Die Sängerin PEACHES über Sexismus bei »Germany’s next Topmodel«, die Locken von Mariah Carey und ein Leben auf dem Bauernhof.
Ihr vorletztes Album hieß »Fatherfucker«, auf dem neuen gibt es einen Track mit dem Titel »Mommy Complex« – ein musikalisches Gegenstück?
Nicht direkt. In »Fatherfucker« wollte ich darauf aufmerksam machen, was für ein krasses Wort »Motherfucker« eigentlich ist und wie gedankenlos die meisten es trotzdem verwenden. In »Mommy Complex« geht es dagegen um Männer, die in ihrer Freundin einen Mutterersatz suchen.
Geschlechterrollen sind Ihr großes Thema – haben Sie »Feuchtgebiete« von Charlotte Roche gelesen?
Nein, aber ich kenne Charlotte und habe die Diskussion über das Buch verfolgt.
Ganz grob gesagt geht es um ein Mädchen, das sich dem Diktat widersetzt, hübsch, sauber und niedlich zu sein. Genau das propagieren Sie doch schon seit Jahren …
Stimmt – andererseits ist allein der Erfolg des Buches ein Anzeichen dafür, dass es eben nicht fünf Jahre zu spät kommt.
Das gesellschaftliche Frauenbild wurde zuletzt von gegenläufigen Entwicklungen beherrscht: Einerseits ist da die Rede von einem »neuen Feminismus« mit selbstbewussten Büchern junger Autorinnen, andererseits feiert »Germany’s next Topmodel« ein immer beschränkteres Bild von Schönheit.
Ich bin von »Topmodel« viel stärker beeinflusst als von Feminismusdebatten. Ich bin keine Feministin und keine Intellektuelle – aber ich sehe fern und stoße da auf Sexismus. Und weil ich ein Gehirn habe, frage ich mich natürlich: Warum ist das so?
Sehen Sie sich als Gegenentwurf zu sonnenstudiogebräunten Popstars wie Mariah Carey?
Ich liebe Mariah Carey! Genau dafür, dass sie künstlich ist – perfekt gebräunt, überall Glitter, voluminöse Locken! Das ist doch auch nur eine Rolle, die sie spielt.
Aber so ziemlich das Gegenteil dessen, wofür Sie stehen: Authentizität, nicht perfekte Körper, verschwitzter Sex.
Natürlichkeit ist mir egal. Mir ist auch egal, ob eine Frau sich einer Schönheits- OP unterzieht oder ob ein Mann Make up tragen will. Mir ist viel wichtiger, dass alle Arten von Freaks akzeptiert werden. Jeder soll tun dürfen, worauf er Lust hat.
Ihre Auftritte sind explizit, laut und wütend. Sie sammelten auf Ihrer Webseite »crotch shots« Bilder aus dem Publikum, auf denen ihnen zwischen die Beine fotografiert wurde. Jetzt wirken Sie dagegen sehr ruhig – beinahe eine Popversion von Angela Merkel. Wie kommt’s?
Ich bin kein wütender Mensch, auch wenn es auf der Bühne so wirkt. Mit dem, wie ich bin, wenn ich zu Hause die Tür zumache, hat Peaches nichts zu tun.
Sie wurden vor zehn Jahren von der kanadischen Grundschullehrerin Merrill Beth Nisker zum inter nationalen Undergroundstar Peaches. Ist es nicht manchmal auch langweilig, Peaches zu sein?
Anfangs war ich genervt, weil das Image von Peaches viel größer war als die Anerkennung meiner musikalischen Arbeit. Heute habe ich das Gefühl, dass ich auch die Anerkennung als Musikerin bekomme und dadurch auch die Freiheit habe, alles machen zu können, was ich will – Kunst, Theater, ganz egal. Und das ist fantastisch.
Hätte Peaches auch die Freiheit, mit Mann und Kind auf einen Bauernhof zu ziehen und ein klassisches bürgerliches Leben durchzuziehen?
Klar. Wenn andere damit nicht zurechtkämen, wäre das ja nicht mein Problem. Aber eine gemütliche Bauernhof-Peaches ist nicht so wahrscheinlich, weil ich von dieser Art zu leben schnell gelangweilt wäre.
