»Jede große Firma handelt wie ein Psychopath« – Der Fairphone-Chef im Interview

Written by on 12/01/2015 in Neon with 2 Comments

Das niederländische Unternehmen Fairphone hat ein Smartphone auf den Markt gebracht, das unter faireren Bedingungen entstehen soll als die Geräte der großen Hersteller. Doch das ist nicht so einfach, sagt der Gründer Bas van Abel.

Fair-Trade-Kaffee und Biobananen gibt es schon seit vielen Jahren – warum hat es so lange gedauert, bis jemand ein faires Handy baut?

Zunächst einmal ist die Lieferkette viel länger als bei Kaffeebohnen oder Bananen: Bis ein Smartphone zusammengebaut werden kann, braucht man Dutzende von Zulieferern, die oft selbst Dutzende von Zulieferern haben. Manchmal haben sogar die wiederum Subunternehmer. Es ist also etwas komplizierter, als zu sagen: Hey, wir verwenden jetzt keine Pestizide mehr auf dieser Plantage und bezahlen die Bauern angemessen.

Was genau ist fair am Fairphone?

Wir konzentrieren uns derzeit auf fair gehandelte Rohstoffe, auf gute Arbeitsbedingungen und auf Recycling. Aber in allen Punkten ist es ein sehr weiter Weg.

Fangen wir mit den Arbeitsbedingungen an: Sie lassen das Fairphone in China zusammenbauen. Was ist an Ihrer Fabrik dort fairer als an denen von Foxconn, in denen zum Beispiel Apple seine Produkte bauen lässt?

Erst mal gar nichts. Es gibt keine fairen Fabriken in China. Wenn es welche gäbe, würden alle großen Firmen dort fertigen lassen. Schon allein aus Imagegründen. Trotzdem können wir zeigen, dass vernünftige Arbeitsbedingungen möglich sind. Wir haben uns mit der Firma A’Hong einen Partner gesucht, der an unserer relativ kleinen Stückzahl von 25 000 Exemplaren überhaupt interessiert ist – und der versteht, was wir wollen und wofür Fairphone steht.

Wir haben uns für einen Produktionspartner entschieden, der weiß, dass wir uns zu Transparenz verpflichtet haben und dass wir umgekehrt dasselbe erwarten. Eine Fabrik, die unsere Wertvorstellungen teilt und lieber auf langfristiges gemeinschaftliches Wachstum setzt als auf Tiefpreispolitik. Nur indem wir uns auf solche Grundregeln einigen, können wir Probleme wie Überstunden bekämpfen und versuchen, dafür zu sorgen, dass die Arbeiter bei normalen Arbeitszeiten von ihrem Lohn leben können. Wenn alle Fabriken unter denselben Problemen leiden, dann ist es Zeit, sich die anderen Stakeholder genauer anzusehen. Bei Fairphone wollen wir deshalb Verantwortung für unsere Rolle im Produktionsprozess übernehmen. Unser Ansatz ist insofern anders, als dass wir soziale Veränderung wollen, anstatt unseren Profit zu maximieren.       

Was bedeutet das?

Dass wir die Arbeiter besser bezahlen. Ein Teil davon kommt von uns, ein Teil kommt von A’Hong. Durch die bessere Bezahlung verringert sich der Druck, um jeden Preis Überstunden zu machen. Denn das ist eines der Probleme, die viele in Europa nicht verstehen: Wenn eine Fabrik die Arbeitszeiten reduziert, die uns so unmenschlich erscheinen, laufen ihr die Arbeiter weg. Weil sie ohne Überstunden zu wenig verdienen. Doch unser Auftrag ist zu klein, um eine riesige Fertigungsstätte wie A’Hong komplett umzukrempeln. Es ist eher ein punktueller Beweis, dass man die Arbeiter ordentlich entlohnen kann und das Produkt am Ende trotzdem nicht unbezahlbar sein muss.

Die Herausforderung und unser Endziel ist dabei, die faire Bezahlung für die gesamte Fabrik zu ermöglichen, nicht nur für jene Gruppe von Arbeitern, die am Fairphone arbeiten. Neben dem Geld, das wir dafür zur Verfügung stellen (2,50 Dollar pro Fairphone von uns plus ebenso viel vom Betreiber der Fabrik), wollen wir den Dialog zwischen Arbeitern und Management fördern. Die Arbeiter sollen nicht nur mitentscheiden, wofür dieses Geld verwendet wird, sondern sich auch bei anderen Themen, jenseits von Bezahlung und Überstunden, besser einbringen können. Gleichzeitig muss man im Blick behalten, dass Überstunden nicht nur durch schlechte Bezahlung entstehen können. Die Dinge sind nie schwarz-weiß. Niedrige Löhne sind ein Problem, aber Überstunden können auch durch schlechte Planung oder einen hohen Turnover entstehen. Durch den Auftraggeber (der plötzlich die Bestellmenge rapide erhöht) oder eine Mischung aus all diesen Gründen. 

