Keith Flint – der Prodigyfrontmann und die Sache mit der neuen Droge

Written by on 24/06/2003 in Intro with 0 Comments

Ist Keith Flint nur ein Pillen fressender Verrückter mit zu viel Blech im Gesicht? Oder vielleicht doch ein ernst zu nehmender Musiker, der eben stets genau verstand, welche Rolle er als Teil des Prodigy-Outfits zu übernehmen hatte? Während die mit ihrem neuen Album auf sich warten lassen, beschäftigt sich ihr Frontmann jedenfalls anderweitig. Und nach den eher elektronischen Soloprojekten seiner Bandmates hat sich Keith Palmer, wie er bürgerlich heißt, eine richtige R.O.C.K.-Band gesucht. Eine Band, die seinen Nachnamen trägt, aber trotzdem nicht als „Begleit-Boygroup des Prodigy-Sängers“ verstanden werden will. Sampler zu Gitarren also, Breakbeats zu donnernden Stakkato-Riffs.

Eigentlich ist The Egg ein Schwulenclub, erst vor ein paar Wochen eröffnet und trotzdem bereits in aller Munde. Zu Gast waren bisher Leute wie Ellen Alien, Andrew Weatherall und Miss Kittin, die einschlägigen Magazine sind voll des Lobes. Heute drängen sich vor und in dem verwinkelten Bau inmitten eines verlassenen Warehouse Districts unweit von King’s Cross vor allem Freunde von Keith Flint und den anderen Mitgliedern der Band, zu der auch Ex-Pitchshifter-Gitarrist Jim Davies gehört. Dazu die Abgesandten der englischen Pop-Presse sowie ein paar ausgewählte Fans und Groupies, die den Altersdurchschnitt senken und die Stimmung heben sollen – was ihnen auch gelingt.


Es gibt keine Bühne, nur eine Ecke ist durch eine Absperrung vom Rest des Raumes abgeteilt. Als er hinter den Boxen zum Vorschein kommt und sich die anderen Jungs ihre Instrumente umschnallen, merkt man Keith Flint eine gewisse Nervosität durchaus an. Aber er hat seine eigene Art, damit umzugehen: Während die Band die ersten Akkorde des Songs „Asteroids“ raushaut, schnappt er sich das Mikrofon, klettert auf die Absperrung und stürzt beinahe ins Publikum, das er, sich an der niedrigen Decke abstützend, aus nächster Nähe anstarrt, anschreit, fixiert, mit seinen Blicken zu Boden ringt. „Yeee-heeeaaah! I like it!“ brüllt er über den stampfenden Beat der beiden Schlagzeuger, die mit einer unglaublichen Präzision auf ihre beiden Sets eindreschen. „I left you in paradise“, schreit er gegen den mulmenden Bass und die Schneidbrennergitarre an, im Publikum werden eilig die Hosentaschen nach Taschentüchern abgeklopft. Die Lautstärke und Wucht, mit der Flint auf ihr Publikum einprügeln, ist unfassbar. Rhythmische Tritte ins Gesicht können sich nicht erheblich anders anfühlen.

Schon während des zweiten Tracks ist Keith Flints Gesicht schweißüberströmt. Er trägt einen leicht asymmetrischen Iro, Lederweste, darunter schauen die Ärmel einer kunstvoll zerschlissenen und durchlöcherten Jeansjacke hervor. Seine Füße stecken in blauen Boxstiefeln von Adidas, die gelben Fußballstutzen hat er nach unten geschoben, darüber ein weißer Schottenrock, wie Prodigy-Kollege Maxim Reality schneidert er sich diese manchmal selbst. „Kamakaze“, „Femme Fatale“, die Band spielt alle Tracks des Ende Juli erscheinenden Albums, bei „Laughs“ singt „Flinty“, wie ihn seine Jungs nennen, sogar ein bisschen. Und es klingt nicht mal schlecht. Seine große Stärke – neben seiner physischen Präsenz, seinem Tanzstil, seiner Art, „all over the place“ zu sein – bleibt aber das schnarrende, übersteuerte Schreien, das stets von einer nicht gerade subtilen Boshaftigkeit durchtränkte Gebell. Als wäre John Lydon, als wären die Sex Pistols nie passiert …

Nach etwa 45 Minuten ohne eine einzige Ansage oder ein sonstiges Wort an das Publikum verlässt die Band die Bühne. Es ist ein Gefühl, als würde man nachts an einem Bahnsteig stehen. Als hätte vorhin ein leises Surren den herannahenden Zug angekündigt, dann mit einem Knall das laute Rattern und Rauschen, während die Güterwaggons an einem vorbeibrettern. Und dann plötzlich ein massiver Schlag, mit dem es wieder abreißt, der letzte Waggon, der in der Dunkelheit verschwindet, die Luft rauscht, flattert noch ein wenig nach, dann herrscht Stille.

