Prima Klima: Warum die Stimmung am Arbeitsplatz so wichtig ist.

Written by on 12/07/2011 in Neon with 0 Comments

Geld und Erfüllung? Für den Spaß an der Arbeit ist das Betriebsklima mindestens genauso entscheidend.

Wie für viele Männer war auch für mich der erste Vollzeitjob meine Zivildienststelle. Ich wurde auf einer Station angelernt, wo ich genau das bekam, was die Mitabiturienten, die zum Bund gingen, mir höhnisch prophezeit hatten: alte Frauen in vollen Windeln und verwirrte Opas, die in den Kleiderschrank pinkeln, weil sie das Klo nicht mehr finden. Und das war halb so wild, verglichen mit allem anderen, mit der ständigen Gegenwart von Verfall, Krankheit, Tod. Ein anstrengender Job, aber die Schwestern und Pfleger waren großartige Kollegen. Nach zwei Monaten kam ich auf eine andere Station, wo jüngere Menschen lagen, die sich von Operationen erholten. Die Arbeit dort war ein Spaziergang: Essen austeilen, Kurven abheften – ruhige Nachmittagsdienste mit viel Zeitungslektüre statt Intimwäsche im Morgengrauen.

Ich habe es trotzdem gehasst. Der Stationsleiter war ein schlecht gelaunter Patriarch, das Team missgünstig und zerstritten, jede Kaffeepause so aufbauend und herzlich wie ein Freestylebattle unter Ghettorappern. Jeder hasste jeden, der Chef hatte Lieblinge und Lastesel; obwohl die Arbeit wirklich nicht anstrengend war, feierte ständig jemand krank. Nach nur einem Monat dort bettelte ich, wieder zu meinen inkontinenten Alten zurückkehren zu dürfen. Ich hatte kapiert, was sich hinter dem kryptischen Begriff Betriebsklima verbarg – und wie wichtig es ist, wenn man nicht den Verstand verlieren will.

Nun dauerte der Zivildienst damals nur ein gutes Jahr  – in seinem »richtigen« Job aber steckt man ein Leben lang. Und dort soll es, bitte schön, immer aufwärtsgehen: mehr Geld, mehr Verantwortung, mehr Erfüllung! Stattdessen geht es oft abwärts – mit der Laune. Denn auch der gut bezahlte Job in der Firma der Träume macht jeden Tag weniger Spaß, wenn der Chef brüllt, die Kollegen stänkern und jeder heimlich jeden hasst.

Ohne es anfangs recht zu merken, stolpert man in fünf Stufen zur inneren Kündigung. Die erste Stufe ist harmlos, wenn etwa ständig die Lieblingskaffeetasse fehlt. Aber hat man sich lange genug über die Tasse geärgert, fällt schnell auf, dass der Umgangston mies ist (Stufe zwei). Bald hat man das Gefühl, im selben Ton zurückschlagen zu müssen (Stufe drei), fühlt sich ständig übergangen (Stufe vier), und unweigerlich folgt die große Stufe-fünf-Angstfrage: Bin ich hier überhaupt richtig?

Das Problem dabei ist aber, dass die Unzufriedenheit ziemlich ansteckend ist: In dicker Luft kann man den Frust von anderen leicht für seinen eigenen halten. »Ja stimmt genau, das kenn ich auch!« – »Echt immer das Gleiche!« – »Total zum Kotzen!« Und zackbumm: Plötzlich ist da kein Ausweg mehr. Betriebsklima vergiftet. Alle blöd. Das ist das Berufsleben. Au Backe. Laut einer Studie der Universität Frankfurt aus dem vergangenen Jahr leidet das Betriebsklima nicht ausschließlich – aber auch – unter zunehmender Belastung, ökonomischem Druck und Arbeitsintensität. Kollegialität und Solidarität schwinden, Angestellte identifizieren sich nicht mehr mit ihrer Arbeit, Führungskräfte werden nicht mehr als Wächter guter Arbeit und Qualitätsstandards gesehen, sondern als rein profitorientierte Manager. Kurz: Der Frust geht um.

Was das bedeutet, wird klar, wenn man noch zwei weitere Studien danebenlegt: Das Meinungsforschungsinstitut Forsa hat herausgefunden, dass für 67 Prozent aller Befragten das Arbeitsklima ebenso wichtig ist wie das Gehalt. Und die AOK stellt fest, dass Menschen, die ihre Tage in einem schlechten Arbeitsklima verbringen, häufiger unter Rückenschmerzen leiden.

