Der Maulwurf: Wie entsteht eigentlich ein Kartell?

Written by on 03/11/2017 in brand eins with 0 Comments

Die Geschichte des Mark Whitacre liest sich wie ein Thriller. Und nimmt mindestens ebenso viele überraschende Wendungen.

Der FBI-Agent hatte Mark Whitacres Haus bereits wieder verlassen und war in sein Auto gestiegen, als dieser ihm nachlief und sich auf den Beifahrersitz fallen ließ. „Ich muss Ihnen noch eine andere Sache erzählen“, begann Whitacre. Dann packte er aus: Sein Arbeitgeber Archer Daniels Midland (ADM), einer der weltgrößten Hersteller von Lebensmittel- und Futtermittelzusatzstoffen, spreche seine Preise mit zahlreichen Konkurrenten ab. Märkte und Kunden würden aufgeteilt und die Produktion künstlich niedrig gehalten. Die Kunden würden um Millionensummen betrogen.

Der FBI-Agent war verwirrt: Er war eigentlich gekommen, um in einer Erpressung zu ermitteln. Whitacre, ein 35-jähriger ehrgeiziger Manager, hatte behauptet, eines der von ihm geleiteten Werke in Decatur, Illinois, werde sabotiert. Und ein Erpresser verlange zehn Millionen Dollar, damit diese Sabotage ende. Was der FBI-Agent zu diesem Zeitpunkt noch nicht wusste: Whitacre hatte die Erpressung komplett erfunden. Das Preiskartell war jedoch real.

„Wenn man in die Küche geht und alle Dinge mit Zutaten von ADM rausnimmt, kann man kein Abendessen mehr zubereiten“, beschrieb Kurt Eichenwald einmal die Marktmacht des Konzerns. Er hat in den Neunzigerjahren für die »New York Times« über den Fall berichtet und später ein Buch darüber geschrieben. Ob Cornflakes oder Cola, ob Pudding oder Salami – ADM steckt bis heute fast überall drin. Die Firma stellt unter anderem Zitronensäure, Nitrat, Maissirup und Glucanase her.

Als Mark Whitacre im November 1992 im Auto des FBI-Agenten saß, war er unter anderem verantwortlich für Lysin, einem Futtermittelzusatz, der Hühner und Schweine schneller zunehmen lässt. Doch die Produktion in dem gerade eröffneten weltgrößten Werk für Lysin stockte. Die Aminosäure wird durch Fermentierung hergestellt, doch in der Fabrik gab es einen Virus, der die Zellkulturen befiel, welche die Dextrose in Lysin verwandeln sollten. Whitacre, bis eben noch der Star der Firma, kam monatelang nicht mal in die Nähe seiner Produktionsziele. Um Zeit zu gewinnen, erfand er die Geschichte von Sabotage und Erpressung. Doch als seine Vorgesetzten daraufhin das FBI einschalteten, ahnte er, dass diese Lüge schnell auffliegen würde. Also konterte er sie mit der Wahrheit. Und wurde – im Austausch gegen Straffreiheit – zum Informanten in einer der größten Ermittlungen zu Preisabsprachen aller Zeiten.

„Ich erinnere mich noch genau an das erste Treffen mit unseren Lysin-Konkurrenten aus Japan und Südkorea“, antwortet Whitacre, wenn man ihn heute zu den Geschehnissen befragt. „Wir trafen uns in Mexiko-Stadt, und mein Chef, der damalige ADM-Präsident Terry Wilson, schlug vor, wir sollten doch lieber alle zusammenarbeiten statt gegeneinander. Ich werde nie vergessen, wie schnell alle zustimmten.“ Das war ungefähr sieben Monate, bevor sich Whitacre dem FBI anvertraute. Spätere Ermittlungen zeigten, dass Preisabsprachen bei ADM bereits zwölf Jahre vor Whitacres Zeit begonnen hatten. „Es war vollkommen normal und zog sich durch fast alle Sparten“, sagt Mark Whitacre. „Terry Wilson wurde intern nur ‚the price-fixer‘ genannt. Einer seiner Lieblingssätze war: ‚Der Kunde ist unser Feind, und unser Konkurrent ist unser Verbündeter.‘“

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About the Author: Christoph Koch ist Journalist (brand eins, GEO, NEON, Wired, GQ, SZ- und ZEIT-Magazin, Süddeutsche, etc.), Autor ("Ich bin dann mal offline" & "Digitale Balance" & "Was, wäre wenn ...?") sowie Moderator und Vortragsredner. Auf Twitter als @christophkoch unterwegs, bei Mastodon @christophkoch@masto.ai .

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