„Ich habe schon viele Leichen gesehen“ – Interview mit CNN-Moderator Anderson Cooper

Written by on 19/08/2008 in Tagesspiegel with 0 Comments

Anderson Cooper, 41, ist einer der bekanntesten Journalisten der USA und moderiert bei CNN „Anderson Cooper 360 °“. Er wurde bereits als Baby für „Harper’s Bazaar“ fotografiert. Nach seiner Karriere als Model studierte der Sohn von Gloria Vanderbilt in Yale und machte sich mit Berichten aus Krisengebieten einen Namen.

Mr. Cooper, im aktuellen US-Wahlkampf haben Sie die sogenannten „YouTube-Debatten“ für CNN moderiert. Dort konnten die Wähler Fragen an die Kandidaten stellen, indem sie kleine Filme bei der Internetplattform YouTube hochladen.

Es ist ein wahnsinnig interessantes Format. Es ändert die Art der Debatte komplett und bringt neue Energie in den althergebrachten Schlagabtausch der Argumente. Es erzeugt außerdem ein Maß an Intimität und Direktheit, das vorher nicht möglich war. Das halte ich für sehr gut. Man braucht allerdings jemanden vor Ort, der nachhakt. Denn die Kandidaten sind bekanntlich sehr gut darin, die Fragen so zu beantworten, wie sie sie beantworten wollen – und nicht so, wie sie gestellt waren.

Da kamen Sie ins Spiel?

Ja, meine Aufgabe ist, aus den Fragen eine angeregte Diskussion entstehen zu lassen. Ideal wäre es, wenn die Leute die Nachfragen ebenfalls von zu Hause über das Internet stellen könnten. Eines Tages wird das auch passieren.

Wie unterscheiden sich die YouTube-Fragen von dem, was ein Journalist fragen würde?

Wenn wir Journalisten Fragen stellen, werden sie oft sehr lang. Wir wollen klug wirken. Die Fragen, die die Leute über YouTube einsenden, sind viel persönlicher. Die Menschen sind meist unmittelbar von dem betroffen, wonach sie fragen. Die persönliche Dringlichkeit einer Frage, die eine Familie vor ihrer Webcam aufgenommen hat, oder eine Mutter, deren Sohn im Irak stationiert ist – sowas bekommt ein Moderator nur sehr schwer hin.

Moderierte die YouTube-Debates mit Zuschauerfragen auf CNN: Anderson Cooper.

Kommt das amerikanische Wahlsystem mit den endlosen Vorwahlen und dem langen Wahlkampf der beiden Hauptkandidaten einem Nachrichtensender wie CNN nicht generell sehr gelegen? Sie müssen ja jeden Tag 24 Stunden Programm füllen …

Das ist sicherlich richtig. Man verbringt als Journalist oft viel Zeit damit, über die Rivalitäten zu schreiben. Man ist oft mehr in die tagtäglichen Streitereien verwickelt als in die wirklich wichtigen Kernthemen. Aber ich denke, dieser Wahlkampf ist lang genug und es gibt genügend Debatten, so dass niemand sagen kann, er wisse nicht, wofür die Kandidaten wirklich stünden. Eine andere Gefahr ist natürlich, dass manche Menschen das Thema leid sein könnten, wenn Ende des Jahres die Wahl tatsächlich ansteht. Auch deshalb versuchen wir uns, so gut es geht, auf die inhaltlichen Fragen zu konzentrieren und uns nicht in den Kleinigkeiten des Wahlkampfalltags zu verlieren. Der CNN-Chef Jonathan Klein hat als Devise für unsere Wahlkampfberichterstattung ausgegeben: „Lasst die Kandidaten reden, nicht die Experten und Analysten.“

Sehen Sie sich selbst als „Präsidentenmacher“?

Nein, das wäre albern. Ich habe schließlich nur eine kleine Sendung auf CNN.

Eine „kleine Sendung“ ist bescheiden formuliert. Im Internet kursiert ein Clip, auf dem CNN-Veteran Larry King sich hinter den Kulissen beschwert, dass Sie mehr Sendezeit bekommen als er. Haben Sie den Clip gesehen?

Ja, ich kenne den Film und habe sehr gelacht. Ich habe ihn sogar zusammen mit Larry gesehen. Wir verstehen uns sehr gut. Ich sehe in ihm eine Art Mentor. Es gibt immer solche Momente, in denen man etwas bei ausgeschalteter Kamera sagt und in genau diesem Augenblick merkt: Wenn das jetzt jemand sehen könnte, wäre ich echt in Schwierigkeiten.