Sake und Rohypnol

Nach dem Konzert findet im oberen Stockwerk des Clubs eine Aftershow-Party statt. Wie im Erdgeschoss dominieren auch hier die Farben Pink und Lila, aber durch die hölzernen Dachbalken entsteht ein höchst seltsamer urbaner-Club-dickslaps-Skihütte-Effekt. Der DJ legt inzwischen schon das dritte Remix-Bootleg von „Seven Nation Army“ auf, Geishas reichen Sake und Sushi, da betritt Keith Flint den Raum. Geduscht, umgezogen und sichtbar erleichtert, als ihm die ersten Gratulanten um den Hals fallen und auf die Schultern klopfen. Auch Boy George (der ein paar Häuser entfernt von Flint lebt) und die übrigen Mitglieder von Prodigy erweisen ihre Referenz, nach und nach tröpfelt der Rest der Band ein und lässt sich feiern.

Mit ihrem letzten Album „Fat Of The Land“ belegten Prodigy in der Veröffentlichungswoche in 23 Ländern den ersten Platz der Charts. In Großbritannien verkauften sie in dieser Woche mehr als der Rest der Top 100 zusammen, auf acht verkaufte Prodigy-Alben kam eines der damaligen Nummer #2, Radioheads „OK Computer“. Der Vorwurf, mit ihrer letzten Single „Baby’s Got A Temper“ und den darin von Keith Flint gesungenen Zeilen „We love Rohypnol / She got Rohypnol / We take Rohypnol / Just [to] forget it all …“ nur Schlagzeilen machen und somit Platten verkaufen zu wollen, erscheint angesichts dieses Erfolges absurd, beinahe unverschämt. Selbst wenn Liam, Keith und Maxim in ihrem Leben kein einziges Album mehr verkaufen würden, müssten die Enkel ihrer Enkel wohl nie mehr arbeiten gehen.

„Baby’s Got A Temper“ ist ursprünglich ein Flint-Song, den Liam Howlett einer Prodigy-Behandlung unterzog. Auf dem Flint-Album wird der Track in seiner ursprünglichen Version unter dem Titel „No Name No Number“ enthalten sein. „Jeder, der sich den Text anhört, wird merken, dass es darin nicht darum geht, jemanden gefügig zu machen und zum Sex zu zwingen“, erklärt Keith Flint auf die Frage nach der Rohypnol-Referenz, das gemeinhin als „Date Rape Drug“ für Aufsehen und sorgenvolle Elterngesichter sorgt: „Der Song zeichnet ein ganz anderes Bild: Es geht darum, dass es eine relativ normale Droge ist, die einfach da ist und die die Leute nehmen. Wenn du viel gekokst hast, ist es einfach ein guter Weg, um wieder runterzukommen. Die Ironie dabei ist ja, dass, wenn ich Rohypnol genommen habe, es stets Frauen waren, die es mir gegeben haben.“

