Erfahrungen im Lost Shore Resort: Kein Warten auf die perfekte Welle

Written by on 03/09/2025 in Tagesspiegel with 0 Comments

Für manche Surfer liegt die Magie des Sports in der Unberechenbarkeit des Ozeans. Für alle anderen gibt es technisch hochgerüstete Anlagen. Wie dieses neue schottische Resort. 

Morgens um neun kommen die „Barrels“. So heißen im Surf-Slang Wellen, die so brechen, dass sich ein Wassertunnel bildet, durch den man hindurch fahren kann. das Surfbrett und idealerweise auch den Menschen darauf komplett umschließen. Die spektakulärsten Surffotos zeigen oft kauernde Gestalten, die mit entrücktem Lächeln aus einer solchen Barrel-Welle herausgeschossen kommen. 

Im Meer muss viel zusammenkommen, damit eine derart perfekte Welle entsteht. Gezeiten, Strömungen, Wind, Wassertiefe, Untergrund – alles muss stimmen. Im Lost Shore Surf Resort etwa 20 Fahrminuten von der schottischen Stadt Edinburgh entfernt, laufen diese Naturwunder aus Wasser quasi vom Fließband. Etwa alle acht Sekunden eine. Eine Stunde lang. Dann stehen kleinere Wellen auf dem Stundenplan. Denn nicht nur Profis sollen auf ihre Kosten kommen.

Das Lost Shore Resort ist ein sogenannter „Wave Pool“. 52 Paddel, angetrieben von 52 individuellen Motoren, erzeugen die Wellen in zwei großen nebeneinander liegenden Becken. Diese beiden Becken sind jeweils so groß wie anderthalb Fußballfelder. Hinten, wo die Wellen entstehen, sind sie schmal, nach vorne werden sie breiter. Im hinteren Teil, wo sich die Wellen höher auftürmen, surfen die Fotgeschrittenen und Profis. Weiter vorne, wo das Wasser flacher ist und die Wellen sich in Schaum oder „Weißwasser“ verwandeln, finden die Anfängerkurse statt. 

Als sogenannte „stehende Wellen“ gibt es künstliche Wellen schon lange. Sei es im berühmten Eisbach im Englischen Garten in München oder im Wellenwerk Berlin-Lichterfelde. Bei diesen stehenden Wellen türmt sich eine Welle dauerhaft auf und Surferinnen und Surfer fahren an einer Stelle dieser hin und her. Relativ neu sind Wave Pools wie der in Schottland. Hier rollen die Wellen wie im Meer tatsächlich vorwärts und man kann sie abreiten, wie man es von den Stränden Portugals oder Hawaiis kennt.

Solche Anlagen zu bauen ist aufwändig, langwierig und teuer. Im November 2024 eröffnete Europas größter Wave Pool nach zwölf Jahren Planung. Das Lost Shore Surf Resort kostete 60 Millionen Pfund (rund 70 Millionen Euro). „Wir mussten Investoren finden, das Grundstück erwerben, alle Bau- und Betriebsgenehmigungen einholen und natürlich ein Team von Firmen zusammenstellen, das in der Lage war, diese ganze Anlage zu bauen“, sagt Andy Hadden, der 43-jährige Gründer. „Niemand wollte an unsere Idee glauben, aus Schottland ein Urlaubsziel für Surfreisen zu machen. Ich musste mir ein extrem dickes Fell zulegen.“ 

Die verlorene Küste (Lost Shore) befindet sich in einem ehemaligen Steinbruch. Auf der einen Seite eine spektakuläre Felswand, auf der anderen schottisch-saftige Hügel. In der Mitte, zwischen den beiden Becken: Eine strahlend weiß gestrichene Halle, etwa so hoch wie ein Reisebus und doppelt so lang. In ihr befinden sich die Paddel und Motoren, die das Wasser in Bewegung versetzen. Zwei Rettungsschwimmer sitzen in einem kleinen Turm, steuern per Computer die Wellenanlage und achten gleichzeitig darauf, dass alle im Wasser wohlauf sind. Denn bei vollem Haus tummeln sich rund 50 Menschen im Becken.

