André Krüger: Mein Medien-Menü (Folge 27)

Written by on 10/09/2012 in Was ich lese with 0 Comments

In der Reihe “Mein Medien-Menü” stellen interessante Menschen ihre Lese-, Seh- und Hörgewohnheiten vor. Ihre Lieblingsautoren, die wichtigsten Webseiten, tollsten Magazine, Zeitungen und Radiosendungen – aber auch nützliche Apps und Werkzeuge, um in der immer größeren Menge von Informationen, den Überblick zu behalten und Wichtiges von Unwichtigem zu trennen. Jeden Montag also ein neues Medien-Menü. Diese Woche: André Krüger – im Internet besser bekannt als bosch.

Mein Medienmenü ist manchmal Fastfood, manchmal Sieben-Gänge-Menü. Das hängt von den Umständen ab. Tatsächlich verschaffe ich mir meist noch im Bett liegend, mittels Smartphone auf SPIEGEL ONLINE eine knappe Übersicht über die Nachrichtenlage. Im Verlauf des Tages allerdings versuche ich, dort nicht zu viel Zeit zu verbringen. Als Alternative dienen mir zeit.de und faz.net. Gelegentlich, also selten, auch noch freitag.de und die Website des Guardian.

Via RSS habe ich derzeit rund 700 Blogs abonniert. Aus Gewohnheit nutze ich den Google Reader und vermisse die abgeschaffte Empfehlungsfunktion schmerzlich. Hatte ich zu viele ungelesene Artikel, so habe ich früher meistens nur die Empfehlungen gelesen, die mir die abonnierten Nutzer zukommen ließen. Von dem ganzen Rest habe zumindest die Überschriften überflogen. Heute habe ich verschiedene Ordner mit Kategorien (A, B, C und ein paar Themen wie Social Media, Fotografie und Literatur), aus denen ich mich selektiv bediene. Derzeit zeigt der Reader aber 1000+ ungelesene Beiträge an, meistens markiere ich dann alles, was älter als sieben Tage ist, als gelesen. Den Rest versuche ich zumindest oberflächlich anzuschauen.

In Blogs langweilen mich redundante Inhalte: Wer Beiträge aus amerikanischen Gadget-Blogs übersetzt oder Pressemitteilungen von Kameraherstellern wiederkäut, fliegt raus. Stattdessen bevorzuge ich Blogs mit originären Beiträgen, z. B. von Michael Seemann (mspr0.de/ctrl-verlust) oder Michael Sprengs Politikblog (Sprengsatz). Auch wenn ich inhaltlich nicht immer übereinstimme und sie mich manchmal auch nerven, finde ich gut, was sie machen, weil sie auf ihre jeweilige Art einzigartig in der deutschsprachigen Bloglandschaft sind.

Ganz toll ist nach wie vor auch wirres.net. Felix Schwenzel bloggt schon so lange, wohl niemand hat es mehr verdient, als Urgestein der Bloggosphäre bezeichnet zu werden, auch wenn man mit dieser Bezeichnung nichts anfangen kann. Felix war eben schon immer da. Täglich erfreut er mich mit seiner lakonisch kommentierten Linksammlung voller interessanter Lesetipps. Sehr gern mag ich auch seine Berichterstattung von Veranstaltungen, weil Felix nicht den Kram schreibt, der überall zu lesen ist, sondern einen guten Blick für Abseitigkeiten des Lebens hat.

Ganz besonders am Herzen liegen mir persönliche/literarische Blogs, weil ich ja selbst so ein Blog habe, und naturgemäß schreibe, weil ich so etwas gern auch woanders läse. Dieses Genre wird vor lauter Netzpolitik-, Gadget- und Modeblogs kaum noch warhrgenommen – völlig unverdient, wie ich finde. Die meisten Empfehlungen aus meiner Blogrolle stammen aus dieser Ecke. Ich mag Frank Lachmanns argh.de, auch wenn ich den Subtext oft nicht lesen kann, weil ich Frank leider gar nicht so gut kenne. Aber „der Klang der Worte ist oft wichtiger als ihre Bedeutung selbst“, habe ich mal irgendwo geschrieben, und so ist es irgendwie auch. Übrigens das erste Blog, auf das ich gestoßen bin, bevor ich überhaupt wusste, was ein Blog ist, ist das „hermetische Café“ von kid37. „neopathetisch – missmutig – somnambul“ ist es und ich kehre dort immer gern ein. Weitere Empfehlungen in diese Richtung: Peter Breuer und Happy Schnitzel, hinter deren riesigen wahnsinnig lustigen Twitterschatten ganz wunderbare Blogs verbergen. Ebenfalls wichtig und gut: Auf Ruhepuls schreibt Maike wunderbar über ihren Alltag, leider tut sie das viel zu selten. Ebenfalls selten, aber großartig ist „Arbeit und Struktur“ von Wolfgang Herrndorf. Der Schriftsteller ist schwer erkrankt, er leidet an einem Gehirntumor. Ganz unprätentiös schreibt er über Arztbesuche und Marginalien. Nach jedem seiner Beiträge habe ich einen Kloß im Hals.

