Die Klick-Affäre: Eine US-Website soll nun auch Deutschen das Fremdgehen erleichtern

Written by on 28/02/2011 in Wollt grad sagen with 1 Comment

Mit Ashley Madison kommt die US-Webseite für den anspruchsvollen Fremdgeher nun auch nach Deutschland. Ihr Erfolgsrezept: virtuelle Rosen und schlechte Presse.

Als Yonni Barrios, einer der eingesperrten chilenischen Minenarbeiter, zurück ans Tageslicht geholt werden sollte, wollte er von zwei Frauen erwartet werden: seiner Ehefrau, die er vor 28 Jahren geheiratet hatte – und seiner Geliebten. Noel Biderman, Gründer und CEO des Fremdgehportals Ashley Madison (ashleymadison.com). tat, was er in solchen Fällen immer tut: Er machte Barrios ein Angebot. 100 000 US-Dollar soll der Minenarbeiter erhalten, wenn er in TV-Spots und mit Liveauftritten für das Fremdgehen an sich und Ashley Madison im Besonderen wirbt.

Sollte der Chilene das Angebot ablehnen, befindet er sich in bester Gesellschaft: Noel Biderman wollte bereits mehrere Footballstadien sowie den Flughafen von Phoenix nach seiner Firma umbenennen lassen – und stellte Tiger Woods, nachdem dessen Anaren ans Licht kamen, die für Woods` Verhältnisse mickrige Gage von fünf Millionen Dollar in Aussicht, wenn der Golfer drei Jahre lang als Werbefigur für Ashley Madisons Fremdgehdienste aufgetreten wäre. Die Summen, die Biderman anbietet, sind bewusst niedrig: „Wenn die Leute mein Angebot annehmen – wunderbar“, erklärt der Kanadier und grinst. „Wenn nicht, habe ich mein Geld gespart, erzähle der Presse davon und kriege trotzdem meine Publicity.“

Der 39-jährige Biderman – laut eigenen Aussagen ein treuer Ehemann und Familienvater – ist eigens nach Berlin gekommen, um den hiesigen Start seiner Online-Community zu promoten. Über sieben Millionen Nutzer, behauptet Biderman, gebe es mittlerweile in den neun Ländern, in denen Ashley Madison bisher am Markt ist. Und auch in Deutschland lasse sich das Geschäft mit der Untreue gut an: „Wir hatten 300 000 Besucher im ersten Monat, als wir lediglich eine Art Probebetrieb hatten“, sagt er und lehnt sich zufrieden zurück. „Als kritische Masse brauchen wir etwa 250 000 regelmäßige Nutzer, ich denke, das können wir in drei bis sechs Monaten erreichen.“ Nach dem englischsprachigen Markt mit Kanada, USA, Australien und Großbritannien, der bisher insgesamt 60 Millionen US-Dollar Umsatz erwirtschaftet, soll der deutschsprachige weltweit die Nummer zwei werden. Am Valentinstag 2002, so die Legende, die Biderman bereitwilligerzählt, hat er Ashley Madison – benannt nach den beiden damals populärsten Mädchennamen – mit einem Kompagnon gegründet. „Ich hatte einen Bericht darüber gelesen, dass rund 30 Prozent aller Menschen, die auf Singlebörsen nach Partnern suchen, gar nicht Single sind“, erinnert er sich an den Ursprung der Idee. „Der Artikel verkaufte das als schockierend. Für mich las es sich eher wie eine Geschäftsidee.“

