Familienduell beim härtesten Schlittenrennen der Welt

Written by on 27/04/2015 in Wollt grad sagen with 0 Comments

Die zwei größten Rivalen beim jährlichen Iditarod-Hundeschlittenrennen sind Mitch und Dallas Seavey. Vater und Sohn. Wenn sie für das jährliche Rennen 1000 Meilen quer durch Alaska rasen, bleibt keine Zeit für Sentimentalitäten – ebenso wenig wie zum Schlafen.

Als Dallas Seavey am 11. März 2014 nach 8 Tagen, 13 Stunden, 4 Minuten und 19 Sekunden über die Ziellinie fuhr, wusste er nicht, dass er gewonnen hatte. Die Sicht war in dem Blizzard, der mit 128 Stundenkilometern über Alaskas Westküste fegte, so schlecht gewesen, dass er im Schneetreiben gar nicht gemerkt hatte, wie er zwei andere Hundeschlitten überholt hatte: „Ich konnte nicht mal mehr den Weg sehen – ich hielt mich einfach immer zwischen dem Meer und den Bergen.“ Mehr oder minder blind fuhr Dallas Seavey – der das legendäre Iditarodrennen schon 2012 als jüngster Sieger aller Zeiten gewonnen hatte – also seinem zweiten Sieg entgegen. Sein größter Rivale erreichte dieses Mal erst drei Stunden nach ihm das Ziel in der Küstenstadt Nome: sein Vater Mitch. Im Jahr zuvor war es andersherum gewesen: Damals hatte Mitch gewonnen, mit 53 Jahren der älteste Gewinner in der Geschichte des Rennens.

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The Last Great Race

Das Iditarod hat viele Spitznamen: „Das letzte große Rennen“, „Alaskas Superbowl“ – aber auch „das zuschauerunfreundlichste Rennen der Welt.“ Jeden ersten Samstag im März begeben sich tollkühne Männer in ihren Hundeschlitten auf die 1000 Meilen lange Strecke von Anchorage, im Süden Alaskas, nach Nome im Nordwesten. Fahren durch Landstriche, in denen nichts und niemand lebt außer Grizzlys, Elchen und Wölfen. Trotzen Wind, Wetter und Schlafentzug. Schon Dallas’ Großvater, Dan Seavey, nahm 1973 am allerersten Iditarodrennen teil. Von 34 Teilnehmern kamen damals nur 22 ins Ziel, Dan Seavey wurde Dritter. Seine Zeit: 20 Tage, 14 Stunden, 35 Minuten und 16 Sekunden. Fast drei Wochen. So lang wie andere Leute in ihren Jahresurlaub fahren, hatte der Mann auf seinem Schlitten gestanden. „Die Ziellinie hatte man damals mit buntem Brausepulver in den Schnee gemalt“ erzählt Dans Sohn Mitch. „Und sein Preisgeld hat er den Veranstaltern sofort als Kredit zurückgegeben, damit diese das Rennen im nächste Jahr wieder durchführen konnten.“

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Nächtliches Lager beim mehrtägigen Iditarod Race

Dallas und Mitch Seavey sitzen nebeneinander auf dem Sofa in Dallas’ Wohnzimmer. Wobei Wohnzimmer es nicht ganz trifft: Denn Dallas und seine Frau Jen wohnen in einer riesigen Jurte. Einer Art kegelförmigem Zelt mit gemauertem Fundament, großem Oberlicht und Einbauküche. Vor fünf Jahren zog das Ehepaar hierher nach Willow. Einem kleinen Nest, etwa zwei Autostunden nördlich von Anchorage, der einzigen wirklichen Stadt Alaskas (in der fast die Hälfte der gerade mal 750.000 Einwohner des Bundesstaats leben). Damals gründete Dallas seine Hundezucht mit lauter Tieren, die andere Züchter – unter anderem sein Vater – als ungeeignet aussortiert hatten. Dallas trainierte sie und glaubte an sie. Und gewann 2012 mit seinem „Verliererteam“, wie er sie liebevoll nennt. „Diese hier, Guinness, hatte ich von meinem Vater gekauft“, sagt Dallas und zeigt ein Foto der Hündin. „Der hielt sie für zu klein und schwächlich.“ Dallas stellte sie in die erste Reihe seines 16-köpfigen Gespanns gewann mit ihr das Rennen – und sie den Titel „Most Valuable Dog“. Mitch verdreht die Augen. Man ahnt, dass ihm die Geschichte nicht zum ersten Mal unter den buschigen rotblonden Schnurrbart gerieben wird. Aber so ist das nun mal, wenn das eigene Fleisch und Blut gleichzeitig der größte sportliche Rivale ist.