Ob Malte Welding noch Blogger ist, das weiß ich gar nicht; schließlich erscheinen seine Texte zumeist gedruckt in Zeitungen oder Büchern. Aber das ist auch egal, denn ob jemand nun Journalist oder Blogger ist, das ist nicht wichtig. Wichtig hingegen ist das Beobachten – Nachdenken – Zuspitzen: Damit schafft Malte es immer wieder, mich gleichermaßen aufzurütteln und zu unterhalten.

Musikempfehlungen und tolle Klangdokumentationen aus dem öffentlichen Raum finde ich auf jahrgangsgeraeusche.de. Als ich noch mehr Zeit in Berlin verbracht habe, habe ich sehr gern „Stil in Berlin“ gelesen. Was als Streetstyle-Blog vor nunmehr sechs Jahren gestartet ist, hat Mary Scherpe mittlerweile zu einem ganz schönen Berlin-Blog rund ums Essen & Trinken, Kunst und Shopping weiterentwickelt. Eigentlich könnte so ähnlich – politische Themen hinzugefügt – die vielbeschworene Zukunft des Lokaljournalismus aussehen. So etwas sollte es in jeder Stadt geben, gibt es aber leider nichtmal in Hamburg. Auf dem Blog fuenfbucher.de empfehlen Menschen, die im Netz aktiv sind, ihre Lieblingsbücher. Interessant zu sehen, wer was liest (manchmal auch erschreckend). Auf jeden Fall ein tolles Projekt.

Der Aggregator rivva spielt für mich kaum eine Rolle. Nur sehr selten schaue ich vorbei. Wichtiger sind – über meinen Feedreader hinaus – für mich Leseempfehlungen von Freunden und Bekannten, die mich über Twitter oder Facebook erreichen. (Wobei ich auf Twitter wegen meines Twitteraturprojektes Twitkrit und der Twitterlesungen auch sehr vielen literarischen Twitterern folge. Daher hat Twitter für mich oft eher einen Unterhaltungs- als einen Informationswert.) Zunehmend interessant sind auch die kuratierten Leseempfehlungen auf quote.fm. Vielleicht könnte quote.fm irgendwann einmal die schon erwähnte eingestampfte Empfehlungsfunktion des Google Readers ersetzen. Ich bin gespannt, wie sich die Zitat-Plattform weiterentwickelt. Google+ ist nicht tot, aber eine Parallelwelt – und zwar nicht meine. Ich bin damit nie richtig warm geworden.

Auf den Ohren habe ich meistens Podcasts. Ich bin viel mit öffentlichen Verkehrsmitteln unterwegs und höre mittlerweile kaum noch Musik. Etwa 30 Podcasts habe ich via iTunes abonniert. Täglich synchronisiere ich mein Telefon. Neben dem großartigen Angebot der öffentlich-rechtlichen Sender, die vor allem gute Gesprächsformate (z. B. „Hörbar Rust“ auf radioeins, „Fragen an den Autor“ auf SR 2) und ausführliche Reportagen (ARD Radiofeature, „hr2 Der Tag“, dradio Feature) bringen, mag ich besonders die zum Teil mittlerweile sehr professionellen privaten Podcasts.

Das Küchenradio rund um den Journalisten Philipp Banse besucht seit nun schon sieben Jahren spannende Gäste abseits des Mainstreams. Sie sprechen mit Erfindern, Bienenzüchtern und urbanen Gärtnern. Es lohnt sich, ein paar Jahre zurückzublättern, viele zeitlose Klassiker sind unter den alten Folgen dabei. Bei CRE von Tim Pritlove geht es um „Technik, Kultur und Gesellschaft“. Ich höre nicht jede Folge, weil mir die Themen manchmal zu nerdig sind. Aber es gibt auch wunderbare Gespräche über Kaffee oder Bier. Auch hier lohnt sich ein Blick in die alten Folgen. Ein weiterer Lieblingspodcast ist wir.muessenreden.de. Meine Freunde Michael Seemann (@mspro) und Max Winde (@343max) laden regelmäßig Gäste zum Gespräch und trinken dazu Bier. Das machen sie meistens gut. Prost!

Eigentlich kein Podcast im klassischen Sinne, aber doch eine Perle aus meinen iTunes-Feeds ist der Hörspiel Pool von Bayern 2. Kostenlos gibt es hier oft mehrteilige professionell produzierte Hörspiele, z. B. von Autoren wie Rainald Goetz, Franz Kafka, Robert Musil oder Ernst Jandl. Zu meiner Freude werden alte Folgen nicht depubliziert. Ein Blick in den Katalog ist sehr empfehlenswert.