Was war das Wichtigste, was Sie bisher während Ihrer Berichterstattung vom Kampf um das Weiße Haus gelernt haben?

Wir waren alle überrascht, wie lange der Vorwahlkampf der Demokraten zwischen Hillary Clinton und Barack Obama gedauert hat. Es ist gut, dass wir Journalisten noch einmal daran erinnert werden, dass niemand von uns weiß, wie die Menschen entscheiden werden. Und dass niemand vorhersehen kann, was in der Politik alles möglich ist.

Nach dem Tod seines Bruders schnappte sich Cooper Kamera und gefälschten Presseausweis und zog als Reporter um die Welt.

Ihre Mutter ist die Schauspielerin und Designerin Gloria Vanderbilt …

Mit ihr bin ich schneller erwachsen geworden: Mit zehn kümmerte ich mich darum, mein eigenes Geld zu verdienen. Da es nicht viele Jobs für einen Jungen in diesem Alter gibt, begann ich zu modeln …

… unter anderem für Ralph Lauren und Calvin Klein, aber als ein Fotograf sie anmachte, hörten Sie mit 13 Jahren damit auf …

… ja, aber ich finde es insgesamt erstaunlich, dass sich die Menschen immer so auf meine Mutter und das riesige Vanderbilt-Erbe konzentrieren. Mein Vater kommt aus einer sehr armen Familie, die auf dem Land lebte, warum sollte diese Hälfte meiner Abstammung weniger wichtig sein?

Sie haben nicht nur Ihren Vater in jungen Jahren verloren, sondern auch Ihren großen Bruder. Wie haben Sie diese Erlebnisse geprägt?

Meinen Vater im Alter von zehn Jahren zu verlieren und mit 21 zu erleben, wie mein Bruder sich umbringt, hat mein Leben sicherlich komplett auf den Kopf gestellt. Es hat mich aber auch unabhängiger gemacht. Ich habe mich stärker dafür interessiert, was das Leben ausmacht. Genauer gesagt: das Überleben. Warum überleben manche Menschen und andere nicht? Ich habe Survivalkurse in der Wildnis gemacht. Ich habe die Highschool abgebrochen, um sechs Monate durch Afrika zu reisen, und lag mit Malaria in Kenia im Krankenhaus.

Trotzdem schnappten Sie sich nach dem Tod Ihres Bruders eine Videokamera und einen gefälschten Presseausweis und reisten erneut nach Afrika, diesmal nach Somalia.

Nach dem Selbstmord meines Bruders wollte ich an Orten sein, wo die Frage nach Leben oder Tod stärker im Vordergrund steht als in der zivilisierten Welt von Manhattan. Ich fühlte mich wohler, wenn die Leute ganz normal über den täglichen Überlebenskampf redeten, der ihr Alltag war. In den USA spricht niemand über den Tod. Deshalb fiel es mir schwer, dort zu leben, zu funktionieren, mich mit Menschen zu unterhalten. Mich zog es stattdessen hin zu Konfliktherden, ob es Somalia war oder später Ruanda, Bosnien oder das vom Tsunami verwüstete Sri Lanka.

Konnte Ihnen der Schmerz der Menschen, die Sie in den Krisenregionen porträtierten, dabei helfen, mit dem eigenen Schmerz fertig zu werden?

Es half auf alle Fälle dabei, die Dinge ins richtige Licht zu rücken. Ich traf Menschen, die weitaus schlimmere Dinge durchlitten hatten als ich sie erlebt hatte, und konnte von ihnen lernen. Konnte sehen, wie sie weitermachten auch im Angesicht von Schrecken, vor denen sie jedes Recht gehabt hätten, in die Knie zu gehen. Das fand ich äußerst lehrreich und inspirierend. Es war damals eine Phase, in der ich nur sehr schlecht über meine Gefühle sprechen konnte. Ich fand es angenehm, unter Menschen zu sein, die eine andere Sprache sprachen, aber ebenfalls echte Trauer erlebten und mich verstehen konnten. Denn dadurch verstanden wir doch wieder die Sprache des anderen.

Sie sind zusammen mit Larry King das bekannteste Gesicht von CNN, dabei haben Sie nie eine journalistische Ausbildung gemacht. Sind Journalistenschulen überbewertet?

