Extreme Cross-Speed-Schachboxing: Die beklopptesten Trendsportarten

Written by on 20/11/2008 in Tagesspiegel with 0 Comments

Neu! Das Sommerloch jetzt auch im Winter! Wem Fußball, Yoga oder Tennis viel zu konventionell sind, findet vielleicht in einer der folgenden Trendsportaten sein Glück, die von den Medien Jahr für Jahr wieder durchs Themendorf getrieben werden.

Crossgolfing

Darum geht’s: Golfbälle schlagen ohne Golfplatz und ohne – das ist den „Crossern“ besonders wichtig – ohne snobbige Klamotten. Statt auf frisch gemähtem Rasen wird in Industriebrachen abgeschlagen und statt im Clubhaus wird das Bier schon während des Spiels getrunken.

Entstehung: Als erster Cross-Golfer gilt Captain Alan B. Sheperd, der bei der Mondlandung 1971 zwei Bälle mehrere Meilen weit schlug. Andere wiederum sagen, dass das Crossgolfen dem ursprünglich von Schäfern erfundenen Urgolf am nächsten kommt – die hatten ja auch keine abgesteckten Parcours, sondern nur das weite Land.

Vorzeigeathleten: Crossgolf-Teams nehmen es auch mit dem Humor sehr ernst und nennen sich deshalb „Natural Born Golfers“, „AGB – Apokalytpische GolfBurschenschaft“ oder „Böhse Golferz“. Der populärste deutsche Crossgolfer ist der Hamburger Thorsten Schilling, der dort 1995 das erste deutsche offizielle Turnier ausrichtete.

Größter Moment: Indierock-Legende J Mascis spielt 1994 im Video zum Song „Feel The Pain“ seiner Band Dinosaur Jr eine Partie Crossgolf quer durch Manhattan.

Schlagzeilen: „Sicherheit statt Sixpack“ (FR), „Einputten im Baggerloch“ (SZ), „Einlochen in der Baggerschaufel“ (SZ), „Generation Crossgolf“ (Welt), „Immer schön locker bleiben“ (taz), „Currywurst statt Carpaccio“ (Spiegel)

Polylux berichtete: nein

Schwieriger Schlag: J Mascis crossgolft sich in „Feel The Pain“ durch New York City

Schachboxen
Darum geht’s: Ein Schachboxkampf hat elf Runden: sechsmal Schach à vier Minuten, fünf Boxrunden à zwei Minuten, immer abwechselnd. Dazwischen gibt es jeweils eine Minute Pause, damit sich die Kämpfer erholen können und das Spielbrett im Ring auf- oder abgebaut werden kann. Sieger ist, wer ein K. o. im Ring oder ein Schachmatt am Brett erzielt.
Entstehung: Iepe Rubingh, ein in Berlin lebender Holländer, entdeckte den Sport in dem Comicbuch „Nikopol vs. John Elvisson“ und wollte ihn als Fan beider Sportarten in die Realität übersetzen. Am 14. November 2003 fand in Amsterdam der erste Schachboxkampf der Geschichte statt: Iepe „The Joker“ siegte gegen Luis „The Lawyer“.

Vorzeigeathleten: Rubingh ist Präsident der WCBO, der „World Chess Boxing Organisation“ und gleichzeitig amtierender Weltmeister im Mittelgewicht und Urvater des Schachboxens. „Zu viele Titel“, wie er selber lachend zugibt.

Größter Moment: Rucksackhersteller Eastpak sponsort im Sommer 2008 eine Schachbox-Tour durch deutsche Großstädte und lässt Nachwuchstalente in einem „Trainingslager-Apartment im Trendbezirk Berlin-Mitte“ wohnen. Die dort noch einem, zweiten Trendsport nachgehen müssen: Videobloggen.

Schlagzeilen: „Von wegen weiche Birne“ (FTD), „Denken und dreschen“ (FR), „Grips und Haue“, „Die Königs-Kämpfer“ (beide Berliner Zeitung), „Matt nach elf Runden“ (Spiegel), „Erst denken, dann schlagen“ (SZ, taz), „Fäuste für ein Halleluja“ (SZ)

Polylux berichtete: ja

Parkour

Darum geht’s: Menschen, die sich selbst allen Ernstes „Traceure“ nennen und mit so indianisch klingenden Formulierungen wie „der den Weg ebnet“ übersetzen, rennen durch die Stadt. Und suchen dabei den kürzesten Weg von A nach B. Und der führt eben über Mäuerchen, Vorsprünge, Straßenschluchten, Parkbänke und manchmal sogar Mülltonnen.

Entstehung: Der Franzose David Belle ist eine Art Lichtgestalt der Parkour-Szene und soll das Hechten und Klettern von seinem Vater gelernt haben, der damit als Vietnamsoldat Jahrzehnte zuvor sein eigenes Überleben sicherstellte. Auch jenseits von Frankreich wurde Parkour vor allem durch den von Luc Besson produzierten Film „Yamakasi – die Samurai der Moderne“ bekannt, in denen junge Kriminelle durch Parkour-Stunts ihren Verfolgern entkommen.

