„Nur weil ich Feministin bin, muss ich nicht im Blaumann rumlaufen“ – Lena Dunham im Interview

Written by on 04/02/2016 in Neon with 0 Comments

Die »Girls«-Erfinderin Lena Dunham ist die beste Freundin einer ganzen Generation. Im Interview verrät sie, warum sie ihr Schamgefühl aktiv bekämpft und ob sie bald eine TV-Serie »Boys« drehen wird.

LenaDunhamHBO

Lena Dunham ist total normal. Das ist das Besondere an ihr. Die Autorin, Regisseurin und Schauspielerin wird von ihren Fans dafür gefeiert, dass ihre TV-Serie »Girls« ein neues, authentisches Frauenbild ins Fernsehen bringt. Die 28-Jährige ist im Winter nach Deutschland gekommen, um Werbung für ihr erstes Buch »Not That Kind of Girl« zu machen. Sie sitzt gut gelaunt in einer Berliner Hotelsuite und begrüßt uns mit einem sehr amerikanisch geflöteten »Hey, how are you, so good to see you!«. Überschwänglich bedankt sie sich für das Interesse. Gern geschehen, liebe Lena. Wir freuen uns auch. Vor dem Interview hatten wir NEON-Leser auf Facebook und im Blog gefragt, was sie von der total normalen Superfrau aus New York wissen wollen.

Lena, was ist das eigentlich für ein Buch, das du da geschrieben hast: eine Autobiografie oder ein Ratgeber?

Ich wollte kein Ratgeberbuch schreiben, weil ich in meinem Leben schon so viele Fehler gemacht habe. Und irgendwie bin ich auch zu jung, um schon Memoiren zu verfassen. Ich hab mich dann für eine Genremischung entschieden und nehme mich hoffentlich nicht zu ernst.

Auf den ersten Seiten schreibst du, dass du mit Anfang zwanzig vom Selbsthass aufgefressen wurdest. Ist das inzwischen besser geworden?

Auf jeden Fall. Das hat vor allem mit meiner Arbeit zu tun.

Mit der Arbeit oder mit dem Erfolg?

Mit beidem. Der Erfolg ermöglicht mir, weiter zumachen. So lange genügend Leute das mögen, was ich mir ausdenke, kann ich mir weiter Sachen ausdenken.

Der Erfolg hat aber auch einen Preis: Als du neulich getwittert hast, dass du bei Amazon das Buch einer Freundin bestellt hast, wurdest du sofort mit Vorwürfen überhäuft: »Amazon ist böse, wie kann man dort nur einkaufen?« Ist es anstrengend, als Universalvorbild herhalten zu müssen?

Das Lustige dabei ist ja, dass ich mich nie als moralischen Menschen dargestellt habe. Ich schreibe über mein chaotisches Leben. Ich bin nicht der US-Präsident, ich bin nackt in einer Fernsehserie zu sehen. Man darf von mir nicht verlangen, dass ich ausschließlich kluge Entscheidungen treffe. Prominente stehen im Rampenlicht, schon klar, aber diese Amazon-Kontroverse fand ich absurd. Buchevents veranstalte ich immer in kleinen, unabhängigen Buchläden. Die Leute sollen sich mal abregen!

Die Hauptfigur Hannah in deiner Serie »Girls« bezeichnet sich als »Stimme ihrer Generation«. Unsere Leser wollen wissen, ob du dich selbst auch so wahrnimmst?

Man darf nicht vergessen, dass Hannah in dieser Szene auf Drogen ist. Unsere Generation ist zu vielfältig, als dass ich oder irgendjemand sich anmaßen könnte, als Sprachrohr für sie aufzutreten. Ich fand es einfach wahnsinnig lustig, Hannah diesen Satz sagen zu lassen es war mir unangenehm, dass manche Leute das so wörtlich genommen haben.

Okay. Trotzdem eine Generationenfrage: Bist du Teil der »Generation Oversharing«?

Ich mag den Begriff »Oversharing« nicht besonders. Was soll das »over« in »Oversharing« bedeuten? Wer entscheidet, wann es »zu viel« ist? Wer entscheidet, welche Gedanken der Gesellschaft zuzumuten sind und welche nicht? Indem ich über private Dinge spreche oder schreibe, bekämpfe ich mein überdimensioniertes Schamgefühl.

Ist das diese »aggressive Selbstakzeptanz«, von der du in deinem Buch schreibst?