In Ihrem letzten NEON-Interview vor fünf Jahren haben Sie gesagt, dass Sie Männer bemitleiden, weil deren Rollenbilder eigentlich gar nicht mehr funktionieren. Was hat sich seitdem verändert?
Der Druck auf Männer ist schon sehr hoch. Aber immerhin rappt inzwischen sogar jemand wie Snoop Dogg, für den Frauen sonst nur als »bitches« existierten, dass er will, dass die Frau zuerst kommt. Ein Fortschritt!
Eine Handvoll Popstars ändert ein Gesellschaftsbild doch auch nicht. Oder glauben Sie wirklich, dass konservative Eltern zu ihrem Kind sagen: »Ah, ich habe gerade diese Sängerin im Fernsehen gesehen, die Geschlechterrollen infrage stellt. Jetzt verstehe ich dich viel besser und schreibe dich wieder ins Testament!«
Kommt auf die Eltern an, aber grundsätzlich passiert das auf jeden Fall! Bei mir zum Beispiel. Natürlich fanden meine Eltern anfangs komisch, was ich als Peaches tat. Sie fragten: »Was genau treibst du da eigentlich in diesen engen Klamotten?« Ein paar Jahre später riefen sie an und sagten: Hey, ich habe dich in der „Vogue“ gesehen – ich glaube, ich verstehe so langsam, was du machst.«
Kunststück, immerhin hat Sie auch Karl Lagerfeld fotografiert, und in jeder Zeitung stand, dass Madonna Ihre Musik hört. Hätten Ihre Eltern die Entscheidung, als Künstlerin gegen bürgerliche Moralvorstellungen zu protestieren, auch dann akzeptiert, wenn Sie keinen Erfolg gehabt hätten?
Ich hoffe – meine Eltern sind schließlich keine Kotzbrocken. Ihnen ist es auch egal, wie viel Geld ich verdiene. Wie die meisten Eltern wollen sie nur, dass ich glücklich werde. Aber natürlich waren sie anfangs skeptisch. Allein deshalb, weil es etwas völlig Fremdes war, was ich da gemacht habe. Sie mussten es also wirklich erst begreifen. Dass sie sich keine Sorgen mehr machen mussten, dass ich verhungern würde, hat es sicherlich erleichtert.
Von der Bühne aus fordern Sie Zuschauer auf, ihre »Schwänze zu schütteln«. Wie liberal wurden Sie erzogen?
Geht so. Meine Mutter hat zwar Psychologie studiert und ist eine sehr kluge Frau – aber gleichzeitig wollte sie immer eine perfekte Hausfrau sein. Ich liebe die Serie »Mad Men«…
…in der es um New Yorker Werber Anfang der 60er geht und ein wirklich sehr konservatives Frauenbild vorherrscht.
Manchmal kann ich gar nicht glauben, dass es vor nicht mal fünfzig Jahren wirklich noch so war. Andererseits hat meine Mutter genau diese Selleriestreifchen mit Dip gemacht, die man in der Serie sieht.
Angerichtet in der extra dafür konstruierten »Chip & Dip«-Schale. Und ob das Ehepaar Nixon oder Kennedy wählt, entscheidet immer noch der Mann…
Genau. Das sieht man sich an und plötzlich denkt man: Es hat sich seitdem doch sehr viel getan.
Das neue Album von Peaches, »I Feel Cream«, XL Recordings, erscheint am 4. Mai.
Peaches, Jahrgang 1968, heißt mit bürgerlichem Namen Merrill Beth Nisker und zog vor fast zehn Jahren aus einer kanadischen WG mit der Sängerin Feist nach Berlin. Zu erklärten Fans ihrer schmutzigen Mischung aus Sex-Raps, Punk-Attitüde und Elektrobeats zählen neben Madonna und Karl Lagerfeld auch Iggy Pop, Britney Spears und Björk. Auf ihrem neuen Album »I Feel Cream« arbeitet die ehemalige Grundschullehrerin unter anderem mit dem Hamburger House-Duo Digitalism, den DJs von Soulwax und der Rapperin Shunda K zusammen.
Interview: Daniel Erk & Christoph Koch
Erschienen in: NEON
Foto: XL Recordings