Kinderdok: Mein Medien-Menü (Folge 59)

Written by on 23/09/2013 in Was ich lese with 0 Comments

In der Reihe “Mein Medien-Menü” stellen interessante Menschen ihre Lese-, Seh- und Hörgewohnheiten vor. Ihre Lieblingsautoren, die wichtigsten Webseiten, tollsten Magazine, Zeitungen und Radiosendungen – aber auch nützliche Apps und Werkzeuge, um in der immer größeren Menge von Informationen, den Überblick zu behalten und Wichtiges von Unwichtigem zu trennen. Jeden Montag also ein neues Medien-Menü. Diese Woche: Der anonyme Kinderarzt hinter dem sehr erfolgreichen Blog „kids and me„.

kinderdok

Beim Nachdenken über Medien komme ich nicht an dem Gedanken vorbei, wie sehr die Medien meinen  Alltag bestimmen und strukturieren. Haben sie das früher auch schon getan? Ich kann mich erinnern, als Kind und Jugendlicher vor allem Radio gehört zu haben, der angesagteste Sender damals SWF3 mit und von Peter Stockinger, dem PopShop, dem Ölkännchen und Herrn Schniepelpuhl. Irgendwann noch viel früher RadioLuxemburg, Sonntagsmorgens mit der damals noch jungen und unbekannten Anke Engelke, die später dann das Ferienprogramm im Fernsehen moderierte. Die Familie hat noch geschlafen, und ich habe mit meinem aktuellsten Buch auf der Couch gesessen, die Chipsreste des Samstagabends mit den Fingern aufgeklaubt und Luxemburg gehört.

Die Studentenzeit war medial interessanterweise eher mau, das Zeitungslesen habe ich entdeckt, o.k., zuerst die Frankfurter Rundschau, weil man da politisch stand, später dann den Spiegel, weil es auch irgendwie chic war, wenn der auf dem Tisch im Studentenwohnheim rumlag. Zum Ende des Studiums kam „Die ZEIT“, vielleicht weil ich dann schon zu den Älteren gehörte.

 

Letztere ist geblieben, dazu später mehr.

Wie ist das heute?

 

Morgens läuft das Radio, der Nachfolgesender von SWF3, SWR3, etwas weniger programmatisch als sein Vorgänger, aber immer noch lustig und ausreichend informativ. Wenn die Kinder mitfrühstücken, gibt es keine Zeitung, ansonsten lese ich morgens das Lokalblatt hier, das per Abo im Briefkasten steckt. Auf dem Weg zur Arbeit wieder SWR3. Die weiteren Medien des Tagesablaufs? Mein Email-Account, sobald ich in der Praxis angekommen bin und die Mailbox des Pädinform – ein Intranet aller Kinder- und Jugendärzte in Deutschland, ein fantastisches Austauschforum zur Berufspolitik und medizinischen Fragen. Zur Mittagszeit ziehe ich erstmals das iPhone und browse kurz durch Twitter und die Kommentare in meinem Blog Kids and me.

Wenn ich nach der Arbeit im Auto sitze, um Heimzufahren, läuft bei mir meist ein Audiobook, das entspannt sehr, ich mache das auch gerne auf längeren Autofahrten, zumindest, wenn ich alleine bin. Und es hilft, manche Bücher „zu lesen“, zu denen ich sonst nicht komme. Aktuell läuft hier die „Audible“-Version von Haruki Murakamis 1Q84, wobei ich geschockt bin von der schlechten Audioqualität der mp3, da sind CDs doch besser.

Am Abend nach dem Nachhausekommen und dem Abendbrot sehen die Kinder meist LOGO, die Nachrichtensendung des KIKA, direkt im Anschluss die Tagesschau. Sie ist, seitdem ich denken kann, der Übertritt vom Tag zur Nacht und bedeutet eine Zäsur des Tagesablaufs. Mir war sie schon immer lieber als die heute-Sendung des ZDF. Wenn ich im Ausland wäre und ordentlich Stream auf dem iPad hätte, würde ich sicher täglich um 20 Uhr einschalten.

 

Zeitungen und Zeitschriften

Neben dem Lokalblatt-Abo lese ich bisher unregelmäßig, seit diesem Sommer im Abonnement wieder stetig meine geliebte ZEIT – wobei ich zu meiner Schande gestehen muss, dass ich die Politikseiten eher überfliege, den Wirtschaftsteil komplett auslasse und mich sicherlich 80% des Lesevergnügens im Feuilleton auslasse. Und im Zeitmagazin. Meine Lieblingsseite der ZEIT ist allerdings die „Seite der Leser“ und hier die Rubrik „Was mein Leben reicher macht“ – ich bekomme jede Woche eine Gänsehaut, wenn nicht gar Tränen in die Augen. Das macht das Leben reicher.

