Hamilton-Musical: Staatsverschuldung, yo!

Written by on 29/06/2018 in brand eins with 0 Comments

Ein Hip-Hop-Musical über Amerikas ersten Finanzminister? Rappen über das Bankensystem? Klingt sperrig bis überpädagogisch. Doch „Hamilton“ bricht am Broadway alle Rekorde. Und soll nun auch nach Deutschland kommen.

Als im April 2009 sein Telefon klingelt und das Weiße Haus ihn einlädt, bei einem Liederabend für den frisch vereidigten US-Präsidenten Barack Obama zu singen, ist Lin-Manuel Miranda 29 Jahre alt. Er hat gerade mit dem von ihm geschriebenen und komponierten Musical „In The Heights“ einen Achtungserfolg erzielt – aus diesem Werk über ein Einwandererviertel möge er doch bitte etwas vortragen.

Miranda geht hin. Aber als er vor Barack Obama, dessen Frau Michelle und hochrangigen Gästen auf einer kleinen Bühne steht, kündigt er eine andere Nummer an. Er schreibe an einem größeren Werk über Alexander Hamilton, den ersten Finanzminister der USA. Hip-Hop übrigens. Gelächter im Saal. Ein Rap über einen längst verstorbenen Bürokaten? Dann beginnt Miranda mit schelmischem Grinsen und zu Klavierbegleitung zu rappen. In einem Song erzählt er die Lebensgeschichte des Mannes, der im Vergleich zu Zeitgenossen wie Thomas Jefferson und George Washington als einer der unwichtigeren Gründerväter gilt. Nicht nur die First Lady schnippt begeistert mit – am Ende erheben sich alle zum Stehapplaus.

Miranda arbeitete nach dem kurzen Auftritt noch sechs Jahre an seinem Musical über Alexander Hamilton, den Mann, der heute die Zehn-Dollar-Note ziert. Das Stück wurde zum Mega-Erfolg: Es ist seit seiner Premiere 2015 durchgehend ausverkauft, die Schwarzmarktpreise für die Tickets lagen zeitweise bei mehr als 5000 Dollar. Es wurde mit 15 Tonys, den Oscars der Musicalwelt, ausgezeichnet und gewann sowohl den Pulitzerpreis für Theater als auch einen Grammy. Das »Time Magazine« nahm Lin-Manuel Miranda in die Liste der 100 einflussreichsten Menschen der Welt auf. Ein üppig ausgestattetes Buch mit den Texten, Anmerkungen Mirandas und Essays führte wochenlang die Bestsellerliste der »New York Times« an. Neben den Aufführungen am Broadway ist das Stück inzwischen auch in Chicago, Los Angeles und London zu sehen.

Beef mit allen

Erfolgreich ist das Musical, weil Miranda tatsächlich einen faszinierenden Stoff zutage gefördert hat, auch wenn man das auf den ersten Blick nicht glauben mag. Die Idee, das Leben des einstigen Finanzministers als Musical zu vertonen, kam ihm, als er im Urlaub die rund 600-seitige Hamilton-Biografie des Historikers Ron Chernow las, der später auch als Berater am Bühnenstück mitwirken sollte. Noch im aufblasbaren Swimmingpool-Stuhl wurde dem Musiker klar, dass es sich bei Hamiltons Leben um einen klassischen Hip-Hop-Stoff handelt: Mitte des 18. Jahrhunderts als uneheliches Kind auf einer Karibikinsel aufgewachsen, wurde Hamilton bald zum Waisen und aufgrund seines außerordentlichen schreiberischen Talents nach New York geschickt. Dort schloss er sich der Amerikanischen Revolution an, avancierte zu George Washingtons rechter Hand – und legte sich dennoch mit beinahe jedem seiner Kollegen an. „Er hatte mit allen Beef“, beschreibt Miranda bei seinem Auftritt im Weißen Haus die streitsüchtige Mentalität seines Protagonisten. „Und das meist allein aufgrund der Texte, die er schrieb. Für mich verkörpert er die Macht des Wortes.“

Mirandas Faszination für seinen Helden hat sicherlich auch mit der eigenen Biografie zu tun: Seine Eltern stammen ebenfalls aus der Karibik, siedelten von Puerto Rico nach New York über. Ihr dort geborener Sohn Lin-Manuel, der früh sein Talent für das Verfassen von Theaterstücken und die Schauspielerei entdeckte, merkte jedoch, dass ihm aufgrund seiner Herkunft nicht alle Türen offen standen: „Bei Castings wurde ich höchstens als bester Freund des weißen Hauptdarstellers in Erwägung gezogen“, sagte er in einem Interview mit dem »New Yorker«. „Ich merkte: Wenn ich die Hauptrolle will, muss ich sie mir selber schreiben.“

Miranda schrieb sich nicht nur Hamilton auf den Leib; sämtliche wichtigen Rollen des Stückes sind mit Afroamerikanern, Latinos oder asiatischstämmigen Schauspielern besetzt. Miranda betont, dass es kein kalkulierter Tabubruch sei, George Washington von einem Schwarzen spielen zu lassen: „Unsere Besetzung sieht aus, wie Amerika heute aussieht“, sagt er, „und das ist zweifellos Absicht.“

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About the Author

About the Author: Christoph Koch ist Journalist (brand eins, GEO, NEON, Wired, GQ, SZ- und ZEIT-Magazin, Süddeutsche, etc.), Autor ("Ich bin dann mal offline" & "Digitale Balance" & "Was, wäre wenn ...?") sowie Moderator und Vortragsredner. Auf Twitter als @christophkoch unterwegs, bei Mastodon @christophkoch@masto.ai .

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