Echo-Verleihung: Der Spaßterror ist vorbei

Written by on 27/03/2007 in Süddeutsche with 0 Comments

Trotz Stilfragen und Branchenkrise – die Echo-Verleihung 2007 war besser als erwartet

Und dann weinte Ralph Siegel regelrechte Bäche, die er wieder und wieder mit grantigen Bewegungen wegwischte. „Ach, Scheiße”, konnte man von seinen Lippen ablesen, während er sich vor- und zurücklehnte, in der Hoffnung, den Großaufnahmen zu entkommen. Als Siegel schließlich die gebogenen Eisenskulptur aus den Händen seines ehemaligen Grand-Prix-Schützlings Nicole („Ein bisschen Frieden”) entgegennahm, erhob sich das Publikum im Palais des Berliner Messezentrums zum Stehapplaus – und die Veranstaltung hatte einen jener rührseligen Momente, die große Award-Shows ausmachen.

Es wäre natürlich einfach, sich über die Echo-Verleihung der Deutschen Phono-Akademie lustig zu machen, über die aufgedonnerten Stars, über die brüllende Fotografen, kreischenden Fans oder die selbstgemalten Schilder der Tokio-Hotel-Groupies, auf denen keinesfalls ernst gemeinte Versprechen stehen wie „Bill, ich will doch nur reden!”. Und über die kränkelnde Musikbranche, die trotzdem „sich selbst feiert”, als wäre eine Party ein Verbrechen.

Im Gegensatz zu anderen Musik- oder Filmpreisen, ist der Echo in den entscheidenden Kategorien ein Erfolgspreis, der auf Grundlage der Hitparadenplatzierungen vergeben wird. Was also am Sonntagabend gezeigt, beklatscht und ausgezeichnet wurde, ist nicht das Ergebnis eines Jury-Votums, das nach Plattenfirmenproporz Auszeichnungen zuschanzt, sondern ein relativ präzises Abbild des deutschen Musikgeschmacks.

Wer kommt, gewinnt

Aber wie sah der Geschmack der Deutschen nun aus, im Zeitraum von März 2006 bis Februar 2007? Die Zeiten des besinnungslosen Spaßterrors von Schnappi-Krokodilen und Artverwandten scheint vorbei zu sein: Bei der diesjährigen Preisverleihung ging es – vom Preis für die verdienten WM-Einpeitscher Sportfreunde Stiller abgesehen – betont ernsthaft, manchmal sogar düster zu. Von den beiden großen Gewinnern des Abends Silbermond und LaFee wurden große Liebe, Angst und Verzweiflung besungen statt Party, Sonnenschein und dicke Autos. Silbermond-Sängerin Stefanie Kloß trug das Haar dabei so pechschwarz gefärbt wie die martialisch gesichtsbemalte Begleitband von LaFee. Tokio Hotel bitten in ihrem Hit „Spring nicht” alle Hochhausselbstmörder zum Rücktritt und bringen ihre zahlreichen Fans nicht mit Humor zum Kreischen, sondern mit Tragik und Melodrama. Das Popduo Rosenstolz schließlich wartet mit einem überdimensionierten Setzkasten auf, in dem zehn Geigerinnen in Brautkleidern ergreifend eine Mondlicht-Ballade unterstreichen.

Selbst in der eher schmissigen Kategorie „Hiphop/R&B” setzen sich mit Bushido düstere Prekariats-Parolen gegen das gutgelaunte Dancehall-Kollektiv von Seeed durch. „Wäre das hier eine Privatparty, hättet ihr mich nicht eingeladen”, klagte der Rapper, fügte jedoch sofort selbstbewusst hinzu: „Geil, ihr schaut genauso dämlich aus der Wäsche wie letztes Jahr.” Der Deutsche, so kann das Fazit der vergangenen zwölf Musikmonate lauten, mag es melancholisch – brasilianische WM-Verhältnisse hin oder her. Sie tanzten eben doch nur einen Sommer.