Ab und an kommt mir der SPIEGEL noch in die Hände, insbesondere, um mich politisch mal wieder zu informieren oder Hintergründe zu erfahren. Andere Zeitungen und Zeitschriften in Print lese ich eher selten, vielleicht einmal den Rolling Stone, ich stehe irgendwie auf Plattenkritiken, und leider die Fachblätter, an denen man alleine aus Fortbildungsgründen in meinem Job nicht vorbeikommt: Die „Monatsschrift Kinderheilkunde“ und der „Kinder- und Jugendarzt“ (die offizielle Zeitung unseres Berufsverbandes). Das „Deutsche Ärzteblatt“ nervt eher wegen der üppigen Werbebeilagen und der Selbstbeweihräucherung der „meistgelesenen Ärztezeitung in Deutschland“ – keine Wunder, wird es doch als Zwangs-Abo an alle Ärzte verschickt. Es ist das offizielle Mitteilungsblatt der Bundesärztekammer, und deshalb oft auch zu lesen, aber sicher nicht mit Vergnügen.

Wenn ich im englischsprachigen Ausland bin, kaufe ich mir gerne hie und da eine Zeitung, auch wenn mich die überwiegend lokale Berichterstattung annervt, da sind deutsche Zeitungen doch weltoffener. Am liebsten lese ich daher die Sonntagszeitungen in England, allen voran „The Observer“ oder den „Guardian“ in der Samstagsausgabe. 

 

Bücher, Bücher, Bücher

Im Urlaub lese ich Bücher. Gedruckte und elektronische, seit diesem Sommer vermehrt ebooks, ich finde, man konzentriert sich mehr auf den Text, wenn alle Bücher mit einem Mal gleich aussehen, und der Horror vor allzu dicken Wälzern nimmt ab. Ich besitze einen Kindle Touch und einen Tolino, ersteren hat inzwischen meine große Tochter in Beschlag genommen, sie liest sich durch die Eragon-Tetralogie,  letzterer ist wegen seiner Beleuchtung schlichtweg genial für nächtliche Lese-Sessions. Ich kann an keiner Buchhandlung im Ausland vorbei, also wird dort auch viel gekauft, stets nur in englisch, einer anderen Fremdsprache bin ich leider nicht mächtig, also gehören auch immer zwei oder drei englische Bücher zur Urlaubslektüre.

 

Ich habe keinen speziellen Buchgeschmack. Sachbücher versuche ich zu vermeiden, für den Beruf muss ich genug in Fachzeitschriften lesen. Daher ist Freizeitlesen für mich Unterhaltung. In den letzten Wochen habe ich sowohl Stephen King, als auch Kehlmann, genauso wie ein paar Kurzgeschichten von Raymond Carver, wie auch das Buch von der Pharmama gelesen. Ich lese Krimis, auch Science Fiction, dann wieder neue deutsche Literatur (Stephan ThomeMichael Köhlmeier oder Judith Zander). Ich möchte gut und spannend unterhalten werden, am liebsten sind mir daher Thriller, die einen moralischen oder auch informativen Background haben, und die vor allem gut recherchiert sind. Entgegen aller Unkenrufe kann das Stephen King wie kaum ein zweiter.

Was ich auch nicht verpasse, ist jedes neue Buch von John Irving, zuerst im Original, um auch die englischen Witze zu verstehen, dann in der deutschen Übersetzung, um sie vollends nachvollziehen zu können. Er ist neben Haruki Murakami mein Romanautor schlechthin, ich lieber beider Imagination verrückter Welten und Begegnungen, die in schlichter aber sehr poetischer Sprache abgefasst sind.

Die fünf Bücher meiner einsamen Insel? „Otherland“ von Tad Williams, Owen Meany von John Irving, Es von Stephen King, Früchte des Zorns von John Steinbeck und irgendeine Kolumnensammlung von Max Goldt. Ok, vielleicht noch den Herrn der Ringe, aus Nostalgie.