Wer jetzt glaubt, ich tummle mich ausschließlich im Internet, der irrt. Meine Liebe gilt dem bedruckten Papier. Allen Unkenrufen zum Trotz mag ich Druckerschwärze an den Händen. Seit meiner Kindheit lese ich die jeweils verfügbare Regionalzeitung. Darüber hinaus ist mir heute die Süddeutsche (ich liebe die Seite 3-Reportagen) am nächsten, wobei ich naturgemäß auch die FAZ, insbesondere deren Feuilleton, nicht missen möchte. Das Hamburger Abendblatt ist zwar ein provinzielles Käseblatt, aber in Hamburg führt kein Weg an ihm vorbei, um landespolitisch informiert zu sein. Um Berlin ist es mit dem Tagesspiegel und der Berliner Zeitung da weitaus besser bestellt. Die Tagesszeitung (taz) kann man lesen, das tue ich auch, wenn eine zur Hand ist. Aber auch Bild und Hamburger Morgenpost, schließlich schadet es nicht zu wissen, was auf dem Boulevard los ist.

An wöchentlichen Publikationen lese ich regelmäßig den Spiegel und die Zeit, zur Unterhaltung gern das Zeit- und das SZ-Magazin. Ausländische Zeitschriften und Magazine lese ich fast gar nicht. Derzeit fällt mir jedoch häufiger die „Paris Match“ in die Hand; mich fasziniert die kuriose Mischung aus investigativ-spiegeliger Reportage und galaesken Promi-Strand-Fotos. So etwas hätte es hierzulande wohl schwer. Immer erfreut bin ich, wenn mir mal eine NZZ in die Hand fällt. Sprachlich ist sie sehr klar, viel weniger verschwurbelt als die hiesigen überregionalen Zeitungen; allerdings habe ich ich nur ein sehr begrenztes Interesse an Schweizer Innenpolitik.

Das DUMMY Magazin: toll, toll, toll. Jede Ausgabe widmet sich komplett einem anderen Thema. Von Liebe bis Scheiße, was oft dasselbe ist, war schon viel dabei. Selbst wenn mich die Themen nicht interessieren, ist das Magazin oft lesenswert. Das Wirtschaftsmagazin „brand eins“ habe ich ein wenig aus den Augen verloren, nach der letzten Ausgabe, die sich dem „Nichtstun“ widmete, doch wieder ins Herz geschlossen.

Am liebsten läse ich immer alles; habe aber leider nie genug Zeit. Schließlich will ich ja irgendwann zwischendurch auch ein gutes Buch lesen; derzeit gerade „Danke für das Leben“ von Sibylle Berg. Wunderbar. (Zwischendurch gern etwas Lyrik. Ich lese gern Rolf Dieter Brinkmann und Friederike Mayröcker.) Ich würde gern mehr Bücher lesen.

Fernsehen: Nur Tatort und Lindenstraße. Ja, Lindenstraße, ich bin damit groß geworden und habe den Ausstieg nie geschafft. Ich bin süchtig, ich hänge an der Antenne, anders als in Spielbanken für Spielsüchtige gibt es für Lindenstraße keine Sperrdatei. Also gucke ich, bis dem Geißendörfer endlich die letzten Zuschauer weggestorben sind.

Ich entschuldige mich bei allen, die ich hier vergessen habe zu erwähnen. Mein Dank gilt denen, die mich informieren, mein besonderer Dank gilt denen, die mich unterhalten und mein ganz besonders herzlicher Dank gilt denen, die mich informieren und unterhalten.

André Krüger schreibt seit 2001 Texte ins Internet. Dort ist er unter dem Pseudonym @bosch unterwegs. Er bloggt, twittert, fotografiert und manchmal podcastet er auch. Im richtigen Leben ist er freier Berater für digitale Kommunikation und lebt in Habmburg und Berlin.

Wer auch zukünftige Folgen von “Mein Medien-Menü” nicht verpassen will, sollte den RSS-Feed abonnieren oder mir auf Twitter folgen.

Vielen Dank an “The Atlantic Wire” für das wundervolle Format (dort heißt es “What I Read”). Wer Vorschläge hat, wer in dieser wöchentlichen Rubrik auch einmal zu Wort kommen und seine Lieblingsmedien vorstellen und empfehlen sollte, kann mir gerne schreiben.

Disclosure: Mit vielen der Menschen, die hier in “Was ich lese” ihre Mediengewohnheiten vorstellen, bin ich befreundet oder zumindest leidlich bekannt.

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About the Author

About the Author: Christoph Koch ist Journalist (brand eins, GEO, NEON, Wired, GQ, SZ- und ZEIT-Magazin, Süddeutsche, etc.), Autor ("Ich bin dann mal offline" & "Digitale Balance" & "Was, wäre wenn ...?") sowie Moderator und Vortragsredner. Auf Twitter als @christophkoch unterwegs, bei Mastodon @christophkoch@masto.ai .

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