Ich bin nicht bei den Anonymen Alkoholikern, aber ich finde deren Ideen gut: »Du bist nur so krank wie deine Geheimnisse.« Wer sich permanent für Dinge schämt, macht sich kaputt. Deshalb habe ich mich entschieden, so offen wie möglich zu leben.

Gibt es für dich gar keine Tabus?

Ich bin sehr vorsichtig, was meine Familie und meinen Freund betrifft. Aber bei den Dingen, die ich bisher mit der Welt geteilt habe, gibt es nichts, was ich bereue.

Auch nicht die Passage in deinem Buch, in der du als Kind die Vagina deiner kleinen Schwester untersuchst? Manche US-Medien warfen dir danach vor, sie missbraucht zu haben.

Dieser Vorwurf hat mich sehr bestürzt. Ich habe im Magazin »Time« ein Statement dazu abgegeben, dass ich jede Art von Missbrauch verurteile und dass meine Schwester Grace meine beste Freundin ist und alles, was im Buch steht, mit ihr abgesprochen ist.

Ein anderer Journalist warf dir vor, die Passage, in der du die Vergewaltigung durch einen Mitstudenten schilderst, erfunden zu haben.

Dass der Journalist niemanden gefunden hat, auf den meine Beschreibung zutrifft, liegt daran, dass ich den Namen und die Details geändert habe. Das steht aber auch im Buch. Mir ging es nicht darum, meinen Vergewaltiger an den Pranger zu stellen. Mir ging es darum, meine Erfahrung mit »Date Rape« zu schildern ein Thema, über das viel häufiger gesprochen werden muss.

Hast du das Gefühl, dass Online-Dating und Apps wie Tinder zu sexueller Verrohung führen?

Eine App, bei der man allein durch eine Wischbewegung über die Attraktivität eines Menschen entscheidet, ist keine gute Basis für eine dauerhafte Beziehung. Liebe wird für viele Leute zu einer Art Ware. Aber es wäre mir auch zu einfach, zu sagen, dass das Internet alles kaputtgemacht hat. Liebe und Beziehungen waren schon immer kompliziert. Ich kenne auch Leute, die sich im Internet kennengelernt haben und immer noch glücklich verliebt sind.

Hat unsere Gesellschaft zu große Erwartungen an die Liebe?

Romantische Filmkomödien führen sicher nicht dazu, dass wir realistisch auf die Liebe blicken. Auf der Leinwand ist alles überidealisiert und superromantisch dabei vergessen die Leute dann schon mal, dass ein Partner vor allem ein guter Freund sein muss. Jemand, der einen zum Lachen bringt und mit dem man gern Zeit teilt. Ich habe jedoch das Gefühl, dass wir in letzter Zeit wieder etwas ruhiger und weniger besessen über die Liebe reden. Vielleicht wird also alles gut.

In den vergangenen Monaten gab es eine große Debatte darüber, dass Frauen ihre Eizellen einfrieren können, um später Kinder zu bekommen. Was ist deine Meinung dazu?

Ich befürworte alles, was dazu führt, dass Frauen frei entscheiden können. Punkt. Ich zum Beispiel leide an Endometriose. Viele Frauen mit dieser Krankheit haben Probleme, schwanger zu werden. Wenn Frauen durch das Einfrieren der Eizellen ihre Familie so planen können, wie sie das möchten, finde ich das großartig. Es ist nicht okay, Frauen vorzuwerfen, sie seien karrieregeil, nur weil sie mit Ende dreißig Kinder bekommen wollen. Diese Argumente zeigen nur, dass die Gesellschaft über den weiblichen Körper bestimmen will.

Denkst du darüber nach, deine Eizellen einfrieren zu lassen?

Ist für mich derzeit kein Thema. Aber ich hätte keinerlei ethische Probleme damit.

Wo wir über Frauen und Karriere reden: Manche Fans haben dir übel genommen, dass du auf dem Titel der Modezeitschrift »Vogue« warst. Kannst du die Kritik nachvollziehen?

In meinen Augen ist »Vogue« eine absolut positiv besetzte Institution, die nachdenklich und mit Substanz über Frauenthemen berichtet. Das ist kein oberflächliches Magazin, sondern ein feministisches Blatt mit einer coolen, liberalen Haltung. Warum soll sich eine Frau wie ich, die keine perfekten Modelmaße hat, nicht für einen Tag auf dem »Vogue«-Cover als Prinzessin fühlen dürfen?