Was daraus folgt? Wir müssen mehr in die Atmosphäre investieren! Der wohl wichtigste Arbeitsauftrag des ganzen Berufslebens klingt, als käme er von Al Gore: Das Klima, mein Freund, ist auch dein Problem. Schütze es! Nur wie? Wie, wenn Menschen immer auch um Anerkennung rangeln, egal, wo sie arbeiten? Wie, wenn immer irgendwo E-Mails wie diese verkehren: »Brauche das Handout in zwei Stunden« – ohne Anrede, ohne Grußwort, ohne »bitte«; ohne die ganze »Sozialscheiße« eben? Wie, wenn Zettel am Kopiergerät hängen, auf denen steht: »Papier auffüllen! Herrgott noch mal!«? Wie schützt man ein Klima, das sich so leicht vergiften lässt?

Der Unternehmensberater Stephan Schütze hat zum Gespräch ein Werbegeschenk mitgebracht. Einen Kugelschreiber, auf dem steht: »www.betriebsklima.de«. Das Klima ist sein Job, er ist einer der Köpfe der »Deutschen Arbeitsklima-Initiative «, und Unternehmen, in denen die Stimmung beispielhaft schlecht ist, die nennt er »Vorhölle«. Die Vorhölle kann mit einem Fitnessstudio ausgestattet sein, mit ergonomischen Lederstühlen, Grünpflanzen, einer stattlichen Milchaufschäummaschine sowie glänzenden Schalen voller Schokoriegel und polierter roter Äpfel. Man sieht der Vorhölle oft nicht an, dass sie eine ist. Sie liegt nicht etwa zwangsläufig dort, wo es laut und schmutzig sei, sagt Schütze. »In Fabrikhallen kann es sehr zufriedene Arbeiter geben.« Die Vorhölle beginne vielmehr dort, wo die Kommunikation nicht funktioniere, wo sich Kollegen nicht in die Augen schauten und wo Konflikte nicht nur ungelöst, sondern unangesprochen blieben. Und Konflikte gibt es immer. »Es ist ein Irrtum, dass man Konflikte verbergen oder gar vermeiden müsste«, sagt er. »Das geht eh nicht.« Konflikte sind der Preis dafür, unbedingt mit Menschen arbeiten zu wollen:

Menschen gehen einander auf den Keks. Ralf Husmann glaubt: »Siebzig Prozent des Tages gehen dafür drauf, den konzerninternen Intrigen zu entkommen oder sie selbst zu spinnen. « Und Husmann könnte es wissen: Er hat die britische Fernsehserie »The Office« unter dem Titel »Stromberg« für Deutschland adaptiert, eine Serie über den ganz normalen Bürowahnsinn. Über das Buckeln nach oben und das Treten nach unten. Über Kollegenflirts und -beleidigungen. Über Ideenklau, Mobbing und den derben Sound der Kollegenkommunikation. Die Serie war auch deshalb so lustig, weil sie zielstrebig aufspießte, was tatsächlich jeden Tag passiert, überall: Irgendeine Abteilung Schadensregulierung AL liegt tatsächlich immer im Clinch mit einer Abteilung Schadensregulierung M-Z; irgendein Ernie liegt tatsächlich immer im Clinch mit irgendeinem Ulf. »Büroalltag ist wie Weihnachten am dritten Tag«, sagt Husmann. »Egal, wie geschickt man es anstellt, nach einer Weile knallt es einfach. Der hat meinen Kaffeebecher, der hat das Papier wieder nicht nachgefüllt. Und das«, glaubt er, »ist im Bundeskanzleramt sicher auch nicht anders. Da lautet die Frage: Wieso gehen die Durchschläge an den und nicht an mich?« Um dem zu entkommen, sagt Husmann, halte er häufigere Jobwechsel, so wie in den USA durchaus üblich, nicht für die schlechteste Lösung.

Das sieht auch Karrierecoach Svenja Hofert so: »Ich finde es gut, wenn häufiger mal gewechselt wird, weil sich sonst zu viel Routine einschleicht«, sagt die Autorin, die gemeinsam mit dem Unternehmensberater Thorsten Visbal das Buch »Ich hasse Teams – wie Sie die Woche mit Kollegen überleben« geschrieben hat. »Aber es gilt auch: Jeder neue Mitarbeiter würfelt das Team durcheinander, es muss sich dann erst wieder neu definieren und jeder seine Rolle finden.« Ständiges Wechseln erzeugt auch Frust.