Keith Flint hat nie einen Hehl daraus gemacht, dass er Drogen als etwas durchaus Erholsames ansieht. Doch langsam scheinen auch bei ihm die wildesten Zeiten vorbei zu sein: „Wir arbeiten so konzentriert mit der Band, dass die Musik im Moment meine Lieblingsdroge ist, ansonsten überwiegend Joints. Die letzte richtig wilde Geschichte ist mit Sicherheit schon ein dreiviertel Jahr her. Es waren diverse verschreibungspflichtige Medikamente im Spiel, und ich war in meinem Haus in Essex im oberen Stockwerk. Die Beastie Boys liefen, und ich wollte mit einem Mal Schlagzeug spielen. Ich fiel zwei Treppen herunter, knallte mit dem Gesicht gegen die Wand und merkte, wie mein Gesicht heiß und nass wurde. Als ich mich aufgerappelt hatte, stürzte ich – 45 Grad nach vorne geneigt – hinters Schlagzeug und begann zu spielen, merkte schnell, dass ich es nicht konnte, machte mir aber nichts draus. Irgendwann war ich fertig, es klingelte an der Tür, und ein Lieferant brachte Aufnahme-Equipment vorbei. Er machte erst große Augen, als er mich sah, aber dann unterhielten wir uns eine Weile ganz normal. Als ich danach ins Bad ging, sah ich in den Spiegel und merkte, dass ich mir bei dem Sturz die Nase angeschlagen hatte und mein ganzes Gesicht und mein Hals blutverschmiert waren. Aber der Typ hat kein Wort darüber verloren.“

Proben und Schlagzeuger

Keith Flint, das wird schnell klar, wenn man ihn abseits der Bühne erlebt, ist ein Mann voller Widersprüche. Er leidet seit jeher an Dyslexie, einer starken Lese- und Rechtschreibschwäche, ist im Interview aber sehr artikuliert und reflektiert. Während er auf der Bühne den theatralischen und durchgeknallten Satansbraten gibt, ist er im Gespräch herzlich und zuvorkommend. Zum Interview im ersten Stock des schicken Electric House Café in der Portobello Road trägt der Sänger ein hochgekrempeltes rotes Karohemd, das den Blick auf tätowierte Unterarme freigibt, und umgeschlagene Dark Denim Jeans, dazu dieselben Adidas-Boxstiefel wie am Vorabend.

Wie und wann bist du auf die Idee gekommen, ein eigenes Projekt zu machen?

Es war keine wirklich bewusste Entscheidung, wenn ich ehrlich bin. Es kam einfach. Ich habe angefangen, Gitarre zu lernen, und die anderen Jungs hingen sowieso oft genug in meinem Haus rum. Sie haben gejammt, haben mir Stücke gezeigt, irgendwann habe ich mitgemacht und dazu gesungen, und wir haben angefangen, die Stücke aufzunehmen. Erst jetzt, in Interviews, merke ich, dass wir nie eine Band gegründet haben, sondern uns einfach irgendwann in einer wieder fanden.

Prodigy haben bis auf ein einziges Mal ganz am Anfang ihrer Karriere nie geprobt – ist das für dich jetzt eine große Umstellung?

Auf jeden Fall, aber das ist auch gut so. Was bei der einen Sache bestens funktioniert, kann ja bei der anderen völlig fehl am Platze sein. Wir müssen mit Flint so tight wie möglich rüberkommen, wenn wir schon die Eier haben und komplett live spielen. Wir haben viel Arbeit in diese Band gesteckt, sodass wir es uns nicht leisten können, nicht auf allen Zylindern zu fahren.

Das klingt ein bisschen so, als wärst du der Boss der Band, der Antreiber …

Überhaupt nicht. Alleine bin ich aufgeschmissen, alleine kann ich gar nichts. Für mich ist das Ganze ein konstanter Lernprozess.

Wie kamt ihr dazu, mit zwei Drummern zu spielen?

Wir haben viele Percussion-artige Elemente in unserer Musik, der zweite Drummer ist also nicht überflüssig, trotzdem war es natürlich ein gewisses Risiko. Viele Leute haben uns gesagt, das könne einfach nur beschissen klingen, aber Kieran und Tony haben acht Wochen lang zusammen geprobt, und jetzt klingen sie wie ein einziges massives Schlagzeug. Und zwei Drummer zu sehen, die brutal auf ihre Felle und Becken eindreschen, ist ja auch visuell sehr stimulierend …

Du schreibst die Texte. Wie entstehen die Songs?

Jeder schreibt seine eigenen Parts, alle sind daran beteiligt, auch an den Credits. Unsere Arbeitsweise, vier Leute in einem Raum machen zusammen Musik, ist eine sehr traditionelle, aber sie hat uns gut getan. Ich erinnere mich daran, dass ich oft, während die anderen drei gespielt haben, mit meinem Motorrad über die Felder bei meinem Haus gefahren bin. Als ich wiederkam, fühlte ich diese unglaubliche Energie, die sich in diesem Raum gebildet hatte, und schnappte mir das Mikro, und los ging’s.

