Kumpel oder Kollege? Die Schwierigkeiten der Bürofreundschaft

Written by on 05/07/2008 in Neon with 0 Comments

Der BÜROFREUND verschönert jeden Arbeitsalltag: Er lästert beim Feierabendbier über Vorgesetzte, spielt Streiche mit der Telefonanlage und macht sogar das Kantinenessen erträglich. Aber Vorsicht: Jede Bürofreundschaft birgt Gefahren.

Es ist wieder spät geworden. Als die letzte Mail verschickt ist, sind in den meisten anderen Büros schon die Lichter gelöscht, die Kollegen nach Hause gegangen. Um jetzt noch was zu unternehmen, jemanden anzurufen, ob er heute Abend schon etwas vorhat, ist es eigentlich zu spät. Aber nach Hause gehen ist auch langweilig. Sonst hätte man ja das Gefühl, nur noch für den Job zu leben. Gut dass Fabian auch gerade seinen Rechner runterfährt, wie die Abmeldemelodie seines Computers zwei Türen weiter verrät. »Trinken wir noch ein Bier?« Klar trinken wir noch ein Bier. Mann, war das wieder ein Tag …

Fast jeder – wenn er nicht wie der Autor dieses Textes seine Arbeit unrasiert in einem Unterhemd am heimischen Schreibtisch verrichtet – hat einen Fabian in seinem Leben. Einen Bürokumpel. Einen Office- Buddy oder eine Lieblingskollegin. Der Office-Buddy ist nicht nur derjenige, mit dem man einen angebrochenen Abend in einer Bar zu Ende bringt, die nicht richtig gut ist, aber eben eine Straße neben dem Büro liegt. Er ist auch derjenige, der mittags seinen Kopf durch die Tür streckt und fragt »Kantine?«, und neben den man sich in Meetings oder Konferenzen setzt, um sich in besonders langweiligen Phasen Zettel zu schreiben, auf denen Dinge stehen wie »Geil, wie der Kopf von Steininger im mer nach unten sackt« oder »Wer sagt dem Chef, dass Thomas Gottschalk angerufen hat und seine Klamotten zurück will?«. Während man von vielen anderen Kollegen nicht einmal weiß, in welchem Stadtteil sie wohnen, war man beim Bürokumpel schon ein paarmal zu Besuch und weiß, welche Bilder dort an der Wand hängen, dass er in seiner Freizeit in einer erfolglosen Deutschpunkband namens »Die Böschung« Bass spielt und eine Allergie gegen Erdnüsse hat.

Je nachdem, wie unser Privatleben aussieht und wo eventuell Defizite bestehen, wird der Bürokumpel oder die Lieblingskollegin schnell zum Ersatz für Familie, Freundeskreis oder sogar den Partner. Das ist kein Wunder, schließlich verbringen wir in der Regel mehr Zeit im Büro als mit unserer Verwandtschaft, dem Lebenspartner oder den alten, »echten« Freunden. Die Zeit, neue Freunde außerhalb des Jobs zu finden, wird plötzlich sowieso knapp, wenn man die Welt der Mensen und Unipartys einmal verlassen hat und alle »morgen früh raus müssen «. Warum also nicht das Unvermeidbare mit dem Angenehmen verbinden und sich den neu en besten Freund oder die neue beste Freundin dort suchen, wo man tagtäglich nebeneinander am Kopierer oder an der Kaffeemaschine steht?