Dabei hat das Durcheinanderwürfeln durchaus Vorteile – zumindest für die Unternehmen: »Normalerweise mag man Leute, die einem ähnlich sind«, erklärt Hofert, »Machtmenschen akzeptieren andere Machtmenschen, sehen aber auf Entscheidungsschwache herab. Wenn ich flexibel bis chaotisch bin, komme ich mit jemandem, der penibel ist, nicht gut klar. Und so weiter. So entstehen oft automatisch homogene Teams, die im Sinne von Leistung besser heterogen wären.« Ein bisschen Reibung schadet nicht. Zumindest, wenn man von oben auf das Betriebsklima schaut, aus dem Hochsitz der Chefetage. Auch Stephan Schütze kennt diese Perspektive gut, seine Auftraggeber sind eher die Geschäftsführer und Personalchefs eines Unternehmens – nicht die Angestellten. »Es geht uns nicht darum, dass sich alle wohlfühlen«, sagt er. »Ein gutes Arbeitsklima ist eines, das eine hohe Produktivität bewirkt.« Hohe Produktivität, schön für die Firma. Aber was ist mit den Angestellten? Wie können sich all die optimal gemischten Teams mit den guten Arbeitsergebnissen so zusammenraufen, dass auf dem Betriebsausflug keiner dem anderen den Schädel einschlägt? Nach Forschungen zum Arbeitsklima zeige sich, sagt Schütze, dass ein Verhaltensmuster immer wieder auf tauche: »Menschen brauchen das Gefühl, die eigene Arbeitssituation beeinflussen zu können.« Denn das macht zufrieden. Und nebenbei auch produktiv.

Oft beginnt es mit Kleinigkeiten. In einer Autowerkstatt zum Beispiel gab es immer wieder Streit, weil der Werkzeugkasten nicht die Ordnung hatte, die er haben sollte. Das Betriebsklima sei erheblich besser, seit jeder Mechaniker sein eigenes Werkzeug habe. »Ähnliches«, sagt Schütze, »hat man festgestellt, als man in einer Firma in Japan allen Küchenangestellten eigene Lachsmesser gab.« Auch eine Lösung.

Allerdings eine, bei der man dem Chef das Handeln überlässt. Das Gute daran ist: Man kann die Füße hochlegen. Das Schlechte ist: Man kann dann immer weitermeckern. Und das ist ja das Problem. Denn wie sehr man auch versucht, die Perspektive des über den Gegebenheiten schwebenden Stimmungsanalytikers einzunehmen, man bleibt doch immer Teil des Betriebs. Und mit jedem missmutigen Wort über das Betriebsklima vergiftet man es selbst ein bisschen mehr.

Deswegen bleibt das Wichtigste: miteinander reden. Und: miteinander reden. Sowie auch: miteinander reden. »Das hat mit Wertschätzung zu tun«, sagt Hofert – und erinnert daran, dass Kollegen nicht automatisch Familienersatz sein müssen: »Ich muss den anderen wertschätzen, aber nicht lieben. Und wenn mich etwas stört, meine Meinung sagen – aber immer persönlich und fair. Außerdem ehrlich sein: zum Beispiel offen aussprechen, dass ich mittags lieber allein spazieren gehe, als mit der ganzen Mannschaft zu essen.« Nur mal angenommen, man würde die Zeit, die man an normalen Arbeitstagen verbraucht, um seine Unzufriedenheit zu kultivieren, nutzen, um an der Verbesserung des Betriebsklimas zu arbeiten. Das wäre natürlich anstrengend.

Es bräuchte viel guten Willen. Es bedürfte eines Umdenkens: weg von der Idee, dass das soziale Klima einfach da ist. Hin zu der Erkenntnis, dass es von Menschen gemacht wird. Das hätte große Vorteile: Man könnte den halben Arbeitstag lang nur für gute Stimmung unter den Kollegen sorgen. Voll bezahlt. Sozial erwünscht. Und selbst die größten Egoisten müssten ein Interesse daran haben: Gute Stimmung macht Spaß. Ein Traum.

Der Weg dahin kann zum Beispiel mit einer Massenmail an alle Kollegen beginnen. Darin muss stehen: »Liebe Kolleginnen und Kollegen! Weil wir uns alle so gut verstehen, lade ich euch ein, mit mir in der Mittagspause anderthalb Runden Spaß zu machen. Kommt doch einfach alle unter meinen Schreibtisch – es gibt saure Drops!« All die Mitmenschen, die sich daraufhin im Flur an die Stirn tippen, darf man dann ruhigen Gewissens übersehen. Die Miesmacher haben lange genug regiert. Von nun an regiert der Gute-Laune-Bär.

Text: Christoph Koch & Klaus Raab
Foto: Christoph Koch
Erschienen in: NEON 

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About the Author

About the Author: Christoph Koch ist Journalist (brand eins, GEO, NEON, Wired, GQ, SZ- und ZEIT-Magazin, Süddeutsche, etc.), Autor ("Ich bin dann mal offline" & "Digitale Balance" & "Was, wäre wenn ...?") sowie Moderator und Vortragsredner. Auf Twitter als @christophkoch unterwegs, bei Mastodon @christophkoch@masto.ai .

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