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Mitch Seavey

Es kommt nicht oft vor, dass Vater und Sohn im selben Sport gegeneinander antreten können. Zumindest nicht auf einem Niveau, bei dem es um Preisgelder und Werbeverträge geht. Denn auch, wenn es kurios wirkt: In Alaska sind die Seaveys so bekannt wie hierzulande Basti Schweinsteiger oder Sebastian Vettel. Natürlich könnte man denken, die einzigen, die sich beim Iditarod anstrengen müssen, seien die Hunde. Das mag 1973, als Opa Seavey teilnahm, vielleicht noch gestimmt haben. Doch heute, wo manchmal Minuten über Sieg oder Niederlage entscheiden, schieben die Fahrer ihre Schlitten mit Skistöcken an, um Geschwindigkeit zu gewinnen. Und springen ab, wenn es bergauf geht, und rennen nebenher, um den Hunden die Arbeit zu erleichtern.

Gegen den anderen und die 1000 endlosen Meilen

„Ich weiß, dass Dallas jederzeit ein Rennen gewinnen kann und er weiß dasselbe von mir. Wir sind schon allein deshalb die jeweils größte Konkurrenz für den anderen“, stellt Mitch unumwunden fest. „Gleichzeitig kämpfen wir in erster Linie nicht gegeneinander, sondern gegen die endlose Strecke“, sagt Dallas. Trotzdem merkt man an zahlreichen Sticheleien, dass die Familienrangliste letztlich doch mindestens so wichtig ist wie die 1000 vermaledeiten Meilen. „Während mein Vater vorhin die ganze Zeit mit seinen Trainingsmethoden angegeben hat, ist mir folgendes eingefallen…“, sagt beispielsweise Dallas. Kurz bevor ihn sein Vater mit einem „Das ist etwas, das er von mir gelernt hat…“ unterbricht.

„Essen ist fertig“, sagt Dallas’ Frau Jen, die in der offenen Küche steht und ebenfalls schon einmal am Iditarod teilgenommen hat. Es gibt Schweinekoteletts, Bohnen und Salat. Vater und Sohn holen sich jeweils eine große Portion und setzen sich kauend wieder aufs Sofa. In der Jurte herrscht Trophäenverbot. „Keine Pokale, Medaillen oder solchen Kram“, hat Jen angeordnet. Stattdessen hängen antike Schneeschuhe und Familienfotos an der Wand und ein Moskitofänger vertreibt die Insekten, die hier ansonsten im Sommer so dicht herumfliegen, wie im Winter die Schneeflocken. Ab September beginnt wieder das Training. Und das, da sind sich Vater und Sohn ausnahmsweise einig, sei mindestens so wichtig, wie die Performance beim Rennen selbst. „Wir helfen einander durchaus bei der Vorbereitung“, sagt Dallas. „Aber ich bin sicher, dass jeder von uns auch Geheimnisse hat. Tricks oder Strategien, die er dem andern nicht verrät.“

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Dallas Seavey

Mitch nagt das letzte Stück Fleisch von seinem Kotelettknochen: „Ich würde deshalb auch nur die Hälfte von dem glauben, was Dallas über seine Trainingsmethoden und so weiter erzählt. Weil er mich damit bestimmt nur auf eine falsche Fährte locken will.“

„Vielleicht sage ich ja aber auch extra deswegen die Wahrheit – weil du denkst, dass ich lüge, um dich reinzulegen “, antwortet Dallas. Beide starren sich an. Dann müssen sie lachen.

