Mitten im Silicon Valley will ein exzentrischer Milliardär die Mark Zuckerbergs und Steve Jobs von morgen heranzüchten. Aber kann man wirklich in wenigen Wochen lernen, ein Projekt zu entwickeln, das die Welt verändert?
»Ich werde mich für die Freiheit einsetzen koste es, was es wolle!«
»Ich werde alles in meiner Macht Stehende tun, um Fortschritt und Veränderung zu bewirken!«
»Meine Marke, mein Netzwerk und mein Ruf sind das Allerwichtigste!«
So lauten die ersten Paragrafen des Superheldeneids. 46 junge Menschen erheben sich aus den bunten Sitzsäcken, in denen sie gerade noch lümmelten. Sie legen die rechte Hand aufs Herz und sprechen die Sätze nach. Laut und voller Inbrunst.
Ein goldener Herbsttag im Silicon Valley. An der Draper University of Heroes beginnt ein neues »Semester«. Die Studenten sind aus China, dem Senegal, Kanada und Deutschland hierher gekommen, um zu lernen, wie man erfolgreich ein Start-up gründet und zum nächsten Mark Zuckerberg wird. Einige haben ein Stipendium bekommen, die meisten zahlen für den siebenwöchigen Kurs fast 10 000 US-Dollar. Nachdem die Studenten gemeinsam alle fünfzehn Absätze des Eids aufgesagt haben, tritt Tim Draper, 57, auf die Bühne und erklärt, warum er die Draper University gegründet hat: »Als 2008 unsere Wirtschaft am Boden lag, habe ich mich gefragt: Wo sind die Helden? Wer kann uns aus der Patsche helfen?« Seine buschigen Augenbrauen stehen wild in alle Richtungen ab, eindringlich sieht er seine Studenten an: »Ihr seid hier, weil ihr auserwählt seid, Helden zu sein. Wir zählen auf euch!«
Draper wirkt wie eine Mischung aus Politiker, freundlichem Zahnarzt und dem gutmütigen Dad einer Familiensitcom. Im Silicon Valley gilt er jedoch als einer der einflussreichsten Investoren. Er hat in Harvard und Stanford studiert und ist mit dem Tesla-Gründer Elon Musk befreundet. Frühzeitig hat er in Firmen wie Skype und Hotmail investiert und damit das Milliardenvermögen seiner Familie vermehrt.
2012 kaufte er dann für rund zwanzig Millionen Dollar ein altes Hotel in der Innenstadt von San Mateo, einer kleinen Stadt zwischen San Francisco und Palo Alto, und ließ den achtstöckigen Bau zur Superheldenuni umbauen. Mit Stockbetten in den Zimmern, Flachbildschirmen für die täglichen Präsentationen von eingeladenen Start-up-Gründern und einem Pool hinter dem Haus. Die Wände sind abwaschbar, damit die Studenten jederzeit Ideen und Businesspläne draufschreiben können. Und manchmal auch Poesiealbumsätze wie: »Zusammen werden wir die Welt verändern.« Auch bei der Vorstellungsrunde steht »Weltverbesserung« ganz oben auf der To-do-Liste der Studenten. Diego, ein selbstbewusster Podcaster aus Guatemala, will sie ebenso ändern wie der leicht orientierungslos wirkende Josep aus Barcelona. Guillaume aus Paris will die Welt durch einen Geruchswecker zu einem besseren Ort machen. Ben aus Michigan, indem er Crowdfunding im Immobiliensektor etabliert und »größer als Donald Trump« wird.
Waren früher Hollywood und New York die magischen Orte, an denen man vom Tellerwäscher zum Börsenmillionär, vom Büroboten zum Filmstar wurde, ist heute das Silicon Valley das Epizentrum des amerikanischen Traums. Und dieser basiert weniger auf harter Arbeit als auf der Hoffnung, mit einer guten Idee zur richtigen Zeit am richtigen Ort ordentlich abzukassieren. Die Draper University ist nah dran am richtigen Ort. Schließlich gründeten 2005 genau gegenüber der Uni, über der Pizzeria Amici’s, drei junge Typen eine Website namens Youtube und verkauften sie anderthalb Jahre später für 1,65 Milliarden Dollar an Google. Von einem solchen Jackpot träumen auch die über 450 Studenten, die bisher die Draper University absolviert haben. Ein neues Youtube haben sie bislang nicht erfunden, aber immerhin über 22 Millionen Dollar an Risikokapital eingesammelt.