Nein, für manche Menschen sind sie sicherlich ein großartiger Weg in den Journalismus. Journalistenschulen können einem viele Türen öffnen. Der Weg, den ich gewählt habe, ist wirklich sehr ungewöhnlich. Und anfangs war es ja nicht mal ein Weg. Da stand nicht ABC oder CNN auf einem Wegweiser, es war einfach nur spannend. Es schien mir unmöglich, nicht nach Bosnien zu reisen, als dort Krieg herrschte. Ich wollte alles mit eigenen Augen sehen. Das war der Antrieb, nicht ein aufregender Lebenslauf. Die echten Journalisten lebten auch in einer anderen Welt. Ich schlief unter Brücken und fuhr per Anhalter, während alteingesessene Reporter wie Peter Jennings und Christiane Amanpour in ihren Jeeps an mir vorbeirauschten. Ich hätte damals nie gedacht, dass das mein Beruf werden könnte.

Ebenfalls in Coopers Portfolio: Naturdokumentationen wie "Planet in Peril"

Einer der wichtigsten Momente Ihrer Laufbahn war der Hurrikan Katrina. Wie erinnern Sie sich an diese Zeit in und um New Orleans?

Es war eine unglaubliche und außergewöhnliche Geschichte, und ich empfinde es als Privileg, vor Ort gewesen zu sein – so schrecklich es dort auch war. Ich habe in meinem Leben schon viele Leichen gesehen, aber meine Landsleute, meine Nachbarn in dieser Situation zu erleben und Zeuge zu werden, wie schlecht sie behandelt wurden, war niederschmetternd.

Ihre Kollegen in Atlanta verloren immer wieder den Kontakt zu Ihnen. Und wenn Sie auf Sendung gingen, wusste man nicht, ob Sie den Tränen näher sind oder dem Wahnsinn.

Ich habe in diesen Tagen so gut wie gar nicht geschlafen. Wahrscheinlich war ich deshalb so aufgewühlt. Aber ich wusste, wie wichtig es war, der Welt diese Bilder zu zeigen. Zu zeigen, dass die Situation immer schlimmer wurde.

Sie stauchten damals nicht nur Michael Brown von der Katastrophenschutzbehörde live vor einem Millionenpublikum zusammen, sondern auch Mary Landrieu, die Senatorin von Lousiana. Bereuen Sie diese Konfrontationen heute?

Nein, kein bisschen. Diese Auseinandersetzungen ergaben sich aus dem Moment heraus. Grundsätzlich sollte man höflich mit Menschen umgehen. Aber ich will echte Fragen stellen.

Als die Senatorin sich bei Präsident Bush für dessen mitfühlende Worte bedankte, fielen Sie ihr ins Wort und sagten, dass neben Ihnen auf der Straße eine Frauenleiche von Ratten zerfressen wurde.

Ich denke, das war meine Pflicht in diesem Moment: wenn sich Politiker gegenseitig auf die Schulter klopfen, darauf hinzuweisen, dass eben nicht alles in Ordnung ist. Sie dazu zu bewegen, die Frage zu beantworten, die man ihnen gestellt hat. Wenn Politiker in ihren Rednermodus verfallen, dann sagen sie nichts. Ich musste die Senatorin aus diesem Modus herausbekommen, denn die Phrasen, die sie da von sich gab, ließen sie auch selbst nicht gut aussehen. Das einzige, was ich daran bereue: es nicht früher getan zu haben.

Sie haben schon vor Katrina über Wirbelstürme berichtet und wollten sich eigentlich gerade aus dem Geschäft der Hurrikan-Livesendungen zurückziehen, als der Sturm New Orleans traf. Würden Sie hinfliegen, wenn so etwas wie Katrina noch einmal passieren würde?

Zum Glück hatten wir seit über einem Jahr keinen gravierenden Hurrikan mehr in den Vereinigten Staaten. Aber wenn es einen gäbe, würde ich sofort wieder darüber berichten. Es ist sehr wichtig, sicherzustellen, dass unsere Regierung aus Katrina gelernt hat. Und der einzige Weg, das zu tun, ist da zu sein, wenn uns der nächste Sturm trifft.

Nach Katrina wurden Sie als ein neues Leitbild gefeiert. So wie Sie soll ein Fernsehjournalist sein: engagiert, involviert, leidenschaftlich. Wie gehen Sie mit diesem Label des „Emo Anchor“ um?

„Emo Anchor“ klingt natürlich toll. Aber ich glaube nicht, dass es der Realität entspricht. Ich bin die am wenigsten emotionale Person, die ich kenne. Okay, in Situationen wie in New Orleans finde ich es schwer, Worte zu finden, und Tränen drücken mir die Kehle zu. Aber gerade in den Nachrichten der US-Kabelsender wird ständig gestritten und geschrien. Das sind doch auch sehr starke Emotionen.

