Stockholm – Schaut auf diese Stadt

Written by on 29/09/2016 in brand eins with 0 Comments

Stockholm gilt international als einer der besten Standorte für Internet-Unternehmen. Obwohl dort ganz andere Regeln gelten als im Silicon Valley. Vielleicht aber auch genau deswegen.

Wenn es eine Eigenschaft der Schweden gibt, die als extrem gilt – dann ist das ihre Besonnenheit. Zurückhaltung, Höflichkeit und Mäßigung sind Grundtugenden. Lautstärke ist dagegen in jeder Form verpönt. Es muss also viel passieren, damit wie am 11. Mai 2016 in Stockholm die Menschen auf die Straße gehen. Mit Schildern haben sie sich am Vormittag vor dem Riksdag postiert, dem schwedischen Parlament. „Zwingt uns nicht, in die USA zu ziehen – wir mögen keine Burger“, steht auf ihren Plakaten. Oder: „Fix this fast!“

Es sind vor allem junge Unternehmer aus der Tech-Branche, die gegen die ihrer Ansicht nach schlechten Bedingungen für Start-ups in Schwedens Hauptstadt protestieren. Es fehle an Wohnraum, so die Klage, die Einwanderungsgesetze seien zu streng und die Steuern auf Aktienoptionen zu hoch. Der Demonstration voraus ging ein offener Brief von Daniel Ek, dem Gründer und Vorstandsvorsitzenden von Spotify. Er hatte dieselbe Kritik an Schwedens Politikern geäußert und gedroht, Spotify notfalls ins Ausland zu verlagern, falls Stockholm seinen Bedürfnissen nicht entgegenkäme.

Der Konflikt schwelt schon seit einer Weile, und es geht dabei um nicht weniger als um die Deutungshoheit über die Zukunft der Stadt sowie die Frage, in welche Richtung sie sich entwickeln soll – und wie die Stockholmer in ihr leben möchten. Im Grunde ist es ein Kampf zwischen dem sozialdemokratischen Wohlfahrtsstaat schwedischer Prägung und einer Wirtschaftsordnung, die sich am kalifornischen Standard orientiert, der auf die Selbstregelungskräfte des Marktes setzt.

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Doch ist Stockholm wirklich so rückständig und innovationsfeindlich, wie manche der Online-Unternehmer es behaupten?

Im Gegenteil: Die Stadt hat sich in den vergangenen Jahren als sehr guter Standort für Internet-Unternehmen erwiesen. Stockholm wurde von der britischen »Financial Times« gar als „Unicorn Factory“ gefeiert, weil, abgesehen vom Silicon Valley, nirgendwo auf der Welt die Dichte an sogenannten „Einhörnern“ höher ist: Onlinefirmen mit einer Marktbewertung von mehr als einer Milliarde Dollar – wie in Schweden etwa Spotify, Skype und die Spielefirma Mojang, die hinter dem Videospiel „Minecraft“ steckt.

Auch in anderen Rankings, die bewerten, in welcher Stadt Tech-Firmen am besten gedeihen, landet Stockholm regelmäßig weit vorn. 18 Prozent aller Stockholmer etwa arbeiten in der Tech-Branche, so viel wie in kaum einer anderen europäischen Stadt. Berlin kommt auf 12 Prozent, London auf 11,5. Stockholm scheint das Kunststück gelungen zu sein, erfolgreich in einer von Start-ups getriebenen Ökonomie zu sein, ohne die sozialstaatliche Identität aufzugeben.

Planwirtschaft moderner Art

Die Gründe für Stockholms Erfolg reichen Jahrzehnte zurück: So half Schwedens Regierung beispielsweise in den Neunzigerjahren Bill Gates’ Vision, „ein Computer in jedem Haushalt“, Realität werden zu lassen – und subventionierte die Anschaffung von PCs für Familien. Eine ganze Generation von Schweden wuchs ganz selbstverständlich mit Computern auf, lernte das Programmieren und digitale Tüfteln. Die große Zahl von Softwareentwicklern und anderen Digitalarbeitern, die derzeit so nützlich für Schwedens Wirtschaft sind, wurde also durch eine staatliche Förderung vor rund 20 Jahren ermöglicht.

Auch die Notwendigkeit einer öffentlichen digitalen Infrastruktur hat man in Stockholm früh erkannt. Im Jahr 1994 wurde deshalb Stokab gegründet, ein städtischer Träger für extrem schnelle und leistungsstarke Glasfaserleitungen. Stokab ist für die Leitungen verantwortlich, muss aber nicht gewinnorientiert arbeiten. So kommen nicht nur Gegenden in den Genuss von gigantischen Bandbreiten, die finanziell besonders lukrativ sind – sondern alle. Stokab verkauft keine Internetanschlüsse an Endkunden, sondern stellt seine Infrastruktur mehr als 100 konkurrierenden Dienste-Anbietern bereit. Diese stellen dann Unternehmen und Privatkunden Breitbandverbindungen von bis zu 1000 MBit pro Sekunde zu sehr günstigen Preisen zur Verfügung.

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Text: Christoph Koch
Foto: Felix Brüggemann

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About the Author

About the Author: Christoph Koch ist Journalist (brand eins, GEO, NEON, Wired, GQ, SZ- und ZEIT-Magazin, Süddeutsche, etc.), Autor ("Ich bin dann mal offline" & "Digitale Balance" & "Was, wäre wenn ...?") sowie Moderator und Vortragsredner. Auf Twitter als @christophkoch unterwegs, bei Mastodon @christophkoch@masto.ai .

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