 

Fernsehen

Am Abend hänge ich leider viel zu sehr vor dem Fernseher herum, es trübt meine eigenen Gedankenflüsse, ich weiß das, aber leider bin ich TV-süchtig. Der wöchentliche Tatort oder Polizeiruf 110 (am liebsten mit Matthias Brandt), gezielt auf ARTE oder planlos durch diverse Game-Shows. Ich habe immer zwei oder drei Serien „am Laufen“, früher waren es „Emergency Room“ und „House“, auch „Grey´s Anatomy“ – ja, auch Ärzte sehen Ärzteserien – aktuell sind es „How I met your mother“ und „Homeland“. Die Musst-Du-gesehen-haben-Serien wie „Breaking Bad“ oder „The Wire“ habe ich alle verpasst, ich schwöre, sie mir auf DVD nachzureichen, wenn ich einmal die Zeit dazu habe – aber eigentlich soll man Serien häppchenweise sehen und sich wöchentlich auf die nächste Folge freuen, oder? Ich verpasse keine „Schlag den Raab“-Show, den Rest seiner Eskapaden spare ich mir allerdings, TV-total war einmal gut, jetzt ist es nur noch blass. Ich vermisse Harald Schmidt im öffentlichen Fernsehen, er fehlt. „Schmidteinander“ war das Beste, an was ich mich in den letzten zwanzig Jahren erinnern kann. Ansonsten suche ich nach TitelThesenTemperamente, verpasse keine Folge von Druckfrisch mit Denis Scheck und kein Spiel der Nationalmannschaft (Fussball).

 

Das Digitale

Gibt das Fernsehen nichts her, hänge ich oft am iPad. Beim Durchsurfen des Netzes orientiere ich mich in der Regel an Tipps aus Twitter oder meinem „Flipboard“-Account, hier habe ich die offen zugängigen Homepages der obigen Printzeitungen abonniert, dazu die TAZ, n-tv und 11 Freunde.

Und dann gibt es noch die Blogs. Wer ein Blog schreibt, schaut gerne in die Tagebücher der anderen hinein, ich also auch. „Die liebe Nessy“ ist eines meiner Favoritenblogs, dazu den „Spreeblick“ und die „Pharmama“, achja, und „Herzdamengeschichten“ von Herrn Buddenbohm. Wichtig ist mir, dass es in den Blogs und der anderen Seiten auch etwas zum anschauen gibt, nicht nur zu lesen, daher schaue ich auch immer im „Skizzenblog“ von Claus Ast rein, der übrigens auch den schönen Cartoon vom Kinderdok gemacht hat, bei „XKCD“ und den „Incidental comics“. Für einen schnellen Überblick der Kultur? Perlentaucher.

 

Die Entscheidung, ob ich lieber digital lese oder ein Printmedien, konnte ich für mich noch nicht abschließend beantworten – es ergibt stets die Situation. Die Haptik eines Buches ist für mich immer noch so wichtig wie die einer gescheiten Zeitung, vor allem im Urlaub bin ich da recht nostalgisch. Im Alltag greife ich aber immer schneller zum iPhone oder dem iPad bzw. auch mal zum ebook. Trotzdem sehe ich, dass sich meine Lesegewohnheiten eher zum Digitalen wandeln. Es ist einfach angenehm, alles in einem Device mit sich zu führen und zwischen den Medien zu wechseln. Das hat sicher auch die Blogschreiberei bei mir ausgelöst, ich bewege mich mehr im Internet, und wer das tut, tendiert auch mehr zum digitalen Lesen. Daher hole ich mir inzwischen auch die meisten Buchempfehlungen aus dem Netz, aus Blogs, Twitter oder dem Perlentaucher.

 

Habe ich was vergessen?

Na klar: Das Kino. Aber darüber könnte man nochmal einige Seiten füllen, lassen wir das.

 

 

kinderdok ist das Pseudonym eines Kinder- und Jugendarztes aus Süddeutschland, er arbeitet seit knapp fünfzehn Jahren in seiner eigenen Praxis und schreibt seit 2006 regelmäßig in seinem Blog „kids and me“ aus seinem ärztlichen Alltag. In diesem Sommer erschien bei Eichborn das Buch „Babyrotz und Elternschiss – aus der Sprechstunde eines Kinderarztes„, in der er seine Stories aus dem Blog vertieft und medizinische Hintergründe liefert.

Text: kinderdok
Bild: claus ast 

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Vielen Dank an “The Atlantic Wire” für das wundervolle Format (dort heißt es “What I Read”). Wer Vorschläge hat, wer in dieser wöchentlichen Rubrik auch einmal zu Wort kommen und seine Lieblingsmedien vorstellen und empfehlen sollte, kann mir gerneschreiben.

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About the Author

About the Author: Christoph Koch ist Journalist (brand eins, GEO, NEON, Wired, GQ, SZ- und ZEIT-Magazin, Süddeutsche, etc.), Autor ("Ich bin dann mal offline" & "Digitale Balance" & "Was, wäre wenn ...?") sowie Moderator und Vortragsredner. Auf Twitter als @christophkoch unterwegs, bei Mastodon @christophkoch@masto.ai .

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