Einen Bürokumpel zu haben, spornt außerdem bei der Arbeit an und lässt neue Ideen entstehen, die gemeinsam enthusiastischer verfolgt und umgesetzt werden. Das weiß Tom Rath, Autor des Bestsellers »Vital Friends: The People You Can’t Afford To Live Without« und Leiter der Abteilung Arbeitsplatzforschung des Umfrageinstituts Gallup. Er und sein Team haben herausgefunden, dass Menschen, die einen guten Freund an ihrem Arbeitsplatz haben, siebenmal häufiger »emotional involviert« sind in ihren Job und ihrer Arbeit in der Regel positiver und produktiver gegenüberstehen. Das liegt unter anderem daran, dass zwischen befreundeten Kollegen ganz automatisch funktioniert, was Firmenchefs, Consultants und Motivationstrainer oft vergeblich zu verbessern suchen: die Kommunikation. »Wenn man im Job mit einem guten Freund spricht, dauert es oft nur Sekunden, eine Botschaft rüberzubringen, die man einem Fremden in ein paar Stunden nicht erklären kann«, sagt Rath. »Manche Bürobuddys, denen ich zugehört habe, sprachen in einer Art eigenem Code, den Außen stehende nicht begreifen konnten.« Doch selbst wenn man Produktivitätssteigerung für etwas hält, mit dem sich ausschließlich Unternehmensberater und Geschäftsführer ihre Tage versauen sollen, hat es seine Vorzüge, einen Bürokumpel zu haben. Ob es angenehmere Mittagspausen sind oder Streiche mit der Telefonanlage, Lästern in der Kaffeeküche oder ein Sieg im nachmittäglichen Bürostuhl- Wettrudern – eine Bürofreundschaft lässt uns morgens besser gelaunt zur Arbeit fahren. Sie gibt dem Alltag eine gewisse Leichtigkeit – auf eine ähnliche Weise, wie es ein Büroflirt tut, der das Sonntagabendgrauen mindert und den Montag doch keinen so tristen Tag sein lässt.

Trotzdem sollte man beides nicht ver mischen und sich seinen Office-Buddy lieber in den Reihen des eigenen Geschlechts suchen. Wer seit Monaten in die attraktive Kollegin verknallt ist und glaubt, über den Weg einer Bürofreundschaft irgendwann in deren Schlafzimmer zu landen, handelt sich fast immer eine Enttäuschung ein. Oder ein richterliches Verbot, sich der Kollegin auf weniger als 500 Meter zu nähern – was nur in Firmen mit wirklich großen Gebäuden einigermaßen praktikabel ist. Das Gleiche gilt natürlich umgekehrt: Jemanden zu seinem Bürofreund zu machen, der einen in unbeobachteten Augenblicken träumerisch anschmachtet und jeden zweiten Satz mit »Seit ich wieder Single bin …« anfängt, bringt außer Stress, gebrochenen Herzen und ungemütlichem Schweigen auf lange Sicht auch eher wenig.

Aber gehen wir von einem Office-Buddy aus, der nicht in uns verliebt ist, nicht von der chinesischen Konkurrenz geschickt wurde, um unser Unternehmen auszuspionieren, und mit dem es sich auch sonst ganz gut aushalten lässt. Was spricht also dagegen, so oft wie möglich Zeit miteinander zu verbringen, sich einander auch in privaten Dingen das Herz aus zuschütten und sogar zusammen einen zweiwöchigen Urlaub in Guatemala zu verbringen?

Da ist zum einen das Problem der eingeschränkten Auswahl. Wer das Glück hat, in einer zumindest mittelgroßen Stadt zu arbeiten und keine vollkommen abseitigen Interessen hat, kann seine Freunde in der Regel aus mehreren tausend etwa gleichaltrigen Menschen aussuchen. In den meisten Jobs beschränkt sich die Zahl der Kollegen, mit denen man in derselben Abteilung sitzt oder sonstwie regelmäßig zusammenarbeitet, auf rund zwanzig oder dreißig. Da ist der Gedanke, dass der Bürokumpel nicht unbedingt der Mensch ist, der am allerbesten zu einem passt, sondern eher das kleinste Übel darstellt, nicht ganz abwegig.

Und selbst wenn man das Glück hat, mit so Hammertypen im selben Büro zu arbeiten, wie man sie auch im tollsten Club der Stadt und auf der angenehmsten Party nicht netter treffen könnte, so wird die Freundschaft zu dem oder den Kollegen doch immer von einer Sache überschattet bleiben: dem gemeinsamen Job. So gemütlich das gemeinsame Feierabendbier sein mag, in den meisten Fällen ist es nicht viel mehr als ein verlängertes Arbeiten in zwangloserem Umfeld. Stundenlang wird da noch über das aktuelle Projekt debattiert, an dem man gerade gemeinsam arbeitet, werden Ideen entwickelt und weitergesponnen, Strategien entwickelt und auf Bierdeckel gekritzelt – alles natürlich freiwillig, »ganz entspannt« und natürlich unbezahlt. Vor allem Werbeagenturen bauen häufig mit gemeinsamen Frühstücken und anderen Kumpeleien darauf, die Bande zwischen ihren Angestellten eng zu knüpfen. Dann ist es nicht schlechte Planung, wenn man am Sonntag noch arbeiten muss, sondern ein »Freundschafts dienst« an Bürokumpels, die man nicht hängen lassen will.