Also bessere Bezahlung und dadurch humanere Arbeitszeiten. Was noch?

Wir verzichten darauf, in letzter Minute Änderungen durchzusetzen, wie es viele der großen Firmen machen. Da wird hier das Design geändert und dort noch eine Lieferfrist verkürzt. Die Fabriken schlucken das in der Regel, aber all diese Änderungen erhöhen natürlich den Druck auf die Arbeiter.

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Kupfermine im Kongo

Kommen wir von den Arbeitsbedingungen zu den Rohstoffen. Woher stammen die?

Für ein Smartphone sind Dutzende Metalle nötig, etwa Coltan, Gold oder Zinn. Viele von ihnen sind selten, und egal, wie modern die Fertigungsmethoden in den Fabriken sind, diese Metalle werden meistens noch per Hand aus der Erde geholt, und zwar unter sehr schlechten Bedingungen und oft unter Lebensgefahr. Auch das können wir mit dem Fairphone nicht von heute auf morgen komplett ändern. Aber wir beziehen zumindest einen Teil unserer Rohstoffe aus nachhaltigen Quellen. Unser Zinn und Tantal kommen aus der Demokratischen Republik Kongo.

Der Kongo ist dafür bekannt, dass Warlords viele der Bodenschätze kontrollieren und damit ihre Bürgerkriege finanzieren.

Die Minen, aus denen unser Zinn und Tantal stammen, sind konfliktfrei. Wir arbeiten da mit den unabhängigen Organisationen Conflict-Free Tin Initiative und Solutions For Hope zusammen. Von den Minen über die Schmelzöfen bis zu den Transportwegen wird alles jährlich geprüft. Wir hätten die Metalle auch aus Australien beziehen können, aber dann entzieht man den Arbeitern in Afrika ihre Lebensgrundlage, und das führt dazu, dass sie sich den Bürgerkriegsmilizen anschließen. Dadurch, dass wir im Kongo geblieben sind, wissen wir jedoch auch mit hundertprozentiger Sicherheit, dass Kinder in den Minen arbeiten.

Im Fairphone steckt Kinderarbeit?

Ja, leider. Es ist ein ewiges Abwägen, und für jede positive Entscheidung am einen Ende muss man am anderen Ende etwas akzeptieren, das nicht perfekt ist. Aber es war unsere Entscheidung, einen Schritt nach dem anderen zu machen, statt abzuwarten und nichts zu tun.

Verstehen das Ihre Kunden, die sich ein besseres Gewissen erhoffen?

Größtenteils ja, denn wir gehen damit ehrlich um und führen diese Diskussionen nicht hinter verschlossenen Türen. In Bezug auf Kinderarbeit argumentieren wir zum Beispiel so: Der einzige Weg, Kinderarbeit zu beenden, ist, sichere und fair bezahlte Arbeit in die Region zu bringen – nur dann können die Menschen ihre Kinder zur Schule schicken. Wir versuchen, unseren Kunden klarzumachen: Um ein hundertprozentig faires Telefon zu bauen, müsste man den Weltfrieden herstellen. »Fair« ist nicht einfach nur ein Kästchen, das man ankreuzen kann, wenn man etwas online bestellt. Es ist ein langer und schwieriger Prozess. Wir sind gerade dabei, eine Lieferkette für fair gefördertes Kobalt aufzubauen. Aber so etwas dauert fünf Jahre.

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Kinder mit ihrer Kupferausbeute

Der dritte große Punkt, in dem sich Fairphone von anderen Herstellern abheben will, ist die Entsorgung und Lebensdauer des Smartphones. Was machen Sie da anders?

Wir wollen, dass die Käufer unser Telefon benutzen, solange es irgendwie geht. Deshalb haben wir darauf geachtet, dass man den Akku auswechseln kann, wir verkaufen Ersatzteile separat und stellen Anleitungsvideos ins Netz, wie man Dinge selbst repariert. Unser nächstes Modell soll noch modularer aufgebaut sein. Das bedeutet, dass man einzelne Komponenten einfacher austauschen kann und nicht gleich ein komplett neues Gerät kaufen muss, weil beispielsweise die Kamera oder die Tasten kaputt sind.

Die Firma Fairphone gibt es seit Anfang 2013. Was hat sich seither als unkomplizierter als gedacht erwiesen?

Die Telefone zu verkaufen. Im Januar 2014 haben wir die ersten Geräte ausgeliefert, inzwischen sind alle 25 000 Geräte der ersten Produktion verkauft.

