Stefan Mesch: Mein Medien-Menü (Folge 41)

Written by on 25/02/2013 in Was ich lese with 15 Comments

In der Reihe “Mein Medien-Menü” stellen interessante Menschen ihre Lese-, Seh- und Hörgewohnheiten vor. Ihre Lieblingsautoren, die wichtigsten Webseiten, tollsten Magazine, Zeitungen und Radiosendungen – aber auch nützliche Apps und Werkzeuge, um in der immer größeren Menge von Informationen, den Überblick zu behalten und Wichtiges von Unwichtigem zu trennen. Jeden Montag also ein neues Medien-Menü. Diese Woche: Stefan Mesch, Autor und Kulturjournalist aus Heidelberg und Toronto.

was ich lese - medien-menü stefan mesch

Wie informierst du dich morgens als erstes?

Im RSS-Reader und auf Facebook: Ronnie Grobs 6 vor 9, BoingBoing, Reddits „de“-Links und Felix von Leitner.

In Deutschland frühstücke ich mit meiner Mutter. Sie liest FAS und SZ und kennt gute Texte oft Stunden vor mir. Freund Frank liest Handelsblatt, hört Deutschlandfunk. Bei Facebook posten Kuratoren / Freunde wie Sebastian Christ (Politik & Medien), Simone Ayivi (Theater), Christian Huberts (Gaming, Tech, Soziales), Karla Paul (Buchmarkt), Merlin Schumacher und Sebastian Standke (Nerd Culture) Debatten und Texte aus ihren Fachgebieten.

In Toronto stehe ich gegen 9 auf: Dann ist in Deutschland 15 Uhr, alle Themen vorsortiert. Eine Startseite habe ich nicht. Geschrei wie GMX und Spiegel Online macht mich fertig.

Welche Zeitungen / Magazine hast du im Abo oder liest du regelmäßig?

Nur BELLA triste – Zeitschrift für junge Literatur, dreimal im Jahr, und das SZ-Magazin. Als Teenager, Ende der 90er, las ich den ganzen Tag: Cinema, TV Highlights, TV Movie, Xposé, Hollywood, Animania, Starlog, Starburst, Men’s Health (Link öffnen!). Heute stehen diese Texte online.

Im Studium – Kreatives Schreiben und Kulturjournalismus, Hildesheim – rieten Professoren, mehrere / alle Tageszeitungen zu lesen: „Verfolgt Debatten! Lest euch rein! Klebt die Artikel in ein Journal!“ Ich musste mich lange zwingen: Kleingeld, Kiosk, Altpapier usw. Erst seit fünf Jahren, mit Facebook als Artikelsammlung, soziales Journal, lese ich gerne täglich durch die Feuilletons:

Heute ist es normal (weil: endlich bequem!), jeden Tag 30, 40 Texte zu lesen. Artikel mit Freunden zu teilen. Ohne große Kosten, Hürden informiert zu bleiben. Müsste ich Print-Magazine abonnieren: Psychologie heute. Wired. Publisher’s Weekly.

 

Was liest du auf Reisen?

Ebooks, digitale Fahnen und Graphic Novels. Ein Freund verkaufte mir 2011 sein iPad. Bis heute habe ich keine einzige App installiert – nur Reader für .mobi-, .cbr- und .pdf-Dateien. Ich lese gerne digital. Besonders Comics.

 

Welche Nachrichtenseiten im Netz sind Dir wichtig?

Keine. Der Freitag hat einen guten Rhythmus / Tonfall auf Facebook. Welt Online hat unvergessliche Texte und Leserkommentare. Vielleicht nimmt Buzzfeed Schwung auf, journalistisch. Doch alle Websites, die mir wichtig sind, haben einen engeren, präzisen Fokus:

Literatur: Feuilletons von Zeit und Tagesspiegel, The Millions, die Perlentaucher-Magazinrundschau, Love German Books.

TV: tvtattle (Aggregator), tvbythenumbers (Quoten), Allan Sepinwall (Kritik), Willa Paskin (Kritik), TV Tropes und Feminist Frequency, Sascha Becks Sablog.

soziale Gerechtigkeit und Watchblogs: Sociological Images, Stefan Niggemeier, lawblog, Jezebel (gute Links – aber furchtbar polemisch), AfterEltons Meme, Bitch Magazine.

Comics: Collected Editions, /r/comicbooks, Retcon Punch, DC Women Kicking Ass, Escher Girls, The Absorbascon, Every Day is like Wednesday, Grober Unfug und das Tagesspiegel-Comic-Ressort.

 

Welche Blogs liest du?

Ich las – zur Vorbereitung auf den Fragebogen – die ersten 39 „Medien-Menüs“ und fand dabei 20 neue Blogs, denen ich folgen will, u.a. My Modern Met und achtmilliarden.