Prodigy und Flint

Ein Taxi bringt uns durch den flirrenden Sommerabend von Notting Hill nach Barnes in South West London, wo sich die Band in unmittelbarer Nähe der legendären Olympic Studios eingemietet hat. Während draußen die Lichter in den Häusern angehen und die Menschen in und vor den Pubs mehr und mehr werden, geht im Taxi das Gespräch in etwas entspannterer Atmosphäre weiter. Es fällt jedoch schwer, ihm etwas über Prodigy zu entlocken: „Ich gestatte es mir nicht, die beiden Bands zu vergleichen“, sagt er, wobei er zwischendurch immer wieder einen seiner Arme verdreht, um in einem eher unorthodoxen Winkel an seinen Nägeln zu kauen. „Ich will das nicht in dieses neue Projekt hineintragen, das wäre den anderen Jungs gegenüber nicht fair.“ Eigentlich sieht es viel mehr so aus, als würde er seine Fingernägel an den unteren Schneidezähnen glatt feilen wollen. „Auf der anderen Seite: Egal, was ich jetzt Positives über die neue Band sage, fällt negativ auf Prodigy zurück – und das ist denen gegenüber wieder nicht fair.“

Dabei ist die Frage nach dem gegenwärtigen Stand bei Prodigy durchaus berechtigt. Vor etwa einem Jahr waren alle noch in heller Aufregung, und ein englisches Magazin verglich einen gemeinsamen Auftritt von Prodigy und Oasis in der kalifornischen Wüste mit dem Film „2001 – Odyssee im Weltall“: „One [Prodigy] is the throbbing, pulsating slab of monolithic alien metal […]. The other [Oasis] is monkeys banging sticks.“ Seitdem ist aber nicht mehr viel passiert, der Erscheinungstermin des neuen Albums wird regelmäßig verschoben, obwohl es letzten Sommer eigentlich schon so gut wie fertig schien. „Ich kann und will darüber im Moment nicht viel sagen“, sagt Keith Flint und sieht aus dem Taxifenster. „Die Arbeiten an unserem neuen Album ‚Always Outnumbered, Never Outgunned‘ laufen. Wann es erscheinen wird, weiß ich nicht genau. Vielleicht Ende dieses Jahres, vielleicht Anfang des nächsten.“

Deutlich lieber als über die Band, die ihn reich und berühmt gemacht hat, redet er über England und die Royal Family: „Ich mag die königliche Familie wirklich. Auch die ganze englische Tradition, ohne die gäbe es doch Dinge wie den Tower of London oder die London Bridge gar nicht. Ich bin sicher, es gibt Dinge in der Vergangenheit, für die man sich schämen muss, aber am Ende bin ich stolz darauf, britisch zu sein. Ich mag es, eine Queen zu haben, die ich respektiere und zu der ich aufschaue.“ Erneutes Telefonklingeln, diesmal ein Kumpel, im Radio läuft Placebo, Flint klopft den Takt auf seinen Jeans mit. „Ich mag auch diesen romantischen Gedanken von Old London. Die alten Paläste und kleinen Gassen: dunkel, klaustrophobisch und stinkend. Ich liebe es, nachts an der Themse spazieren zu gehen und mir vorzustellen, wie es dort früher ausgesehen hat. Wie Leute einen toten Körper aus einer Seitengasse ziehen und ihn in die Themse werfen.“