Das zeigt, dass eine echte Nachfrage für Produkte besteht, die anders hergestellt werden als bisher. Wir wussten, dass es ein solches Interesse gibt, aber wir waren überwältigt von der Unterstützung durch unsere Community. 

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Fairphone-Mitarbeiter in Kolwezi (Demokratische Republik Kongo)

Wer sind Ihre Kunden?

Wir haben wahrscheinlich die schwierigste, weil vielfältigste Klientel der Branche: von Senioren, die noch nie ein Smartphone benutzt haben, bis zu Hacker-Kids aus der Open-Source-Szene. Aber sie haben alle eines gemeinsam: Für sie ist das Fairphone ein Statement und nicht nur ein cooles neues Hightechprodukt.

Das Fairphone – aber auch Biogemüse und Fair-Trade- Schokolade – versprechen, dass ich als Verbraucher durch korrekten Konsum die Welt retten kann. Warum bekommt der Kunde die ganze Verantwortung und nicht die Hersteller?

Es geht nicht darum, dass sich die Leute unser Telefon kaufen und dann besser einschlafen können, weil sie denken, das Richtige getan zu haben. Unser Telefon ist nicht die Lösung. Es ist nur ein Mittel zum Zweck, ein Symbol, um klarzumachen, wie verkorkst unser ganzes Wirtschaftssystem ist.

Konsumenten sind nur ein Teil der Geschichte. Wenn sie Verantwortung übernehmen, ist das ein sehr guter Anfang. Aber Menschen sind nicht nur Konsumenten, sie sind auch Lehrer, Designer, Beamte, Geschäftsleute, je nachdem. Es ist wichtig, uns klarzumachen, dass dieses Wirtschaftssystem aus uns allen gemeinsam besteht und dass wir in jeder unserer Rollen Verantwortung übernehmen können.    

Ist das gute Gewissen des Kunden nicht einfach eine Marktlücke, die Sie entdeckt haben?

Natürlich wollen wir auch Telefone verkaufen. Wir nennen das »Social Enterprise«, das heißt: Wir nutzen ein kommerzielles Modell, um soziale Veränderung zu erzielen. Wir kommen mit dem ersten Fairphone-Modell vermutlich nahe bei null raus. Aber selbst wenn wir Geld verdienen, werden wir das in neue Verbesserungen investieren. Im nächsten Fairphone sollen zum Beispiel fair gehandeltes Wolfram und Kobalt stecken. Wir wollen den anderen Herstellern durch unseren Ansatz zeigen, wo ein ethisch besseres Verhalten möglich ist, und hoffen, dass nach und nach große Firmen wie Apple oder Samsung nachziehen.

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Fairphone-Chef Bas van Abel (links) bei einem Besuch der Conflict Free Tin Initiative (CFTI) im Kongo

Sind diese Konzerne wirklich so unwillig, sich umzustellen?

Sie sind nicht unwillig, aber es gibt für sie auch keinen echten Anreiz. Das liegt daran, dass sie nicht der Umwelt verpflichtet sind oder der Menschheit, sondern ausschließlich ihren Aktionären. Jeder internationale Konzern, der an der Börse ist, handelt wie ein Psychopath. Nicht, weil er es will, sondern weil unser Wirtschaftssystem und wir alle ihn dazu zwingen. Wir alle glauben, dass alles zusammenbricht, wenn es kein Wachstum mehr gibt.

Aber damit Firmen aus Profitgier nicht alles machen können, was sie wollen, gibt es ja Gesetze. Könnte man viele Dinge, für die Fairphone eintritt, nicht auf diese Art regeln?

Ein Stück weit passiert das schon. Durch ein US-Gesetz namens Dodd-Frank Act müssen Firmen, die an der Wall Street gehandelt werden, bei einigen Metallen offenlegen, woher sie diese beziehen. Solche Regelungen sind natürlich nicht verkehrt. Oft wird die Politik aber auch erst aktiv, wenn sie merkt, dass es den Konsumenten wirklich ernst mit einem Thema ist.

Interview: Christoph Koch
Fotos: Fairphone

Erschienen in: NEON 3/14

Update: Fairphone hat mir Ergänzungen zu einigen Antworten geschickt und mich gefragt, ob ich diese noch einfügen könnte. Diese Ergänzungen stehen nicht im Widerspruch zu den ursprünglichen Antworten, könnten aber für mehr Kontext sorgen. Ich habe sie kursiv eingefügt.

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About the Author

About the Author: Christoph Koch ist Journalist (brand eins, GEO, NEON, Wired, GQ, SZ- und ZEIT-Magazin, Süddeutsche, etc.), Autor ("Ich bin dann mal offline" & "Digitale Balance" & "Was, wäre wenn ...?") sowie Moderator und Vortragsredner. Auf Twitter als @christophkoch unterwegs, bei Mastodon @christophkoch@masto.ai .

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