guido Zimmermann, der Europachef von Steinway, etwa als Möbelstück oder Kunstobjekt.
Spirio soll es für diesen gut betuchten Kundenkreis nun noch attraktiver machen, ein solches Instrument zu besitzen – mit Technik gibt es diese ab etwa 155.000 Euro. Per App lassen sich Tausende Musikstücke auf dem Instrument wiedergeben. Nicht über Lautsprecher, der Flügel spielt selbst: Die Tasten bewegen sich, die filzbezogenen Hämmerchen im Inneren schlagen die Saiten an. Ganz so, als säße eine Person an der Klaviatur. „Der klangliche Unterschied zwischen einer Tonaufnahme und einem Flügel, der wirklich spielt, ist enorm“, sagt Zimmermann. Man höre die Musik nicht nur, man spüre sie.
Für die Spirio-Bibliothek spielen berühmte Pianistinnen und Pianisten von Yuja Wang bis Chucho Valdés Stücke in der Bibliothek ein.
III. Die Technik
Die neue Funktion so in den Flügel zu integrieren, dass der Klang sich auch dann nicht verändert, wenn jemand selbst spielt, war das Ziel des Teams um Eric Feidner, Technikvorstand der Firma in New York. Spielt ein Pianist ein Stück auf dem Instrument, wird nicht der Ton aufgezeichnet, sondern dessen Entstehung. Wie fest, sanft, dynamisch greift jemand in die Tasten? Sensoren prüfen dies 800-mal pro Sekunde und nehmen dabei 1.020 Abstufungen wahr. „MIDI, der bisherige Standard für die Datenübertragung von Musikinstrumenten, arbeitet mit 127 Dynamik-Abstufungen“, sagt Feidner. Die Sensoren messen ebenfalls, wie stark die Pedale gedrückt werden.
Weiterlesen auf brandeins.de …
Text: Christoph Koch
Foto: Ludomił Sawicki auf Unsplash