Nachbarn und Diebe

Vor dem Haus, in dem sich die Band eingemietet hat, um zusammen und nahe des Aufnahmestudios zu leben, treffen wir auf den etwa 70-jährigen Nachbarn. Freudig begrüßt er Keith Flint, den grauen Stoppelbart an manchen Stellen rasiert, an manchen nicht. Er ist auf dem Weg ins National Film Theatre („Wenn ich keinen Platz in der ersten Reihe kriege, sehe ich gar nichts“), um dort einen alten Stummfilm anzusehen. Wie schon gegenüber der Bedienung im Café und dem Taxifahrer, legt der mehrfach gepiercte und flächendeckend tätowierte Elternschocker Flint ein verblüffendes Maß an Höflichkeit, Herzenswärme und Interesse an den Tag. Für die kommende Woche verabreden die beiden ein abendliches Treffen bei einer Flasche Rotwein und dem Lieblingsfilm des Nachbarn, „The Thief Of Bagdad“, dann gehen wir hinein. Das Wohnzimmer ist unaufgeräumt, aber gemütlich. Vor dem Kamin stehen einige überdimensionale Blumensträuße, in der Ecke eine noch unausgepackte Waschmaschine, adressiert an K.C. Flint. „Wir wohnen jetzt seit acht Monaten hier, die Maschine steht da seit sieben“, erklärt der Empfänger schulterzuckend. Tee wird aufgesetzt, ein Joint gerollt, dann setzen wir uns hinters Haus, unweit läuten die Glocken von mindestens drei verschiedenen Kirchen, über uns ziehen Flugzeuge im Landeanflug auf Heathrow vorbei.

Wie sind deine Erinnerungen an die Schulzeit?

Ich habe die Schule gehasst. Fucking hated it. REALLY hated it. Ich war nicht besonders rebellisch, aber ich habe den Zwang, dort Dinge tun zu müssen, einfach abgelehnt. Ich habe die meiste Zeit damit verbracht, aus dem Fenster zu schauen und zu träumen. Am Ende der Stunde stand irgendwas auf der Tafel, was keinerlei Bedeutung für mich hatte.

War dein Hass nur gegen die Lehrer und die Schule als Institution gerichtet?

Mit den anderen Schülern hatte ich nie Probleme, ich war kein Außenseiter. Ich hatte meine Jungs, ich hatte keine Probleme auf dem Schulhof. Es war nur der Zwang, dort hingehen zu müssen, den ich mit einer beispiellosen Leidenschaft gehasst habe. Es war für mich nichts als eine Zeitverschwendung.

Was haben deine Eltern dazu gesagt?

Als ich zehn war, haben sie mich zu einem Hypnotiseur gebracht, weil sie merkten, dass etwas nicht stimmte. Dort wurden diverse Tests gemacht, unter anderem auch ein Intelligenztest, der sehr gut ausfiel. Mir fehlte die Fähigkeit, gut zu lesen und zu schreiben. Mein Ziel war also nur, den Tag rumzukriegen, ohne etwas zu tun. Ich habe kein einziges Mal in meinem ganzen Leben Hausaufgaben gemacht.

Wie lange bist du zu diesem Hypnotiseur gegangen?

Ungefähr ein Jahr lang. Es war eine sehr erwachsene, sehr ernsthafte Atmosphäre. Ich empfand es als eine Herausforderung und fühlte mich verstanden, und deshalb bin ich gerne dorthin gegangen.

Mit welcher Musik bist du aufgewachsen?

Ich habe am Anfang viel Reggae und Ska gehört, vor allem die Specials. Ich war nie ein großer Madness-Fan, wenn ich ehrlich bin. Dann habe ich mit 13 oder 14 angefangen, The Jam zu hören, und wurde ein klassischer Mod. Ich weiß nicht, wie ich in dem Alter in die Mod-Clubs gekommen bin. Ich glaube, sie fanden mich damals eher niedlich und tätschelten mir den Kopf. Ich legte damals schon sehr viel Wert auf mein Outfit, fuhr in die Carnaby Street und kaufte mir die richtigen Klamotten und Accessoires. Ich fing an, mit Punks rumzuhängen, auch da war ich so was wie ein Maskottchen. Die haben alle Kleber geschnüffelt, wofür ich noch zu jung war, also habe ich auf sie aufgepasst. Ich weiß noch, dass mich ihr Shock Value damals beeindruckt hat, wie die Leute von ihnen eingeschüchtert waren.

Gar keine Drogen genommen, damals?

Etwas später habe ich angefangen zu kiffen, ich bin so ein bisschen zwischen den verschiedenen Szenen rumgeeiert. Zwischenzeitlich bin ich auch mal bei Pink Floyd, Hendrix, den Stones und Joni Mitchell gelandet, in Konvois auf Festivals herumgereist und so weiter.

Wie bist du in die Dance-Szene gekommen?