Trucks als Preisgeld

Draußen vor der Tür stehen rund 100 fest im Boden verankerte Plastiktonnen. An jeder Tonne hängt eine Kette, an jeder Kette hängt ein Hund. Der Lärm ist ohrenbetäubend. Der Geruch: intensiv. Im Schatten der Jurte stehen drei Trucks, Marke „Dodge Ram“. Neben 50.000 Dollar ist ein solcher Wagen die Siegprämie beim Iditarod. Zwei gehören Dallas, mit dem dritten ist sein Vater aus dem rund fünf Stunden entfernten Sterling hergefahren. Dort lebt er mit seinen rund 150 Hunde. Dallas hat 110. Bis März müssen sie herausfinden, mit welchen 16 davon sie sich auf die etwa zehntägige Reise machen wollen. Dallas spannt acht Hunde für eine Trainingsausfahrt vor sein Quad-Bike. Noch liegt kein Schnee, aber die Hunde wollen trotzdem ziehen. Ihr Geheul verstummt sofort, als Dallas die Bremse loslässt und sie sich endlich in Bewegung setzen dürfen. Die zurückgelassenen heulen dafür umso lauter. Hechelnd ziehen die Huskies das schwere Allradgefährt im Leerlauf durch den Wald. Mit „Gee“ (rechts) und „Haw“ dirigiert Dallas die beiden „Lead Dogs“ an der Spitze des Gespanns. Sie tragen die Verantwortung und hören am Tonfall jedes Kommandos genau, ob „Gee“ eine sofortige scharfe Rechtskurve bedeutet oder ein sanftes Abzweigen.

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Vater und Sohn

Während der Trainingsrunde erzählt Dallas von seiner Jugend: Mit fünf stand er das erste Mal auf einem Schlitten und fing an, bei der Hundezucht mitzuhelfen. Lesen und schreiben lernte er erst mit 10. Wie viele Kinder in Alaska wurden er und seine drei Brüder zuhause unterrichtet. Ein zerknautschtes Blumenkohlohr ist das einzige, was von einer kurzen, aber erfolgreichen Ringerkarriere blieb. „Mit 19 war ich nationaler Champion in meiner Gewichtsklasse, aber ich hatte drei bis vier Gehirnerschütterungen pro Woche“, sagt er. „Als ich mir die Namen unserer Hunde nicht mehr merken konnte, wusste ich, dass ich aufhören muss. Ich hatte gehofft, mein Körper würde etwas länger durchhalten.“ 1500 Dollar, so hat er einmal ausgerechnet, gibt er im Jahr für die Hörbücher aus, die er während der langen Stunden auf dem Schlitten hört. Tagsüber Sachbücher, nachts Romane. „Bei Musik schlafe ich sofort ein“, sagt er. Da es für die Hunde noch zu warm ist, macht er auf der Trainingstour häufige Pausen und lässt die Tiere im Schatten ein wenig ausruhen. Beim Iditarod-Rennen müssen sie härter ran, dafür geht die Fürsorge da noch weiter: Dann massiert Dallas bei jedem Stop die Muskeln und Gelenke ihrer Beine mit einer Arnikasalbe, stretcht ihre Pfoten und Schultern, bevor er ihnen ihr Futter verabreicht. 14.000 Kalorien frisst ein Schlittenhund pro Tag bei höchster Belastung. Ungefähr 70 Tonnen Futter kauft Dallas pro Jahr für seine Tiere. Neun Angestellte helfen ihm beim Füttern, Versorgen und Trainieren. „Mit Schlittenhunden wird man nicht reich“, sagt Dallas. Er macht Werbung für ein Autohaus in Anchorage, tritt als Motivationstrainer auf und ist ab und zu in einer Sendung des „National Geographic“-Kanals zu sehen. Am lukrativsten aber sind Hundeverkauf und Schlittenfahrten für Touristen. Doch beides funktioniert nur, wenn man sich beim Iditarod – oder dem ähnlich harten Yukon Race, das Dallas ebenfalls gewonnen hat – einen Namen macht.