Oft lese ich Journalisten-Freunde wie Jan Drees, Jan Fischer, Frithjof Klepps Ocelot-Blog – und mir fehlen weiterhin gute Literaturblogger: Ruth Justen, Mara Giese, die Facebook-Seite Stapel ungelesener Bücher… die Richtung stimmt. Aber da ist Luft nach oben. Empfehlungen?

Freund Max, Kulturjournalist beim Indie-Mode-Magazin Worn, bloggt im Toronto Standard über Kleidung, Politik, Identität. Mode ist mir recht egal – aber Mode-Blogs mit nem ähnlich (kritischen, essayistischen) Fokus? Her damit! (Bisher gefunden: Sleek, Disney Roller Girl, Wonderland Magazine.)

Highlights aus deinem RSS-Reader?

Für „Zimmer voller Freunde“ sammle ich Fotos, als stummes Exposé. Ich mag We just don’t give a fuck, ein Pool betrunkener Jugend- und Randale-Szenen auf Flickr, Kurator Go ask Weyprecht, die Nachwuchs-Fotografen mr.fink und oliviabee.

Sehenswerte Bilder auch bei Boston.com und (leere Gebäude! Ruinen!) Kingston Lounge, Musiktipps und Gratis-MP3s (Folk, Singer-Songwriter) bei Klienicum, toller Retro-Kitsch (Wohnen) bei Kitschyliving, Retro-Sexismus (Comics) bei Comically Vintage. Das letzte Browser-Game, das mir Spaß machte, war Super Mario 63.

 

Was ist wichtige berufliche Lektüre für dich?

Ich lese knapp 80 Romane im Jahr (…zu Ende), dazu 120 Comics. Das meiste fruchtet in Essays, kulturwissenschaftlichen Texten oder langen Interviews.

Beruflich ist am wichtigsten, Dinge früh zu lesen. Experte zu werden, Übersicht zu schaffen. Erklären, finden, ordnen, was ohne mich unbekannt bleiben würde. Für 2013 wollte ich mehr tagesaktuelle, beliebte Bücher lesen. Doch die Ausbeute ist mies: Ich sehe kaum Sinn darin, den selben Titeln nachzujagen, die gerade eh jeder liest.

 

Welche Art von Büchern liest du am liebsten (Sachbücher, Fiction, Biografien)?

Ich mag keine Märchen, selten Krimis oder Texte, älter als das 20. Jahrhundert – zu viel Landwirtschaft, Adel, Religion.

Bücher funktionieren für mich, wenn sie mich einer Sache möglichst nahe kommen lassen: Figuren, Arbeits- und Alltagswelten, politischen Zusammenhängen, einem Autoren-Ich, klugen Fragen oder Fakten.

So lange ein Autor zeigen kann „Das hier ist mehr als Spielerei, Beschäftigung.“ höre ich neugierig (und: gerne!) zu.

 

Welches Buch hat dich in letzter Zeit am meisten beeindruckt?

Meine Highlights 2012 sind hier gebloggt, weitere Empfehlungen hier. 2013, bisher? Der Comic „The Nao of Brown“ von Glyn Dillon, Alexander Maksiks „You deserve nothing“ und, neu im Taschenbuch: „Fernliebe“ von Ulrich Beck. Andere Neuerscheinungen: hier. Wichtigstes Buch der letzten Monate? „Weiter leben“ von Ruth Klüger.


Wie viel liest du auf dem Smartphone, Tablet, o.ä.?

Seit 2008 habe ich kein Handy mehr. (Eine gute Entscheidung!)

Doch ich lese gerne digital: Teilen, Linken, Pasten wird einfacher.

 

Welche Rolle spielen Leseempfehlungen/Links durch Soziale Netzwerke?

Auf Goodreads helfen Una, Clara Ehrenwert, René-Raphael Freudenthal, Martin Kistner und Oriana Leckert. Für Essays und Blog-Fundstücke lohnt Maximilian Buddenbohms wöchentliche Linksammlung „Woanders“.

Privat / grundsätzlich bin ich fast enttäuscht, wenn Freunde lesen, entdecken… aber nichts damit anfangen: Warnungen, Tipps, Hilfe…? Raus damit! Wir können uns gegenseitig helfen, bessere Kauf- und Leseentscheidungen zu treffen.

 

Gibt es tägliche oder wöchentliche Leserituale?

Ich bin recht kritisch – und laufe Gefahr, oft 10, 15 freudlose Bücher am Stück zu lesen. Stöbern, Abwechslung, Experimente helfen: Underdogs und Geheimtipps machen mehr Spaß, als (…im Gleichschritt mit allen anderen Journalisten, Buchhändlern, Bloggern) die Themen der Saison durchzuhecheln.

Besser: Scouten gehen in Bibliotheken, kanadischen Buchhandlungen und im Netz.

 

Wer sind deine Lieblingsautoren (Buch, Zeitung, Magazin)?

Klassiker? Thomas Wolfe, Vladimir Nabokov, John Cowper Powys.

Gegenwart? Stewart O’Nan und Dietmar Dath.

Journalisten? Ina Hartwig, Peter Praschl, Gerrit Bartels.