Aber wenn Moderatoren wie Bill O’Reilly sich in ihren Shows erregen, hat das mehr mit Kalkül zu tun.

Ich glaube, es gibt nichts, was die Leute so sehr schockt wie echte Emotionen im Fernsehen zu sehen – anstatt künstlicher Wut. Aber ich denke nicht, dass ich meine Storys noch emotionaler machen muss als sie ohnehin schon sind. Es passieren jeden Tag schreckliche Dinge auf der Welt, und es würde eher schaden als nutzen, wenn ich sie noch zusätzlich emotional aufladen würde. Im Kongo starben in den letzten zehn Jahren 5,5 Millionen Menschen, und so gut wie niemand berichtet darüber. Ich habe dort für ABC eine Reportage über Massenvergewaltigungen gedreht, da musste ich keine Emotionen hinzufügen. Ich muss kein Baby in die Kamera halten, um den Leuten zu Hause zu erklären, wie traurig das hier alles ist. Alles was ich tun muss, ist die Kamera zu schultern, ruhig und besonnen Fragen zu stellen und den Leuten die Zeit zu geben, ihre Geschichte zu erzählen.

Kommen Sie jetzt im Wahlkampftrubel noch dazu, solche Reportagen zu machen?

Ja, weil es wichtig für mich ist. Anfang des Jahres war ich im Kongo für eine Geschichte über die dortigen Massaker. Den Monat davor war ich in Nigeria, um über eine neue Methode zu berichten, mit der man Mangelernährung bei Kindern bekämpfen kann.

In Ihrer Autobiografie schreiben Sie über die Mechanismen der Krisenberichterstattung: Erst sind nur freie Journalisten vor Ort, dann kommen die Nachrichtensender wie CNN …

… und erst, wenn es eine richtig große Geschichte wird, wenn richtig viele Leute sterben, kommen die großen Sender mit ihren Nachrichtenteams.

Wie wichtig ist es für Sie, eine bestimmte Story zu einem frühen Zeitpunkt zu behandeln?

Ich halte es für sehr wichtig, so früh wie möglich in eine Geschichte einzusteigen. Denn meist kommt man nachher nie wieder so nah ans Geschehen ran. Nach einer Weile sind die Dinge wieder mehr unter Kontrolle, und das bedeutet manchmal, dass man als Journalist nicht mehr dorthin darf, wo die spannenden Dinge passieren.

Denken Sie, es ist Ihr Job, Themen zu finden, über die zu wenig berichtet wird?

CNN liegt sehr viel daran, auch aus den entlegensten Winkeln der Erde zu berichten, und zum Glück gibt es dort die entsprechenden finanziellen Mittel. Es ist toll, jemanden hinter sich zu haben, der nie sagt: „Fahr da mal lieber nicht hin, das ist nicht wichtig.“ Sie haben immer gesagt: „Los geht’s!“

Das alte CNN-Credo war stets „Die Nachrichten sind der Star“. Ändert sich das gerade, mit all den Anderson-Cooper-Fanpages?

Es schmeichelt mir, dass sich die Leute für das interessieren, was ich tue. Aber es hilft mir nicht, meine Geschichten besser zu erzählen, bessere Texte zu schreiben. Wenn man anfängt, seine eigenen Fanseiten zu lesen, lenkt einen das nur ab. Man fängt irgendwann an zu glauben, was dort steht, und hat keine Lust mehr, eine strapaziöse Woche im Kongo zu verbringen.

Sie kennen also nicht das Foto der jungen Frau, die sich Ihr Porträt auf die Wade tätowieren ließ?

Doch. So etwas hat nichts mit mir zu tun. Auch wenn ich ein riesiges CNN-Plakat mit meinem Gesicht sehe, sehe ich dort einen anderen. Das ist vermutlich ein ganz schlimmer Fall von Verdrängung. Aber für mich ist es einfacher so. Und ich verzichte dann lieber noch eine Weile auf die Realität.

Interview: Christoph Koch
Erschienen in: Tagesspiegel
Fotos: CNN

Eine kürzere Version dieses Interviews ist bereits auf der Medienseite der Süddeutschen Zeitung erschienen.

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About the Author

About the Author: Christoph Koch ist Journalist (brand eins, GEO, NEON, Wired, GQ, SZ- und ZEIT-Magazin, Süddeutsche, etc.), Autor ("Ich bin dann mal offline" & "Digitale Balance" & "Was, wäre wenn ...?") sowie Moderator und Vortragsredner. Auf Twitter als @christophkoch unterwegs, bei Mastodon @christophkoch@masto.ai .

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