„Obwohl wir noch nicht mal ein Jahr geöffnet haben, sehen wir bereits eine beachtliche Zahl an Stammgästen“, sagt Andy Hadden. Einer von ihnen ist Caleb, der regelmäßig nachmittags zu einer der mittelgroßen „Cruiser“ genannten Wellen kommt. Der Mittvierziger wohnt etwa eine halbe Stunde entfernt. „Ich habe vor 15 Jahren einen einwöchigen Anfänger-Surfkurs am Atlantik gemacht und eigentlich hat es mir einen Riesenspaß gemacht“, sagt er. „Aber dann kam mir irgendwie das Leben in die Quere. Beruf, Kinder, Verpflichtungen.“

Als er von der Eröffnung des Lost Shore Resort hörte, kaufte er direkt ein großes Ticket-Paket zum Vorzugspreis. Zehn Sessions davon hat er inzwischen absolviert. In dieser vergleichsweise kurzen Zeit ist er vom Anfänger zum Fortgeschrittenen aufgestiegen – zum „Improver“, wie sie es hier nennen.

Zwischen 60 bis 70 Pfund kostet eine einstündige Surfsession ohne Rabatt. Damit sich das Investment rechnet, müssen neben lokalen Stammkunden auch Touristen kommen. Denn die bleiben länger als nur eine Wellenstunde – und lassen mehr Geld da.

Für Übernachtungsgäste gibt es eine Reihe von Schlafmöglichkeiten vor Ort. Diese beginnen bei den kleinen „Pods“ mit Nasszelle und Doppelbett. Etwas größer sind die Viererunterkünfte, die ebenfalls elegant aus Holz gefertigt sind und deren Silhouette ein wenig an einen umgedrehten Schiffsrumpf erinnert. Mit Touch-Display-Klimaanlage, Videobeamer und modernen Einbauschränken sind sie deutlich geräumiger und verfügen noch über eine Küchenzeile. Wer es geräumiger mag, wohnt wenige Fußminuten entfernt auf einem Hügel. Von den 31 Ferienhäusern dort schaut man über die Anlage und in den schottischen Sonnenuntergang. 

Beim Besuch im Frühsommer hatte das Wasser bereits eine Temperatur von 17 Grad – mit einem Neoprenanzug wunderbar auszuhalten und deutlich wärmer als die zu der Zeit zehn Grad kalte schottische Nordsee. Auch im Winter rollen im Lost Shore die Wellen. Gäste müssen sich dann jedoch auf deutlich kältere Temperaturen einstellen. Daher sind neben Surfbrett und Anzug auch Neoprenhauben, -handschuhe und -stiefel im Preis enthalten.

Um sich nach einer wirklich kalten Surfsession aufzuwärmen, steht eine gemütliche Sauna mit rund einem Dutzend Plätze am Beckenrand. Ihr Panoramafenster schaut direkt auf die Welle. Im Spa ein paar Meter weiter gibt es Massagen für die müden Schultern. Und der Surfshop verkauft vieles, was das wellenreitende Herz begehrt – vom wärmenden Kapuzenpulli über Sonnencreme bis zu Ersatzteilen fürs eigene Brett.

Aber wie reitet sich nun eine Welle, die aus der Maschine kommt? Das Schwierige am Surfen im offenen Meer beginnt oft vor dem Hinaufschwingen aufs Brett. Man muss die geeignete Welle erkennen, sich richtig zu ihr positionieren, schauen, in welche Richtung sie bricht – und im richtigen Moment kräftig genug paddeln, bis sie einen ergreift und mitnimmt.

Genau dieses mühsam zu erlernende Multitasking erleichtert die künstliche Welle enorm. Im Wave Pool befindet sich jeder automatisch an der richtigen Stelle. Niemand muss sich um eine Welle streiten. Die Surferinnen und Surfer in der jeweiligen Session warten im Wasser auf ihren Brettern, bis sie an der Reihe sind. Ein bisschen wie bei einer Wasserrutsche. 

