Die Menschen lieben die Natur. Behaupten sie. Und zerstören sie dann doch. Das liegt auch daran, dass ihr ökonomischer Wert lange schwer zu errechnen war. Das ändert sich gerade.
Die Erwartungen waren hoch, dieser Ast hängt viel zu tief.
Die Blicke von den Tieren sind mir zu passiv-aggressiv.
Kein Konto und kein Gott, das ist nicht meine Welt.
Hier hat keiner auf dich Bock, und es regnet in dein Zelt.
– Deichkind: „In der Natur“
In den Neunzigerjahren bekam die Stadt New York ein Problem. Die Wasserqualität hatte sich derart verschlechtert, dass die Verwaltung den Bau zusätzlicher Wasseraufbereitungsanlagen erwägen musste, um die vorgeschriebenen Richtwerte einzuhalten. Geschätzte Kosten: sechs Milliarden Dollar plus Betriebskosten von 250 Millionen Dollar pro Jahr.

Doch dann sahen sich die Verantwortlichen genauer an, was eigentlich zur schlechteren Wasserqualität führte. Bis heute bezieht die Stadt New York einen Großteil des Wassers aus den angrenzenden Catskill Mountains. Wurzeln, Erde und Gestein hatten dort jahrzehntelang ihren Dienst als natürliche Filter verrichtet. Doch mit zunehmender Landwirtschaft in der Gegend stieg auch die Menge an Abwässern, Düngemitteln und Pestiziden in den dortigen Stauseen, die man als Speicher für Trinkwasser angelegt hatte.
Die Stadtverwaltung beschloss, größere Flächen in den Catskills zu kaufen, um sie unter Landschaftsschutz zu stellen. Und sie bezahlte landwirtschaftliche Betriebe dafür, weniger zu düngen. Als Ausgleich für potenziell geringere Erträge. Mit Ausgaben von rund 250 Millionen Dollar für das Land und jährlichen Zahlungen von 100 Millionen Dollar war diese Lösung um ein Vielfaches billiger als der Bau neuer Anlagen. Anders formuliert: Die Unversehrtheit der Natur in den Catskill Mountains ist allein für die New Yorker Wasserversorgung mehrere Milliarden Dollar wert.
Jahrhundertelang hat sich niemand die Mühe gemacht, den ökonomischen Wert der Natur zu beziffern. Und genau das, sagen viele Fachleute, habe dazu geführt, dass die Natur regelmäßig bei Entscheidungen übersehen wird. Sie kommt in Kosten-Nutzen-Rechnungen oft nicht vor.
Wer ein Stück Wald rodet, kann exakt berechnen, was die Arbeiter mit den Kettensägen und die Lkw kosten – und wie viel nach dem Verkauf des Holzes als Gewinn übrig bleibt. Was es jedoch wert wäre, den Wald unbeschadet stehen zu lassen, ist wesentlich schwieriger zu beziffern. Doch genau das wird nun seit einiger Zeit versucht.
I. Pioniere
Bereits im Jahr 1920 schrieb der britische Ökonom Arthur Cecil Pigou in seinem Buch „The Economics of Welfare“ von sogenannten „external effects“. Diese werden auch soziale Effekte genannt und beschreiben das Auseinanderklaffen von privaten und gesellschaftlichen Kosten. So kostet einen Raucher seine tägliche Schachtel Zigaretten das, was er für sie im Laden zahlt. Die Kosten für die Behandlung seiner durch das Rauchen begünstigten Krebserkrankung – oder den Arbeitsausfall durch Frührente – bezahlt hingegen die Gesellschaft. Oder, wie Pigou schreibt, unbeteiligte Dritte.
„Pigous Lösung waren Steuern, mit denen die Kosten von der Allgemeinheit auf den Verursacher umgelegt werden sollten“, sagt Bernd Hansjürgens, der sich am Helmholtz-Zentrum für Umweltforschung mit dem ökonomischen Wert der Natur beschäftigt. „Pigous Gedanken von den sozialen Effekten wurden aber lange Zeit kaum mit der Umwelt verknüpft.“ (Siehe auch brand eins Ausgabe 04/2016: „Was nichts kostet, ist nichts wert“).*
Doch im Jahr 1997 veröffentlichte ein Team um den US-Forscher Robert Costanza dann im Wissenschaftsmagazin »Nature« einen Artikel, in dem die Natur zum ersten Mal einen monetären Wert erhielt. Den Forschern zufolge summiert sich der Nutzen, den die Menschheit aus den weltweiten Ökosystemen zieht, auf 33 Billionen Dollar pro Jahr. Zum Vergleich: Das globale Bruttoinlandsprodukt betrug damals 18 Billionen jährlich.
„Wir müssen dem Naturkapital, das diese Leistungen hervorbringt, endlich ein angemessenes Gewicht in den Entscheidungsprozessen geben“, warnte Costanza in dem Artikel. „Sonst (…) könnte das menschliche Wohlergehen dramatisch leiden.“ Die Studie sei ein Weckruf gewesen, sagt Bernd Hansjürgens, aber auch umstritten. Denn: „Ökonomen messen normalerweise fast immer Veränderungen“, sagt Hansjürgens. „Mit der Bepreisung eines Gesamtbestandes quasi aus dem Nichts heraus tun sie sich tendenziell schwer. Deshalb wurden die 33 Billionen von manchen Wirtschaftswissenschaftlern als relativ beliebige Summe oder gar Fantasiezahl abgetan.“
II. Enorme Öko-Leistungen
Aber wie bestimmt man den Wert aller Ökosysteme der Welt? Oder auch nur den eines Feuchtgebiets in Niedersachsen? Eine Weisheit des Volksmundes lautet: „Eine Sache ist nur das wert, was jemand dafür zu zahlen bereit ist.“ Dahinter steht der Gedanke, dass erst ein Markt mit Angebot und Nachfrage es ermöglicht, einen realistischen Wert zu ermitteln. Weil es keinen Markt für nicht genutzte Natur gibt, versuchte man einen zu simulieren.
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Text: Christoph Koch
Foto: Stefan Ostermeier / brand eins