Sein damaliger Beruf als Sportagent tat ein Übriges: „Ich vermittelte damals Basketballer, die ihre beste Zeit hinter sich hatten, von der amerikanischen NBA nach Europa“, erinnert sich der stämmige Mann im Sportsakko und bunt gestreiften Hemd. „Von Leverkusen bis nach Rom – und da gab es ständig Anrufe über plötzliche Besuche von Ehefrauen und ausrastende Geliebte. Ich wusste also, es gibt einen Markt für ein Fremdgehportal.“ Im Jahr 2007 stieg Bidermans Kompagnon aus, Ashley Madison gehört seitdem der Firma Avid Life Media, die daneben noch ähnlich amouröse Webseiten betreibt, etwa cougarlife.com (ältere Frauen daten junge Männer), swappernet.com (Swingerpaare finden Gleichgesinnte) oder hotornot.com (Nutzer bewerten Bilder anderer Nutzer nach Attraktivität). Seit dem Verkauf wird Ashley Madison auch deutlich aggressiver vermarktet, was sich in einem Umsatzplus von 400 Prozent in den letzten zwei Jahren niederschlägt. Das Geld wird jedoch nicht wie sonst bei Partnerbörsen üblich durch Monatsgebühren erwirtschaftet, sondern durch ein eher unübersichtliches Punktesystem: Für 49 Euro bekommt der Nutzer 100 Credits, die er zum Beispiel dazu verwenden kann, einem anderen Nutzer, dessen Profil ihm gefällt, eine Nachricht zu übermitteln. Fünf Credits, also 2,45 Euro, werden für das Anschreiben fällig. Es ist wenig überraschend, dass 95 Prozent des Umsatzes von Männern generiert werden.

Andere Möglichkeiten, seine Credits auszugeben (die nur en bloc gekauft werden können), sind Chats mit potenziellen Affärenpartnern oder der derzeit heißeste Markt im Onlinebusiness: virtuelle Waren. Anderswo kaufen Farmville-Junkies für das beliebte Bauernhofspiel virtuelles Saatgut und nerven ihre Facebook-Freunde mit Fortschritten bei der Rinderzucht – bei Ashley Madison dekoriert man seine Nachrichten zum Beispiel mit einer Rose. Das Erstaunliche ist: Die Leute scheinen nichts dabei zu finden, für diese „virtual goods“ mit echtem Geld zu bezahlen. Eine Rose kostet bei Ashley Madison 30 Credits und somit knapp 15 Euro, eine rein virtuelle Halskette 25 Euro. „Ihre Chancen steigen dramatisch, wenn Sie eine Nachricht mit einem virtuellen Geschenk senden“, behauptet die Ashley-Madison-Seite. Es wäre auch naiv, gerade auf einem Fremdgehportal so etwas wie nichtkommerzielle Romantik und innere Werte zu vermuten.

„Wir haben übrigens auch eine große Anzahl von Singles, die sich bei uns anmelden“, sagt Biderman und fügt hinzu: „Die Einzigen, die wir regelmäßig aussieben, sind Prostituierte und professionelle Stripcam-Betreiber.“ Paradoxe Onlinewelt: In Singlebörsen suchen Verheiratete, im Fremdgehportal die Ungebundenen. Gleichzeitig aber auch vielleicht ein Zeichen dafür, dass sich die Kommerzialisierung unseres Gefühls- und Liebeslebens eben doch nicht so problemlos planen und steuern lässt. Trotzdem scheint es nur eine Frage der Zeit, bis es auch für die letzte menschliche Regung eine entsprechende Onlineplattform gibt: „Klicken Sie hier, um die Livecam-Übertragung vom Grab Ihres Vaters zu starten“ – „Starten Sie unseren virtuellen Schlussmachagenten für eine individuelle Abschiedsbotschaft“ – „Um ein Adoptivkind in den Warenkorb zu legen, müssen Sie eingeloggt sein.“ So in etwa.

Natürlich hat jemand wie Noel Biderman, der mit dem Slogan „Das Leben ist kurz. Gönn dir eine Affäre!“ aktiv zum Ehebruch aufruft, jede Menge Feinde. Da helfen auch keine lustigen Werbespots: „Dieses Paar ist verheiratet…“, wird ein leidenschaftlicher Akt in einem TV-Spot kommentiert. „… aber nicht miteinander.“ Bidermans Trick ist es, die Empörung seiner Kritiker produktiv zu nutzen: Als er sich im Sommer beim konservativen Nachrichtensender Fox News von einem Moderator beschimpfen ließ, spülte das 20 000 neue Besucher pro Minute auf die Webseite – so viele wie nie zuvor. Als Ashley Madison in Toronto auf öffentlichen Bussen werben wollte, sperrte sich die Stadtverwaltung dagegen – kurz darauf musste einer der Verantwortlichen wegen eines Sexskandals zurücktreten. Unbezahlbare Publicity, zum Nulltarif. Auch die Konkurrenz tut Biderman den Gefallen, ihn durch Angriffe im Gespräch zu halten: „Er macht sein Geld mit gebrochenen Herzen, kaputten Ehen und zerstörten Familien“, beschwert sich etwa Trish McDermott, Mitgründerin zweier herkömmlicher Partnerbörsen. Ashley Madison sorgt dafür, dass gebrochene Versprechen und Untreue plötzlich hip aussehen – wie lustiger Gesprächsstoff für die nächste Party.“