Nach der Vorstellungsrunde holt Draper einen großen Cowboyhut hervor. Darin befinden sich Zettel mit den Namen aller Studenten. Jeder wird einer der neun Gruppen zugeteilt, die Namen wie »Phoenix«, »Magic« oder »Tornados« tragen. »Josep du bist ein Angel!«, ruft Draper. Ein bisschen erinnert das an das Initiationsritual an der Magieschule Hogwarts. Und genau wie in »Harry Potter« wird auch hier jedes neue Gruppenmitglied mit Jubel begrüßt so, als hätte der Betreffende schon die erste Million in der Tasche.
Dann beginnt eine Schnitzeljagd durch San Mateo, bei der die Studenten an den Händen zusammengebunden werden. Die Aufgaben: Mach ein Foto eines Tesla-Elektroautos, interviewe einen Banker zum Thema Bitcoin, hilf einer alten Frau über die Straße. »Wir machen hier manche Sachen ein wenig anders als an normalen Universitäten«, sagt Draper. »Denn als Unternehmer muss man die Dinge auch ein wenig anders machen.« Im Silicon Valley will man die Welt neu erfinden fühlt sich den Ivy-League-Hochschulen, den Enzyklopädien und anderen alten Autoritäten überlegen. Ein weiterer großer Unterschied zu einer herkömmlichen Universität also jenseits des Harry-Potter-Huts und der Schnitzeljagd ist die Tatsache, dass »Draper U« keine anerkannte Hochschule ist. Der Lehrplan besteht aus Vorträgen von Gründern, Anwälten und Beratern aus Drapers Netzwerk sowie aus Gruppen- und Einzelaufgaben. Diese reichen von Gokartrennen bis zum Basteln einer improvisierten Rakete und zielen eher auf die Schulung von Softskills ab als auf handfestes Business- oder Softwarewissen. Programmieren muss hier niemand können. Statt C++ wird hier Selbstvermarktung gelehrt.
»Ich werde anderen als gutes Beispiel dienen!«
»Ich werde scheitern und immer wieder scheitern so lange, bis ich Erfolg habe!«
Einen Monat nachdem die Studenten den Draper-Eid geschworen haben, herrscht wildes Durcheinander im Gruppenarbeitsraum. Heute werden die »Pitches« der Studenten getestet: Kurzpräsentationen, mit denen sie potenziellen Investoren ihre Start-up-Idee schmackhaft machen sollen. Unter einer Tischtennisplatte liegen noch ein paar Schlafsäcke. »Survival Week« ist gerade vorbei: eine Woche, in der die Superhelden ihre Sitzsäcke und Laptops gegen Zelte und Wanderstiefel tauschen mussten. Auf einem Anwesen Drapers in Nordkalifornien brachten ihnen ein paar ehemalige US-Soldaten bei, wie man in der Natur überlebt. »Ich habe ein Huhn getötet«, erzählt Aya Jaff, die einzige deutsche Teilnehmerin. Sie ist zwanzig und damit eine der Jüngsten im Kurs, wirkt mit ihrer besonnenen Art aber reifer als die meisten. »Das war krass. Aber beim Schießen war ich eine der Besten deshalb durfte ich an das große .50-kalibrige Maschinengewehr.« Aya hat in Nürnberg zwei Semester Wirtschaftsinformatik studiert, bevor sie von einem Draper-Stipendium für Frauen las. »Aus eigener Tasche könnte ich mir das hier nicht leisten«, sagt sie. Im Gegensatz zu den meisten anderen Studenten hat sie noch keine Start-up-Idee, die sie am Ende pitchen möchte: »Ich möchte eher herausfinden, ob diese Silicon-Valley-Welt etwas für mich ist.« Die Mischung aus Vorträgen, Gruppenherausforderungen und Meditationsworkshops findet sie gut, »obwohl in jedem Vortrag mindestens einmal Steve Jobs zitiert wird, das nervt ein bisschen.« Am meisten beeindruckt hat sie bisher der Vortrag des deutschen Auswanderers Dirk Ahlborn, der mehrere internationale Unternehmen gegründet hat und jetzt als CEO das Hochgeschwindigkeitstransportprojekt Hyperloop von Paypal- und Tesla-Gründer Elon Musk betreut. »Ich würde gerne an einem Projekt mitarbeiten, mit dem wir unsere Infrastrukturprobleme lösen.« Während viele ihrer Kommilitonen unbedingt im gelobten Silicon-Valley-Land bleiben wollen, hatte Aya eigentlich vor, wieder zurück nach Deutschland zu gehen. »Aber inzwischen könnte ich es mir sehr gut vorstellen, nach dem Studium hier zu leben«, sagt sie. »Jede Innovation scheint gerade von hier zu kommen. Wenn man eine Zeit lang hier ist, wird man fast süchtig nach dieser Welt.«