Vielleicht weil das Magazin lange Zeit für ein sehr unrealistisches Schönheitsideal stand?

Umso besser, wenn sich das jetzt ändert und auch eine Frau auf dem Cover erscheinen darf, die achtzig Kilo wiegt. Ich gehe nicht im Kartoffelsack zu einer Filmpremiere, und wenn die »Vogue« anfragt, mache ich mit. Ich hatte eine großartige Zeit mit der Fotografin Annie Leibovitz, ich durfte sogar meinen Hund mitbringen. Ich liebe die Fotos, die bei dem Shooting entstanden sind, und ich freue mich da rauf, sie irgendwann meinen Kindern zu zeigen.

Wie verträgt sich der Prinzessinnentraum mit deinen feministischen Ansichten?

Nur weil ich Feministin bin, muss ich doch nicht in einem Blaumann herumlaufen und ein Protestschild hochhalten. Ich liebe Glamour, ich liebe Weiblichkeit, ich möchte nicht, dass Frauen sich entscheiden müssen, ob sie schöne Kleider tragen oder satt sein wollen.

Warst du überrascht über die Kontroverse um das »Vogue«-Shooting? Das feministische Onlinemagazin »Jezebel« etwa hat 10 000 Dollar für die unretuschierten Bilddateien geboten.

Mich überrascht nicht mehr viel, aber das hat mich schon umgehauen. Das Lustige war, dass sie die Originalfotos tatsächlich bekommen haben und feststellen mussten, dass gar nicht so viel gephotoshopt wurde. »Jezebel« hatte gehofft, mich als 150-Kilo-Troll zu enttarnen, tatsächlich hatte man aber nur ein paar Gesichtsfalten wegretuschiert.

Eine Frage, die viele Leser interessiert hat: Fühlst du dich so wohl in deinem Körper, wie es wirkt? Oder ist die entspannte Haltung nur eine Rolle?

Eine sehr gute Frage! Ich fühle mich tatsächlich sehr wohl mit mir. Ich habe natürlich wie alle anderen Menschen auch Tage, an denen ich mich hässlich und aufgedunsen fühle und nicht vor die Tür gehen will. Aber das passiert eher selten. Es ist wichtig, sich passende Kleidung zu kaufen. Viele Frauen kaufen Sachen, die zu eng sind, und wachen dann jeden Morgen mit der Angst auf, sich in diese engen Klamotten zwängen zu müssen.

Kannst du dir eigentlich vorstellen, auch eine Serie mit dem Titel »Boys« zu drehen?

Mir würde bestimmt genug einfallen. Aber ich habe das Gefühl, dass fast jede Serie in der Geschichte des Fernsehens von Jungs und Männern handelt. Deshalb sehe ich keinen akuten Handlungsbedarf. Mich trifft es auch nicht sonderlich, wenn Leute sagen, die männlichen Figuren in »Girls« wären nicht vielschichtig und dreidimensional genug. Ich denke dann immer: So ging es weiblichen Figuren die letzten hundert Jahre. Ist nicht so schlimm, wenn es mal andersrum ist.

Bisher hat sich deine Arbeit sehr viel um dich und deine progressive New Yorker Lebenswelt gedreht. Ist das Thema nicht bald mal auserzählt?

Ich mache »Girls« immer noch sehr gerne, aber ich beschäftige mich auch schon intensiv mit komplett anderem Material. Ich will nicht mein ganzes Leben lang von Brooklyn erzählen. Frauenrechte und Genderthemen werden mich weiter beschäftigen, aber ich freue mich darauf, zum Beispiel die Gegenwart zu verlassen und mir historische Dinge anzusehen.

Kannst du noch mehr verraten?

Ich habe mit meiner Produktionsfirma zwei Dokumentationen gedreht, die bald erscheinen werden. Zum Beispiel haben wir einen Schneider getroffen, der Transgender-Kleidung entwirft. Ich arbeite auch an einer Talkshow. Aber keine Angst: Ich werde nicht moderieren.

Interview: Judith Liere & Christoph Koch
Erschienen in: NEON 2/2015

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About the Author

About the Author: Christoph Koch ist Journalist (brand eins, GEO, NEON, Wired, GQ, SZ- und ZEIT-Magazin, Süddeutsche, etc.), Autor ("Ich bin dann mal offline" & "Digitale Balance" & "Was, wäre wenn ...?") sowie Moderator und Vortragsredner. Auf Twitter als @christophkoch unterwegs, bei Mastodon @christophkoch@masto.ai .

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