Vorzeigeathleten: Sebastien Foucan ist neben David Belle Begründer des Trendsports und ist durch viele öffentliche Auftritte so etwas wie sein Botschafter. Im James-Bond-Film „Casino Royal“ ist Foucan in der Rolle des Mollaka in einer mehrminütigen Parkour-Verfolgungsjagd zu sehen, außerdem trat er 2006 zusammen mit Madonna bei deren „Confessions“-Welttournee auf.

Größter Moment: Im Video zu Madonnas „Hung Up“ sind die Parkour-Sportler derart überstylt in Szene gesetzt, dass man irgendwann nicht mehr weiß, ob man jetzt noch ein Musikvideo anschaut oder schon der Werbeblock mit dem Spot eines Sportartikelherstellers begonnen hat.

Schlagzeilen: „Himmelsstürmer“ (stern), „Die durch die Stadt springen“ (taz), „Die Wand ist nicht genug“ (FAZ), „Nur ein Katzensprung“ (Foxus), „Große Sprünge“ (Berliner Zeitung), „Zum Spaß vom Hochhaus springen“ (NZZ), „Da hilft nur noch Beton“ (SZ), „Auf dem Sprung“ (taz), „Ich möchte Pfeil einer Jugendbewegung sein“ (FAZ)

Polylux berichtete: ja

Speed Badminton über den Dächern Berlins

Speed Badminton

Darum geht’s: Zwei Spieler hauen ziemlich schnell und feste einen modifizierten Federball mit einem modifizierten Squash-Schläger herum – auf etwas, das aussieht wie ein modifiziertes Tennisfeld ohne Netz. Speedminton kann man dazu auch sagen, aber dann ist es gleich der geschützte Markenname der Firma aus Berlin, die die Schläger herstellt und sich den Begriff vorsichtshalber weltweit schützen ließ. Derzeit werden noch mehr Fußballschuhe als Speedmintonschläger verkauft, aber wer weiß …

Entstehung: Der ehemalige Seefahrer Bill Brandes suchte nach einer Lösung, sein Hobby Badminton auch bei stärkerem Wind ausüben zu können und erfand in den Neunziger Jahren den Shuttleball, einen flexibleren windresistenteren Federball. Nils Mester, Geschäftsführer des Berliner Stadtmagazins zitty, und der Müncher Thomas von Klier kauften 2001 die Idee und riefen die Marke Speedminton ins Leben.

Vorzeigeathleten: Die vermutlich prominenteste Spielerin ist die Russin Maria Sharapova, Nummer zwei der Tennis-Weltrangliste und Wimbledon-Siegerin. „Ich liebe es! Es macht so viel Spaß und hält fit“, schwärmt sie in einer Presseerklärung.

Größter Moment: In einer Art Hochzeit der Trendsportarten verlosten die Veranstalter der Münchner Rollerbladenight im letzten Jahr unter allen Teilnehmer Speedminton-Sets.

Schlagzeilen: „Federball auf Speed“, Spiel mit dem Neon-Ball“ (beide Berliner Zeitung), „Schneller Mischling aus Tennis und Badminton“ (SZ), „Mit Spitze 300 zum neuen Trendsport“ (Focus), „Trend-Sportarten weiter im Kommen“, „Beach Volleyball war gestern“, „Kein Problem bei Windstärker vier“ (alle SZ)

Polylux berichtete: nein

Frisbeegolf

Darum geht’s: Eine Frisbeescheibe in möglichst wenig Würfen von einem Abwurfpunkt in einem weit entfernt stehenden Zielkorb zu versenken. Entstehung. Je nach Wurfdistanz darf man verschiedene Scheibenmodelle benutzen, so wie beim Golf verschiedene Schläger. Wer unbedingt möchte, kann zu Frisbeegolf auch Discgolf oder sogar Frolf sagen.

Vorzeigeathleten: Der zwölfmalige Weltmeister Kenneth Climo aus Florida ist weltweit wohl der bekanntesten Discgolfer und hat eine ganze Reihe von Spezialfrisbeescheiben für den Sport entwickelt. Im Jahr 2006 verdiente er rund 17 000 US-Dollar Preisgeld.

Größter Moment: Der Münchner Rechtsanwalt Chris Max Voigt stellt 2001 mit 217 Metern für eine Weile einen neuen Weltrekord im Weitwurf auf.

Schlagzeilen: „Raus aus der Stadt – rein ins Vergnügen“ (AZ), „Der ganz große Wurf“ (SZ-Magazin), „Golfen mit Scheiben“, „Fliegende Kuchendeckel“ (beide Berliner Zeitung), „Putten mit der Frisbee-Scheibe“ (FR), „Die Ufos fliegen nicht mehr“ (Tagesspiegel)

Polylux berichtete: ja

Text: Christoph Koch
Erschienen in: Tagesspiegel
Fotos:  Warner / Speedminton

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About the Author

About the Author: Christoph Koch ist Journalist (brand eins, GEO, NEON, Wired, GQ, SZ- und ZEIT-Magazin, Süddeutsche, etc.), Autor ("Ich bin dann mal offline" & "Digitale Balance" & "Was, wäre wenn ...?") sowie Moderator und Vortragsredner. Auf Twitter als @christophkoch unterwegs, bei Mastodon @christophkoch@masto.ai .

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