Diese Welt das ist der Googleplex im nur wenige Kilometer entfernten Mountain View, in dem gesunde junge Menschen in der Mittagspause Beachvolleyball spielen und auf knallbunten Firmenfahrrädern zwischen selbstlenkenden Autos herumfahren, der Facebook-Campus, auf dem die Fahrräder blau sind, oder die Sand Hill Road, jene Straße in der Nähe der Stanford-Universität, in der die Dichte an Venture-Capital-Firmen so dicht ist wie wohl nirgendwo sonst. Diese Welt ist aber auch eine Weltanschauung: Die Annahme, dass alles möglich ist. Dass jeder es schaffen kann. Dass man einfach nur ein paarmal cool scheitern muss, bis es mit dem Millionärsdasein klappt. Dass für jedes Problem, das der technische Fortschritt erzeugt, derselbe Fortschritt auch eine Lösung bereithält. Dass man einfach mal loslegen muss, und dass es immer besser ist, hinterher um Entschuldigung zu bitten als vorher um Erlaubnis. Längst ist diese Haltung die auch an der Draper University gelehrt wird von der amerikanischen Westküste in die ganze Welt gewandert. Alles muss »disrupted« – auf den Kopf gestellt – werden, von der Hotel- oder Taxibranche bis zur Politik: So hat Google-Chef Eric Schmidt mit The Groundwork eine klandestine Techfirma gegründet, die Hillary Clinton mit Big-Data-Methoden zur US-Präsidentin machen soll. Mit dem »Government Innovation Lab« berät Google Lokalpolitiker, und Facebook hat bereits eine erste Polizeiwache finanziert von der Ausstattung bis zum Gehalt. Superheldenausbilder Tim Draper wiederum hat über fünf Millionen Dollar für Lobbyarbeit ausgegeben, um das Silicon Valley als eigenständigen Bundesstaat zu etablieren.
»Ich werde die Menschen um mich herum gut behandeln!«
»Ich werde mein Wort halten!«
Hört man sich aber bei den Alumni von Silicon-Valley-Kaderschmieden um, sind längst nicht alle mit ihrer Ausbildung zufrieden: »Ich hatte das Gefühl, die Draper University ist ein Ort, an den reiche Eltern ihre Kinder schicken, wenn sie merken, aus ihnen wird nichts«, sagt ein Exstudent am Telefon. »Mir wurde nicht im Geringsten beigebracht, was man braucht, um erfolgreich ein Unternehmen zu gründen«, sagt ein anderer. »Es ist eher ein Feriencamp.« Ein dritter ergänzt: »Man bezahlt knapp 10 000 Dollar, um an diesem legendären Ort namens Silicon Valley zu sein und ein paar reiche Leute kennenzulernen. Das ist es, was die Uni am Ende verkauft: Meet a billionaire!« Viele Exsuperhelden sind enttäuscht, erzählen das aber nur unter der Bedingung, dass ihr Name nicht genannt wird. Zu groß scheint die Angst, es sich mit dem Draper-Clan zu verderben. Und was man sich im Silicon Valley gar nicht erlauben kann, ist fehlende Begeisterung schlechte Laune ist was für Verlierer. Was ihnen der Besuch an der Start-up-Uni gebracht habe, da sind sich auch die drei Kritiker einig, seien die Kontakte zu den anderen Studenten. Von dem »lebenslangen Mentorenprogramm«, das die Uni verspricht, sei für sie hingegen so gut wie nichts zu merken: »Mein Mentor reagierte erst einsilbig, dann nach kurzer Zeit gar nicht mehr auf meine Mails dafür wurde ich mehrmals angeschrieben, ob ich mir nicht eine Werbeprämie verdienen wolle. Ich sollte meine Freunde überreden, sich bei Draper einzuschreiben.« Die »Draper U« sieht die Studenten offenbar nicht nur als weltverändernde Kraft, sondern auch als Ressource.