Noel Biderman selbst sieht seine wahre Konkurrenz aber weder in den klassischen Partnerbörsen wie parship.de oder neu.de noch in schmutzigeren Varianten, wie beispielsweise Seiten wie adultfriendfinder.com sie anbieten. „Unsere wahre Konkurrenz sind die Orte, wo Menschen nach Möglichkeiten zum Fremdgehen suchen – also das Büro und neuerdings Facebook“, sagt Biderman. „Dabei gibt es keine dümmeren Orte, um eine Affäre anzuzetteln, als unter den Augen der Kollegen, der Freunde oder der Familie.“ Seine Firma tue alles, die Identität ihrer Nutzer zu schützen, um digitale Lippenstiftspuren“ zu verhindern. So erfolgen Abbuchungen von der Kreditkarte nur unter einem unverdächtigen Namen, niemals unter Ashley Madison. „Anfangs musste ich Kreditkartenfirmen noch mühsam erklären, dass es mein Geschäftsmodell zerstört, wenn mein Firmenname in der Abrechnung auftaucht“, erinnert sich Biderman.

In Deutschland hat das Spiel mit der Moral erst begonnen. „Biderman, der Brandstifter“, nannte ihn die „Welt am Sonntag“, und erste Sender in Bayern haben sich geweigert, Ashley-Madison-Spots auszustrahlen – Biderman freut`s, bekommt er die Publicity erneut, ohne einen Scheck auszustellen. Egal, ob der Minenarbeiter Yonni Barrios sein Werbeangebot nun annimmt; ob Tiger Woods den Vorschlag überhaupt einer Antwort würdigt; oder welchen Flughafen er erfolglos in „Ashley Madison Airport“ umbenennen will: Noel Biderman kann nur gewinnen. Denn es finden sich immer genug Menschen, die glauben: alles was in ihrem Leben fehle, sei eine Affäre.

Text: Christoph Koch
Erschienen in: GQ

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About the Author

About the Author: Christoph Koch ist Journalist (brand eins, GEO, NEON, Wired, GQ, SZ- und ZEIT-Magazin, Süddeutsche, etc.), Autor ("Ich bin dann mal offline" & "Digitale Balance" & "Was, wäre wenn ...?") sowie Moderator und Vortragsredner. Auf Twitter als @christophkoch unterwegs, bei Mastodon @christophkoch@masto.ai .

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  1. Irene Brecht sagt:

    Ich muss gerade an die Werbekampagne vor gut zwei Jahren denken. Sie erinnern sich bestimmt: Das Plakat auf dem Seehofer, Clinton und Schwarzenegger abgebildet waren und das den Untertitel trug: „Was haben diese drei Männer gemeinsam?“ Biderman hat sicher den Bogen raus, was werbewirksam und vor allem profitabel ist. Allerdings finde ich es schon ziemlich unverfroren, hierfür ungefragt Bilder von Personen, die im öffentlichen Leben stehen zu verwenden und dazu noch in diesem Zusammenhang. Das ist wie zu früheren Zeiten der Pranger. Nun könnte man sagen, selbst schuld! Wenn man eine mehr oder weniger öffentliche und weithin bekannte Person ist, muss man mit solchen Dingen eben rechnen. Mag sein – aber nur bis zu einem gewissen Grad! Irgendwo sind Grenzen und zwar die des guten Geschmacks.

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