Was wäre, wenn … es in Deutschland keinen Friedhofszwang mehr gäbe?

Written by on 07/03/2023 in brand eins with 0 Comments

In Filmen und Serien sieht man es immer wieder: Familienangehörige verstreuen die Asche eines Verstorbenen in einem Fluss. Lassen sie von einem Berg aus vom Wind verwehen. Oder stellen sich Großmutters Urne auf das Kaminsims, wie in der US-Komödie „Meine Braut, ihr Vater und ich“. Darin befördert der Hauptdarsteller Ben Stiller die Urne beim Besuch seiner Schwiegereltern in spe versehentlich mit einem Champagnerkorken zu Boden. In Deutschland hätte ihm das nicht passieren können. Hierzulande herrscht der sogenannte Friedhofszwang: Verstorbene müssen an einem Ort beigesetzt werden, der als Friedhof ausgewiesen ist. Das können zwar inzwischen auch Wälder sein – wovon Firmen wie FriedWald profitieren –, aber die Urne auf dem Kaminsims oder das Verstreuen im Vorgarten bleibt verboten. Was wäre, wenn der Friedhofszwang in Deutschland aufgehoben würde?


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„Es gibt schon jetzt einige Leute, die die Pflicht umgehen“, sagt Alexander Helbach von der Verbraucherinitiative Aeternitas, die rund um das Thema Trauerfall berät und sich für eine Erneuerung der Bestattungskultur einsetzt. „Eine nicht bestimmbare Zahl von Urnen wird heimlich wieder nach Deutschland gebracht, nachdem die Urne zur Beisetzung legal ins Ausland transportiert und den Angehörigen dort ebenfalls legal wieder ausgehändigt wurde.“ Bei einer Abschaffung des Friedhofszwangs müssten Menschen nicht mehr auf solche illegalen Methoden ausweichen. Drastische Strafen muss allerdings auch derzeit niemand fürchten, der sich eine Urne ins Wohnzimmer stellt: Der Verstoß gegen die Friedhofspflicht ist lediglich eine Ordnungswidrigkeit. „Wer erwischt wird, muss die Urne ordnungsgemäß auf einem Friedhof beisetzen und in einigen Bundesländern eventuell noch ein Bußgeld zahlen“, sagt Helbach.

Durch Trend zur Feuerbestattung immer überflüssiger

Offiziell eingeführt wurde die Pflicht im Jahr 1934. Damals wurden kaum Leichen verbrannt, und aus hygienischen Gründen sollten die Verstorbenen nicht im Vorgarten verbuddelt werden. „Bei Ascheresten ist das überholt, die weisen keine bedenklichen Rückstände auf“, sagt Norbert Fischer, ein auf Bestattungen spe- zialisierter Kulturhistoriker. 76 Prozent der Verstorbenen werden hierzulande inzwi- schen verbrannt. In Ostdeutschland und in Großstädten ist der Anteil noch höher.

Befürworter der derzeitigen Regelung befürchten, dass der Friedhof seine Bedeutung als zentraler Ort der Trauer verlieren könnte. Diese Gefahr sieht Alexander Helbach nicht: „Deutschland steht mit seiner Friedhofspflicht nahezu allein da – und trotzdem gibt es in anderen Ländern noch immer Friedhöfe.“ Allerdings gehen den deutschen Trägern Einnahmen verloren, wenn die Beisetzungen woanders stattfinden. „Etwa zwei Drittel der deutschen Friedhöfe werden von Kommunen betrieben, ein Drittel von Kirchen“, sagt Helbach. „Sie spüren schon jetzt zunehmenden finanziellen Druck.“ Zum einen aufgrund der Konkurrenz durch private Bestattungswälder, zum anderen, weil die Gebühren für Urnengräber deutlich niedriger seien. Friedhöfe seien deshalb bereits jetzt eher ein Zuschussgeschäft, sagt Helbach. „Aber das kann kein Argument sein, die Pflicht beizubehalten.“ Ein Friedhof könne auch eine Oase der Ruhe sein, eine Heimat für Tiere und Pflanzen – und gerade in dicht bebauten Großstädten eine wichtige Grünfläche.

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Text: Christoph Koch
Foto: Tom Wheatley auf Unsplash

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About the Author

About the Author: Christoph Koch ist Journalist (brand eins, GEO, NEON, Wired, GQ, SZ- und ZEIT-Magazin, Süddeutsche, etc.), Autor ("Ich bin dann mal offline" & "Digitale Balance" & "Was, wäre wenn ...?") sowie Moderator und Vortragsredner. Auf Twitter als @christophkoch unterwegs, bei Mastodon @christophkoch@masto.ai .

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