Früher dauerte das Rennen drei Wochen

Als wir zurück zur Jurte und den 100 Tonnen kommen, wartet Mitch inmitten der Hunde auf uns. „Na, hast du dich ein bisschen umgesehen, wie man ordentliche Schlittenhunde züchtet“, zieht ihn sein Sohn auf. Dann werden die erschöpften aber zufriedenen Tiere abgespannt und Mitch beginnt, von den alten Zeiten zu erzählen. „Dallas gehört zur ersten Generation, die Hundeschlittenrennen wirklich professionell betreiben können“, sagt er. „Als ich 1982 zum ersten Mal am Iditarod teilgenommen habe, waren wir alle Trucker und Hochseefischer, die sich ihren Jahresurlaub genommen haben.“ Mitch Seavey lieh sich damals Hunde von seinem Vater aus und hatte nach eigenen Angaben ausschließlich M&Ms als Nahrung dabei – allerdings keine Zahnbürste. „Manchmal vermisse ich die alten Zeiten, als das Rennen noch drei Wochen statt zehn Tage dauerte“, sagt er. „Es ging nicht um ein paar Stunden und man hatte Zeit, Leute zu besuchen und am Lagerfeuer zu sitzen, Kaffee zu trinken und sich zu unterhalten.“ In den Neunzigern startete Mitch Seavey seine eigene Hundezucht und 2004 konnte er das Iditarod zum ersten Mal gewinnen. Endgültig zur Legende wurde er allerdings durch ein Missgeschick: Als er 2011 während des Rennens mit seinem Klappmesser die Verschnürung eines Heuballen für seine Hunde aufschneiden wollte, trennte er sich den rechten Zeigefinger ab. Als er daraufhin den Messerhersteller verklagte, titelte eine örtliche Zeitung: „Iditarod-Teilnehmer von seinem eigenen Messer angegriffen“, gegen die Mitch ebenfalls gerichtlich vorging. Ein Typ, der wenig Spaß versteht.

Das hat seine Gründe. Das Rennen, das merkt man Vater Seavey an, wenn er davon erzählt, ist für ihn kein Event, kein Abenteuer, sondern ein Kampf auf Leben und Tod. „Ich habe jedes Mal noch monatelang Alpträume“, gibt er zu. Letztes Jahr, war für ihn eines der schlimmsten Rennen seines Lebens: „Ich war so übermüdet, dass ich eingeschlafen und vom Schlitten gefallen bin“, sagt er kopfschüttelnd. „Ich habe mir ein blaues Auge geholt und musste mir die Seele aus dem Leib brüllen, damit meine Hunde nicht ohne mich weiterlaufen.“ Auf dem letzten Streckenabschnitt – also dort, wo Dallas ohne es zu merken zwei Konkurrenten im Schneesturm überholte – krachte sein Vater in einen anderen Schlitten. Als er sechs Wochen nach dem Rennen zum Arzt ging, sagte ihm dieser, seine Hüfte sei gebrochen. „Ich liebe nun mal dieses Leben“, sagt Mitch Seavey auf die Frage, wie lange er sich diese Strapazen noch antun will. „Ich liebe es, draußen zu sein. Ich liebe meine Hunde, ihre verschiedenen Persönlichkeiten – und das Wissen, dass es nichts gibt, das sie nicht für mich tun würden. Um dieses Leben das ganze Jahr lang zu haben, muss ich eben zehn Tage im Jahr ohne Schlaf auskommen und diese 1000 Meilen bezwingen.“

Auch 2015 werden Vater und Sohn Seavey sich wieder auf den Weg machen und wieder am „letzten großen Rennen“ teilnehmen. Wieder Seite an Seite – und dennoch als entschiedene Rivalen. „Wir würden einander in einer Notlage immer helfen“, sagt Dallas und sieht zu seinem Vater hinüber. „Aber wenn ich zum Beispiel bei einem Checkpoint merke, dass Mitch verschläft, bin ich nicht sicher, ob ich ihn wecken würde.“ Zum ersten Mal sieht man so etwas wie Stolz in den Augen des Vaters: „Das hat er von mir gelernt.“

Text: Christoph Koch
Gekürzte Version erschienen in: GQ
Fotos: Christoph Koch (4), Mike Kenney (1)

Infos zum Iditarod-Rennen: iditarod.com
Webseite von Dallas Seavey: dallasseavey.comWebseite von Mitch Yeavey: ididaride.com

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About the Author

About the Author: Christoph Koch ist Journalist (brand eins, GEO, NEON, Wired, GQ, SZ- und ZEIT-Magazin, Süddeutsche, etc.), Autor ("Ich bin dann mal offline" & "Digitale Balance" & "Was, wäre wenn ...?") sowie Moderator und Vortragsredner. Auf Twitter als @christophkoch unterwegs, bei Mastodon @christophkoch@masto.ai .

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