Benedict Evans: „Manche Firmen planen das Metaversum, während andere noch an ihrer Mobil-Website arbeiten.“

Written by on 17/03/2023 in brand eins with 0 Comments

Was Unternehmen unter Digitalisierung verstehen, klaffe immer weiter auseinander, sagt der britische Branchenkenner Benedict Evans. Warum das nicht zwangsläufig schlimm ist und was daraus folgt, erklärt er im Interview.


Herr Evans, Sie beschreiben jedes Jahr den Zustand der Digitalisierung in einer Präsentation, die mittlerweile von vielen neugierig erwartet wird. Ihr aktueller Vortrag heißt „Three Steps Into the Future“ – was ist damit gemeint?

Dass wir drei sehr unterschiedliche Wege in die Zukunft sehen. Die letzte große Veränderung – das Smartphone und dass sich alles in Richtung Mobile verschiebt – ist weitgehend abgeschlossen, diesen Trend haben wir verstanden. Aber was kommt als Nächstes? Ich nehme da drei komplett unterschiedliche Diskussionen wahr.

Welche sind das?

In einem kleinen Teil der Unternehmen wird über das Jahr 2030 nachgedacht, wenn über die Zukunft gesprochen wird. Da geht es dann fast immer um Themen wie Web3 oder das Metaversum, seltener um Dinge wie künstlich gezüchtetes Fleisch oder Quantencomputer. Die allermeisten Start-ups beschäftigen sich aber nicht mit diesen wirklich neuen Themen, sondern mit Techniken, die vor zehn Jahren erfunden wurden – Software as a Service (SaaS) oder Cloud Computing zum Beispiel.

Shopify ist ein gutes Beispiel: Die tun heute nichts, was man nicht fast genauso 2010 hätte machen können – aber mit ihren Webshop-Lösungen sind sie die Maschinerie hinter 175 Milliarden Dollar E-Commerce-Umsatz. Oder nehmen wir den chinesischen Online-Händler Shein: Dahinter steckt keine Idee, die neuer ist als zehn Jahre, aber es ist der größte Fast-Fashion-Händler in den USA.

Und womit beschäftigt sich die dritte Gruppe?

Der Rest der Wirtschaft – Banken, Einzelhändler oder Zeitungsverlage – müht sich mit Dingen ab, die um das Jahr 2000 erfunden wurden, und nennt das Digitalisierung. Wir haben also eine sehr große Spannbreite: von Firmen, die sich Gedanken über eine virtuelle Ökonomie im Metaversum machen, bis hin zu Firmen, die gerade erst an einer mobil-optimierten Version ihrer Website arbeiten.

Aber war das nicht immer so? Es gibt eine Avantgarde, die ihrer Zeit weit voraus ist, dann kommen Early Adopter und Nachzügler – und ganz am Ende findet man ein paar Totalverweigerer.

Ich weiß, was Sie meinen, und ich kenne den Witz, dass man in Frankreich am besten aufgehoben ist, wenn die Apokalypse kommt – denn in Frankreich passiert alles fünf Jahre später. Aber ich bin mir sicher, dass vor zehn Jahren die Spreizung nicht so groß war. Es gab damals mehr handfeste Innovationen, und alle haben sich darauf gestürzt. Es gibt Phasen, in denen Neues entsteht, und solche, in denen es sich nach und nach verbreitet. In dieser Phase befinden wir uns gerade.

Warum konzentrieren sich so viele Start- ups auf die Anwendung von Ideen, die um 2010 herum entstanden?

Weil es sinnvoll und lukrativ ist. Man darf nicht vergessen, dass in den vergangenen zehn Jahren allein im Silicon Valley und in der San Francisco Bay Area jährlich einige Tausend Start-ups entstanden sind. Die wenigsten davon wenden sich an Endkunden. Die allermeisten sind nützlich und stinklangweilig. Sie lösen das Problem einer Firma, von der Sie und ich noch nie etwas gehört haben – die aber eine Milliarde Umsatz macht. Solchen Unternehmen etwas zu verkaufen, das sie ein wenig effizienter macht, kann sich mehr lohnen als der Versuch, das Rad neu zu erfinden.

Ein Versuch, das Internet neu zu erfinden, ist das Web3. In der Diskussion um Dinge wie NFTs und Kryptowährungen stehen sich zwei Lager aus Superfans und Hard- core-Kritikern gegenüber, die kaum Verständnis für die Argumente der anderen Seite zeigen. Was denken Sie darüber?

Ich beschäftige mich seit 1999 mit dem Internet und kann mich an kein Thema erinnern, bei dem so viele kluge und verdiente Leute auf entgegengesetzten Seiten standen und komplett konträrer Meinung waren. Es gibt leider sehr viele schlechte Argumente und logische Fehlschlüsse auf beiden Seiten.

Welche Fehlschlüsse meinen Sie?

Kritiker bemängeln zum Beispiel, dass viele Blockchain-Anwendungen zu langsam seien, um nützlich sein zu können. Die Befürworter sagen dann: „Die ersten Entwürfe eines Flugzeugs haben auch noch nicht richtig funktioniert.“ Das ist zwar richtig – aber daraus zu folgern, dass die Blockchain-Technologie dieselbe Entwicklung nehmen wird wie die damalige Flugzeug-Technik, ist Unsinn. Oder wie es der österreichische Physiker Wolfgang Pauli einmal ausgedrückt hat: „Es ist nicht nur nicht richtig, es ist nicht einmal falsch!“ Damit brandmarkte er Argumente, die nicht beweisbar, aber auch nicht widerlegbar waren – und damit unbrauchbar. Das Gleiche gilt aber für die Kritiker: „Wer soll so etwas wie NFTs brauchen? Ich kann darin keinen Nutzen erkennen.“ Solche Aussagen sind auch keine Argumente.

Erkennen Sie denn den Nutzen der Blockchain?

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Interview: Christoph Koch
Foto: Benedict Evans

About the Author

About the Author: Christoph Koch ist Journalist (brand eins, GEO, NEON, Wired, GQ, SZ- und ZEIT-Magazin, Süddeutsche, etc.), Autor ("Ich bin dann mal offline" & "Digitale Balance" & "Was, wäre wenn ...?") sowie Moderator und Vortragsredner. Auf Twitter als @christophkoch unterwegs, bei Mastodon @christophkoch@masto.ai .

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