An manchen Stellen setzte sich die Preisvergabe jedoch auch über die Stimme des kaufenden Volkes hinweg. Wenn U2-Sänger und Anti-Armuts-Aktivist Bono oder Yusuf „The artist formerly known as Cat Stevens” Islam einen Sonderpreis gewinnen, dann natürlich auch deshalb, weil sie vorab ihr Erscheinen bei der Verleihung zugesagt haben, und es ohne solche Stars schwer fallen würde, VIP-Karten für 200 Euro loszuwerden oder dem übertragenden Fernsehsender eine akzeptable Einschaltquote zu verschaffen. Das gleiche gilt für die internationalen Kategorien, in denen sich der kanadische Punkpopper Billy Talent und das britisch-georgische Gitarrenmädchen Katie Melua auch deswegen gegen die Konkurrenz von Gnarls Barkley, Placebo oder Pink durchsetzen konnten, weil letztere die Echo-Verleihung nicht mit einem Besuch beehrten.

Die Auftritte derjenigen, die gekommen waren, entpuppten sich jedoch als durchweg sehenswert – sei es die technisch anspruchsvolle und an Kraftwerk gemahnende Monitor-Show der Fantastischen 4 oder die pyrotechnischen Effekte von Jennifer Lopez oder der Auftritt von Yusuf Islam, der auch in den rund 20 Jahren Abwesenheit aus dem Musikgeschäft nicht verlernt hat, ohrschmeichelnde Folkpopsongs zu schreiben.

Die Auszeichnung für Cat Stevens/Yusuf Islams „Lebenswerk als Musiker und Botschafter zwischen den Kulturen“ war im Vorfeld auf Kritik gestoßen, da er 1989 die Fatwa gegen den islamkritischen Schriftsteller Salman Rushdie unterstützt haben soll – wovon er sich später jedoch mehrfach distanzierte. Doch wer ist besser geeignet, um in einem solch kritischen Moment für Entspannung zu sorgen, als Fettnapfdetektor Thomas Gottschalk? „Ich habe mich auch schon für Dinge entschuldigt, die ich nie gesagt habe – oder anders gemeint habe”, erklärte der Wetten-Dass-Moderator, der zuletzt für seine Äußerung, Bierdosen seien „Hartz-IV-Stelzen” in der Kritik stand. „Nehmen Sie das, was Popstars sagen nicht so ernst”, verstrickte er sich immer weiter, sei ja alles nicht so schlimm, es werde erst dann ernst, wenn „Popstars ihre verqueren Philosophien in Songs packen und in die Köpfe unserer Kinder hineintragen.”

Dass die Echo-Verleihung 2007 sich angenehm von denen der Vorjahre unterschied, lag neben den Auftritten auch an zwei Details: RTL behauptete zwar, live zu senden, übertrug in Wirklichkeit jedoch zeitverzögert im „live-to-tape”-Verfahren, dadurch entfielen lähmende Werbepausen in der Halle. Diese wiederum lieferte einen deutlich besseren Rahmen als das Messezentrum, in dem die Preise in den vergangene zwei Jahren verliehen worden waren.

Auch die Aftershow-Party im ehemaligen Ballhaus mit sechziger Jahre Interieur war tatsächlich eine Party und kein gelangweilter Branchentreff. DJ Julian Smith brachte die Menge zum Tanzen, neue Allianzen wurden geschmiedet – die Laune war selbst bei denen ausgesprochen gut, die wissen, dass es zum guten Ton gehört, solche Veranstaltungen schrecklich zu finden. Die deutsche Musikbranche hat sich scheinbar vom Schock der einbrechenden Verkaufszahlen erholt. Sie beginnt zu ahnen, dass das Geld nicht ganz verschwunden ist, sondern nur anders verdient werden muss – im Internet oder mit ausgedehnten Konzerttourneen, mit DVDs oder Merchandise-Artikeln. Selbst Bushido, der sich zuvor noch in der Rolle des Verweigerers gefallen hatte, amüsierte sich so fröhlich, wie es sein Image eben zulässt. Nur das Mineralwasser, auf das die Label-Manager dann irgendwann umstiegen, als die beseelt feiernden Promoter und Angestellten des Musikbetriebes später, schmeckte irgendwie komisch. Ein wenig nach den Tränen von Ralph Siegel.

Text: Christoph Koch
Erschienen in: Süddeutsche Zeitung

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About the Author: Christoph Koch ist Journalist (brand eins, GEO, NEON, Wired, GQ, SZ- und ZEIT-Magazin, Süddeutsche, etc.), Autor ("Ich bin dann mal offline" & "Digitale Balance" & "Was, wäre wenn ...?") sowie Moderator und Vortragsredner. Auf Twitter als @christophkoch unterwegs, bei Mastodon @christophkoch@masto.ai .

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