Freunde / junge Autoren? Leif Randt, Nora Wicke.

 

Gibt es eine Radio- oder Fernsehsendung, die du möglichst nie verpasst?

Nur „Mad Men“, im Moment.

Auf der „bald sehen!“-Liste stehen „Homeland“, „Happy Endings„, die zweite Staffel „Girls“ und „Avatar: The Legend of Korra„, vielleicht „Community„. Eine Watchlist für Filme habe ich bei imdb angelegt.

Ich mag Alltags-Serien, Seifenopern, Domestic Fiction: Die Kleinstadt-Schmonzette „One Tree Hill“ (Clip öffnen!) machte mich 9 Staffeln lang recht glücklich. Im Herbst 2012 hatte „Verbotene Liebe“ eine überraschend gute Alzheimer-Storyline. Ich schreibe gerne / oft / recht viel über US-TV. Aber ich begeistere mich nur selten.

Hast du einen Lieblings-Podcast?

Ich mag lit.radio, vor allem die „Für immer in Honig“-Lesung von Dietmar Dath und (großartige Stimme:) Andreas Platthaus – aber lese, im Zweifelsfall, lieber selbst.

Das fröhliche / manische, amerikanische Geplapper von Youtube-Entertainment-Vlogger Michael Buckley macht mir gute Laune. Iris Radisch wird besser und besser. Und viele Gaming-Freunde haben Auftritte beim breakfast @ manuspielt-Podcast von Manuel Fritsch.

 

Wie haben sich deine Lesegewohnheiten in den letzten Jahren geändert?

Vor zehn Jahren war ich 19, wollte TV-Autor und Filmkritiker werden, las Filmzeitschriften und sah… Filme. Erst seit ca. 2004 sind Bücher wichtiger für mich:

Wer liest (noch) Literatur? Krankt, schwächelt Journalismus? Für wen erzählen Autoren? Für wen gestalten, vermarkten Verlage? Empfehlungen, Social Reading, Schwarmintelligenz, Leaks, Demokratisierung, Propaganda…

Jedes Buch, jeder Artikel 2013 erzählt (mit), wo Bücher, Literatur, Journalismus und PR stehen (wollen), heute. Das ist die große, kulturelle Geschichte, die wir uns gegenseitig erzählen, neu verhandeln: Wie haben sich meine Lesegewohnheiten verändert? Ich lese, beim Lesen, diese Geschichte (mit). Und denke sie – unfassbar gerne – weiter:

Artikel über „das Ende des Journalismus“? Uff.

Artikel über „die Zukunft des Lesens“? Mehr! Weiter! Wir stehen am Anfang.

 

Irgendetwas, das ich vergesse habe, du aber trotzdem gerne liest?

Ich lese oft Mangas mit meiner elfjährigen Patentochter: aktuell „Yotsuba&!“ und „Honey and Clover“. Bei Goodreads führe ich einen Zweit-Account für Titel, die ich bald lesen will. Letzten Monat war ich Juror bei einem Literaturpreis (gerne wieder!).

Vorlesen macht Spaß. Und Gespräche mit Autoren:

Wenn ich groß bin, stehle ich den Job von Denis Scheck. Oder von Oprah.

Stefan Mesch, geboren 1983 in Sinsheim (Baden), schreibt für ZEIT Online und den Berliner Tagesspiegel. Sein erster Roman, „Zimmer voller Freunde“, wird 2014 fertig.

***

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Wer das Medien-Menü regelmäßig gerne und mit Gewinn liest und sich dafür bedanken möchte, findet hier einen Amazon-Wunschzettel voll von Dingen, mit denen man mir eine Freude machen kann.

Vielen Dank an “The Atlantic Wire” für das wundervolle Format (dort heißt es “What I Read”). Wer Vorschläge hat, wer in dieser wöchentlichen Rubrik auch einmal zu Wort kommen und seine Lieblingsmedien vorstellen und empfehlen sollte, kann mir gerne schreiben.

Offenlegung: Mit einigen der Menschen, die hier ihre Mediengewohnheiten vorstellen, bin ich befreundet. Links zu Amazon sind sogenannte Affiliate-Links. Das bedeutet, ich bekomme im Fall eines Kaufs eine kleine Provision (natürlich ohne zusätzliche Kosten für den Käufer).

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About the Author

About the Author: Christoph Koch ist Journalist (brand eins, GEO, NEON, Wired, GQ, SZ- und ZEIT-Magazin, Süddeutsche, etc.), Autor ("Ich bin dann mal offline" & "Digitale Balance" & "Was, wäre wenn ...?") sowie Moderator und Vortragsredner. Auf Twitter als @christophkoch unterwegs, bei Mastodon @christophkoch@masto.ai .

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15 Reader Comments

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  1. sofa-lümmler sagt:

    Eine sehr beeindruckende Persönlichkeit, danke für dieses interessanteInterview. Besonders der Einfluss des Internets auf die Lesegewohnheiten fand ich spannend zu lesen.

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