»Ich werde für die Draper University werben und zu ihrem Erfolg und dem ihrer Studenten und Mitarbeiter beitragen. Ich werde helfen, die nächste Generation von Superhelden vorzubereiten!«
»Ich werde die lebenslange Verpflichtung annehmen, meine Superheldenkräfte zu verbessern und zum Wohl des Universums einzusetzen!«
Der Tag, auf den im Leben eines Superhelden alles hinausläuft, ist der »Pitch Day«. Die Studenten haben ihre Flipflops, Shorts und Kapuzenpullis gegen Sakkos und Businesskostüme getauscht. Gerade hatten sie, um sich aufzuputschen für den großen Moment, noch einen Kreis gebildet, sich an den Schultern gepackt und sind »Let’s go get ’em! Let’s go get ’em!« schreiend auf und ab gesprungen. Jetzt treten sie einer nach dem anderen auf die kleine Bühne in einem unscheinbaren Kellerraum von »Hero City«, einem Coworking-Büro, das zum Draper-Imperium gehört. Vor ihnen sitzen rund dreißig Juroren. Potenzielle Investoren, andere Gründer, ein paar Abgesandte großer Konzerne. Zwei Minuten pro Präsentation wer überzieht, den schießt Tim Draper mit Pfeilen aus einem Plastikgewehr ab. Die Pitches gleichen sich: Egal ob es um eine Fitness-App, um digitale Sportwetten, um Virtual-Reality-Games oder um eine Shoppingplattform für junge Mütter geht der Markt ist immer riesig, der Moment ist immer »genau jetzt« und die Gewinnkurve auf den Slides zeigt immer steil nach rechts oben. Aya ist ungefähr nach der Hälfte der Pitches an der Reihe. Im Gegensatz zu den oft sehr konkreten Projekten der anderen ist ihr Konzept noch recht abstrakt: »Hyport«, eine Art Rohrpostnetzwerk, durch das man Güter schneller, sicherer und billiger transportieren kann als mit LKW oder Zug (und das offenbar von Elon Musks Hyperloop-Projekt inspiriert wurde). Statt wie die anderen am Ende ihres Vortrags um ein Millioneninvestment zu bitten, sagt sie einfach: »Wenn Sie gute Ingenieure oder Logistikexperten kennen, lassen Sie es mich bitte wissen.« Zurückhaltung made in Germany.
Nachdem die Präsentationen vorbei sind, versammeln sich alle in der großen Halle und networken mit den Juroren, wie sie es in den Wochen zuvor gelernt haben. Werben für ihre Marke, machen Selfies und versprechen sich, in Kontakt zu bleiben. »Ein paar der Jungs wollen hier im Valley bleiben und eine WG aufmachen«, sagt Aya. Morgen wird sie gemeinsam mit den anderen anstelle eines Zeugnisses von Tim Draper eine Maske und ein Superheldencape überreicht bekommen. Nacheinander werden alle Studenten über drei hintereinander aufgestellte Trampoline springen und dabei laut »Up, up and away!« rufen. Den Pitchwettbewerb hat Aya mit »Hyport« nicht gewonnen, der Geruchswecker und ein BH mit eingebautem Fitness-Tracker lagen vorne. »Schon okay«, sagt sie. »Ich habe hier auf jeden Fall ein Thema gefunden, das mich interessiert, und viele gute Kontakte geknüpft.« Ein paar Tage später fliegt sie zurück nach Nürnberg, zurück in die alte Welt, wo Skepsis und Vorsicht regieren. Wo mahnende Bücher wie »Cyberkrank!« auf der Bestsellerliste stehen. Und wo die Universitäten keine Trampoline haben.
Text & Fotos: Christoph Koch
Erschienen in: NEON