Containerlogistik: Boxenstopp

Written by on 19/04/2022 in brand eins with 0 Comments

Zu wenige Container, beladene Schiffe, die sich in den Häfen stauen – der weltweite Warenverkehr ist seit Monaten aus dem Takt. Doch für viele Unternehmen in der Logistikbranche ist die Krise keine Katastrophe, sondern ein gutes Geschäft.

Rund 6300 Containerschiffe sind derzeit mit einer Gesamt-kapazität von mehr als 25 Millionen 20-Fuß-Standardcontainern auf den Weltmeeren unterwegs. Sie befördern ungefähr ein Viertel aller weltweit gehandelten Waren. Ob Bananen, Kekse, Handys oder Turnschuhe – bei sehr vielen Produkten sind es Container, in denen sie zu uns kamen. Denn hinter scheinbar unkomplizierten Bestellungen wie zum Beispiel im Internet verbirgt sich oftmals eine hochkomplexe Infrastruktur, die die Häfen dieser Welt verbindet.


Vor 65 Jahren wurde der Container erfunden, seither treibt er den weltweiten Handel voran. Die Metall-Quader beschleunigten das Be- und Entladen, verhinderten Diebstahl und Transportschäden, drückten Versicherungspreise. Sie erhöhten die Effizienz und ließen Transportkosten enorm sinken. Ohne Container wäre die Globalisierung kaum möglich gewesen. Laut einer Studie schwedischer und britischer Ökonominnen und Ökonomen haben die Boxen diese Entwicklung mehr vorangetrieben als alle Handelsabkommen der Nachkriegszeit zusammen.

Störung eines komplexen Systems

Seit der Corona-Pandemie ist die sonst reibungslose Zirkulation der üblicherweise rund 2,40 Meter breiten und 6 oder 12 Meter langen Boxen um den Globus allerdings durcheinander- und ins Stocken geraten. Das im März dieses Jahres im Suezkanal quer stehende Schiff „Ever Given“ war wohl das augenfälligste Symbol für das globale Logistik-Chaos. Doch auch Monate vor und nach diesem Ereignis waren Container vielerorts knapp, und vor Hafenterminals kam es zu Staus und Warteschlangen. Allein im südchinesischen Hafen Yantian, dem viertgrößten Containerhafen der Welt, der die Megacity Shenzhen versorgt, steckten zeitweise rund 160 000 Container fest. Ende August parkten mehr als 40 Containerschiffe vor der kalifornischen Küste. Weltweit konnten vier Millionen 40-Fuß-Standardcontainer nicht entladen werden, was einem Anstieg von 10 Prozent gegenüber dem Vorjahr entspricht.

„Der komplette Handel ist aus dem Takt gekommen“, sagt Christina Raasch von der Kühne Logistics University (KLU) in Hamburg. „Das System, in dem volle und leere Container um den Erdball zirkulieren, ist sehr fein aufeinander abgestimmt. Wenn da einmal eine Asynchronität reinkommt, dauert es sehr lange, bis sich alles wieder einpendelt.“ Asynchronität scheint fast untertrieben angesichts des Chaos, das in den vergangenen anderthalb Jahren weltweit herrschte: Zu Beginn der Pandemie wurde die Produktion in China heruntergefahren, dann wieder hoch – und in Europa schlossen die Geschäfte. In Deutschland beispielsweise fehlte vielen Läden erst Ware, dann musste diese in Lager, und die waren irgendwann voll. „Und jeder Container, der nicht entladen werden kann, fehlt anderswo zum Beladen“, sagt Hanno Friedrich, ein Kollege von Christina Raasch.


Was wie ein Albtraum für die Logistikunternehmen klingt, ist in Wirklichkeit hochprofitabel: Die durchschnittlichen Frachtkosten für einen 40-Fuß-Standardcontainer haben sich innerhalb der vergangenen zwölf Monate mehr als vervierfacht. Sie liegen nun bei mehr als 10 000 Dollar. Einen einzelnen Container von Schanghai nach New York zu schicken kostete vor der Pandemie noch etwa 2500 Dollar – heute ist man mit etwa 15 000 Dollar dabei. An den gestiegenen Frachtraten verdienen zum einen Reedereien wie Maersk, Hapag-Lloyd oder MSC – also diejenigen, denen die Frachtschiffe gehören. „Doch auch Logistikdienstleister und Speditionen wie Kühne + Nagel oder DHL, die oft die Details eines solchen Transports organisieren, verdienen mit“, sagt Raasch. Denn die Kunden seien umso mehr auf diese angewiesen, je knapper die Container und desto größer die Unsicherheit seien. „Das können sie sich gut bezahlen lassen.“

Ein weiterer Grund für die steigenden Preise: Weil die Menschen lange nicht reisen, essen gehen oder Veranstaltungen besuchen konnten, gaben sie mehr Geld für Gegenstände aus. Dadurch stieg der Bedarf nach Transporten – deren Kapazitäten waren aber schnell ausgereizt. „Alle Schiffe, die sich über Wasser halten können, sind im Einsatz“, sagte der Maersk-Chef Søren Skou im September in einem Interview im Magazin »Economist«. Maersk ist größte Containerschiffsreederei der Welt.

Wie lange dieses Chaos noch anhalten wird? Viele Expertinnen und Experten erwarten eine Entspannung frühestens 2022 – wenn es gut läuft. Die meisten Schiffe, die viele Reedereien nun neu bauen lassen, um die Nachfrage besser bedienen zu können, werden nicht vor 2023 fertig sein.
Neben dem Corona-Chaos bringt die Logistik-Branche derzeit noch etwas anderes durcheinander: die Digitalisierung. Seit einiger Zeit gibt es Unternehmen wie Freightos, Forto oder Flexport, die versprechen: Die Buchung eines Warentransports von 20 Containern voller T-Shirts soll so schnell und unkompliziert möglich sein, wie die Bestellung eines T-Shirts im Onlineshop. „Diese digitalen Freight Forwarder tun das, was Online-Plattformen gut können, und matchen Angebot und Nachfrage“, sagt Hanno Friedrich. „In diesem Fall meist zwischen Kunden und traditionellen Logistikdienstleistern und Speditionen.“

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Text: Christoph Koch
Foto: Dominik Lückmann / Unsplash

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About the Author

About the Author: Christoph Koch ist Journalist (brand eins, GEO, NEON, Wired, GQ, SZ- und ZEIT-Magazin, Süddeutsche, etc.), Autor ("Ich bin dann mal offline" & "Digitale Balance" & "Was, wäre wenn ...?") sowie Moderator und Vortragsredner. Auf Twitter als @christophkoch unterwegs, bei Mastodon @christophkoch@masto.ai .

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