Anfänger haben daher nie das Gefühl, alteingesessenen Hasen etwas wegzunehmen. Oder jemandem den Wellenritt zu ruinieren, wenn man selbst vom Brett fällt. Das senkt das Stresslevel erheblich. „Im offenen Meer sind gute Wellen eine begrenzte Ressource“, sagt Andy Hadden. „Dementsprechend territorial sind manche erfahrenen Surfer und lassen das Neulinge auch spüren.“

Surfen muss man am Ende immer noch selbst. Aber dadurch, dass die Wellen so gleichmäßig und berechenbar sind, haben auch unerfahrene Wellenreitende schneller und häufiger Erfolgserlebnisse. Selbst diejenigen, die im offenen Ozean jede Welle erwischen, freuen sich über die Konsistenz, mit der die Maschine die Wellen erzeugt.

Octávio, 42, lebt im portugiesischen Peniche. Dort hat er rund ein Dutzend exzellente Surfstrände vor der Haustür – unter anderem die legendären „Supertubos“, an denen die weltbesten Surferinnen und Surfer auf ihrer World Surf League (WSL) Championship Tour öfter Station macht. „Ich kann zu Hause so gut wie jeden Tag surfen“, sagt er, als er sich nach einer Session aus seinem Neoprenanzug windet. „Aber hier sind die Wellen immer gleich, und ich kann besser an meiner Technik feilen.“

Er ist für vier Nächte hier, wohnt in einem der Mini-Pods. Abends isst er in der Canteen, einem großzügigen Gastronomiebereich mit Außenterrasse, den sich insgesamt vier Lokale teilen. Die Getränkebar betreibt das Resort selbst. Hinter den drei anderen Tresen gastieren vierteljährlich wechselnde Restaurants aus Edinburgh. 

Octávio ist mit der eher rustikalen Essensauswahl – Croissants, Haferbrei und Kaffee am Morgen, Pizza, Fisch und Burger tagsüber und abends – zufrieden. Von Edinburgh und Schottland hat er abseits des Lost Shore Resorts nur wenig gesehen. Ihm geht es um die perfekten Wellen. „Der beste Surftrips meines Lebens“ schwärmt er, vielleicht noch etwas high vom letzten Ritt auf der Welle.

Damit spricht er einen zentralen Widerspruch des Surfsports an: Das naturverbundene, bisweilen asketische Image des Sports stimmt nur, solange man das Meer vor der Haustür hat. Wer fürs Surfen in ein Flugzeug nach Australien oder Kalifornien einsteigt, kommt mit einer künstlichen Welle in Europa eventuell auf eine bessere Ökobilanz.

Andy Hadden und sein Team versuchen so gut es geht, dem grünen Gewissen der Surf-Community Rechnung zu tragen: „Das Wasser stammt aus dem benachbarten Union-Kanal. Wir filtern es und leiten es sauberer wieder zurück als vorher.“ Der Stromverbrauch sei mit 250 bis 450 Kilowatt pro Stunde eindeutig hoch, gibt der Gründer zu. Doch die Elektrizität stamme aus eigenen Solaranlagen oder werde als komplett grüne Windenergie aus Schottland zugekauft. 

Nehmen Wave Pools dem Surfen die Magie? Hadden zuckt mit den Schultern: „Früher musste man, wenn man Skifahren wollte, seine Bretter selbst den Berg hochtragen. Das mag für einige wenige ein tolles Erlebnis gewesen sein. Aber für die meisten wurde Skifahren erst möglich, als Skilifte erfunden wurden.“

Und genauso demokratisch sieht er sein Angebot. „Wir öffnen den Surfsport für eine neue Zielgruppe – und nehmen niemandem etwas weg.“ Er selbst geht immer noch gerne im Meer zum Surfen. Aber jetzt muss er los, um 13 Uhr steht seine Lieblingswelle auf dem Stundenplan.

Text & Fotos: Christoph Koch
Erschienen in: Tagesspiegel

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About the Author

About the Author: Christoph Koch ist Journalist (brand eins, GEO, NEON, Wired, GQ, SZ- und ZEIT-Magazin, Süddeutsche, etc.), Autor ("Ich bin dann mal offline" & "Digitale Balance" & "Was, wäre wenn ...?") sowie Moderator und Vortragsredner. Auf Twitter als @christophkoch unterwegs, bei Mastodon @christophkoch@masto.ai .

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