Mit meinem Kumpel Tony bin ich für sechs Monate durch Afrika und Asien gereist, und als ich wieder zurückkam, hörte ich jemanden die Dance-Szene mit derselben Leidenschaft beschreiben, wie ich sie für meine Reisen an den Tag legte. Zuerst hatte ich auf Raves überhaupt keine Lust. Aber nach den Beschreibungen dachte ich, es wäre blöd, sich das nicht zumindest mal anzusehen. Also habe ich das getan, und ich war überwältigt von der Power, die diese Bewegung anfangs hatte. Bei den Raves habe ich dann auch Leeroy und Liam getroffen, und von da an ging es los mit Prodigy.

Wir sitzen noch eine Weile hinter dem Haus zusammen, der Abend ist mittlerweile endgültig hereingebrochen. Flint erzählt, unterbrochen von ein paar Anrufen, der Suche nach Blättchen und einem kurzen Besuch in den Olympic Studios nebenan, von seinem Haus in Essex, in dem sich erst Oliver Cromwells Truppen versteckt hielten und Jahrhunderte später die IRA, und von seinen sieben Jagdhunden. Er beschreibt mit einer fast kindlichen Begeisterung, wie und wann welcher Hund eine Hündin aus der Umgebung geschwängert hat, die riesigen Feuerwerkspartys, die er und seine Freunde einmal im Jahr veranstalten und zu denen er seine gesamte ländliche Nachbarschaft einlädt. „Das sind teilweise sehr konservative Leute, die sich da draußen zur Ruhe gesetzt haben. Und plötzlich siehst du sie mit Boy George und ein paar farbigen Transvestiten in deinem Garten stehen und sich angeregt unterhalten. Fabelhaft, oder?“

***

Bollocks Or The Truth: 5 + 1 Gerüchte über Keith Flint

1) Dass dein IQ hoch genug ist, dass du MENSA-Mitglied werden könntest …

Das ist richtig. Dass er hoch ist, wusste ich, seit es in meiner Kindheit festgestellt wurde. Die Sache mit MENSA habe ich auch erst vor etwa anderthalb Jahren erfahren.

2) Dass du ein passionierter Gärtner bist …

Völlig falsch, aber dieses Gerücht verfolgt mich. Ich dachte, wenn ich eine neue Band gründe, werde ich es vielleicht los, aber es hebt schon wieder seinen Kopf. Im Grunde ist es mir egal, wenn die Leute das glauben. Eigentlich wäre es sogar ein sehr schöner Widerspruch zu dem, wie ich sonst wahrgenommen werde. Aber es stimmt leider nicht. Ich habe einen großen Garten in Essex, und es gefällt mir, mich dort zu entspannen. Aber ich renne nicht mit Schaufel und Heckenschere herum und kümmere mich um alles, was dort wächst.

3) Dass du sehr auf Gruppensex stehst …

Yeah, I’m into anything really. Ich meine – wer hat schon wirklich etwas gegen Gruppensex?

4) Dass du in deinem ganzen Leben kein einziges Buch gelesen hast …

Das ist richtig. Es sei denn, es zählt, wenn ich aus dem Fenster gesehen habe, während ein Lehrer aus einem vorgelesen hat. Aber ich denke nicht, dass das gemeint ist.

5) Dass du deine Haare bereits in jeder möglichen Farbe gefärbt hattest …

In den Primärfarben mit Sicherheit. Aber Beige und Silber und solche Dinge fehlen wohl noch … Aber Haare-Färben ist eigentlich mehr als alles andere ein Zeichen von Langeweile. Ich will damit nichts aussagen.

6) Haben wir was vergessen?

Dass ich auf der Lollapalooza-Tour mit der Freundin von Maynard von Tool geschlafen haben soll. Das ist definitiv nicht wahr. [lacht] Ich habe mit Maynard selbst geschlafen – und soll ich dir was sagen: He’s got a massive tool, hahaha.

Text & Interview: Christoph Koch
Erschienen in: Intro
Fotos: Promo

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About the Author

About the Author: Christoph Koch ist Journalist (brand eins, GEO, NEON, Wired, GQ, SZ- und ZEIT-Magazin, Süddeutsche, etc.), Autor ("Ich bin dann mal offline" & "Digitale Balance" & "Was, wäre wenn ...?") sowie Moderator und Vortragsredner. Auf Twitter als @christophkoch unterwegs, bei Mastodon @christophkoch@masto.ai .

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