Anders sieht die Lage aus, wenn sich die Bürokumpel in einem Job befinden, der beiden so richtig auf die Nerven geht. Dann werden natürlich keine Ideen geschmiedet, sondern Rachepläne.

Dann wird nur darüber diskutiert, wie armselig sich »der Wintrup« mal wie der verhalten hat und wie bekloppt der Vorschlag von »dem Stelzer« in der letzten Sitzung war. Klar, auch Mitschimpfer können wichtig sein. Ein Bürobuddy, auf den man sich im Ellenbogendschungel verlassen kann und mit dem man von oben verordneten Quatsch lachend ertragen kann, statt darüber ein Magengeschwür zu entwickeln, ist in schlechten Zeiten nicht das Dümmste, was einem widerfahren kann. Aber sollte man sich nicht eher überlegen, den Job zu wechseln, der einen so unglücklich macht, anstatt froh darüber zu sein, einen Leidensgenossen gefunden zu haben? Sich gemeinsam jeden zweiten Abend den Frust über den ignoranten Chef, die schlechte Bezahlung oder das sibirische Betriebsklima mit hochprozentigem Alkohol wegzupusten, verschafft zwar kurzfristig gute Laune. An der Situation ändert sich dadurch aber höchstens das Körpergewicht der Beteiligten. Und mit Freundschaft hat solch ein Bund der Unzufriedenen auch nur wenig zu tun.

Nicht weniger problematisch ist es, wenn die Bürofreundschaft zwischen den verschiedenen Hierarchiestufen gepflegt wird. Entgegen anderslautenden Gerüchten sind Chefs auch nur Menschen, und Menschen mögen es nicht, wenn sich etwas ändert. Dem Chef gefällt es also, wenn auch nach Feierabend alle über seine Witze lachen und selbst bei der langweiligsten Anekdote alle andächtig lauschen. Volksnähe fühlt sich immer gut an, und selbst David Brent, Horrorboss der Bürosatire »The Office« sieht sich selbst bekanntlich als »a friend first and a boss second … probably an entertainer third.« Umgekehrt gehen gerade Berufsanfänger, die neu in der Arbeitswelt sind, oft in der Bürokumpelei auf, und schreiben in Mails an ihre alten Unifreunde euphorisch, wie geil es ist, jeden Abend mit dem Chef zu saufen – ohne sich darüber Gedanken zu machen, dass sich Wertschätzung für die Arbeit, die man macht, durchaus auch anders äußern kann.

Grundsätzlich gilt: Während es eine »echte« Freundschaft auszeichnet, dass man in ihr auch mal Schwäche zeigen und zugeben darf, wenn es mal so richtig schlecht läuft, ist das bei einer Bürofreundschaft problematischer. Mit einem Kollegen lässt es sich deutlich leichter zusammenarbeiten, wenn man über ihn nicht weiß, dass seine Freundin ihn zweimal pro Woche wissentlich betrügt, er aber dennoch nicht von ihr loskommt. Und es fällt schwer, die Kollegin ernst zu nehmen, die sich in privaten Gesprächen zu ihrem suchtartigen Konsum von Teletubbies-DVDs bekennt. Doch die Frage ist nicht nur, ob Offenheit in der Bürofreundschaft wünschenswert er scheint, sondern oft auch, ob sie überhaupt möglich ist. Denn viele Themen, bei denen man den Rat guter Freunde dringend gebrauchen kann, kommen im Gespräch mit dem Bürokumpel nicht so richtig gut an. Soll ich mich nach einem neuen Job umsehen / nach einer Gehaltserhöhung fragen / mich auf die Stelle des Abteilungsleiters bewerben? Soll ich schwanger werden / in Therapie gehen / weniger Sex auf Bahnhofstoiletten haben?

Wie gut eine Bürofreundschaft wirklich hält, zeigt sich in der Regel sowieso erst, wenn man den Job wechselt. Manche Bindungen, die man Schreibtisch an Schreibtisch für felsenfest gehalten hätte, schlafen ein, bevor die Probezeit im neuen Job vorbei ist. Andere werden zu einem soliden Ab-und-zu-telefonieren-Verhältnis, in dem man einander um Rat fragen kann, weil der andere die Branche kennt und manche Dinge vielleicht dennoch aus einem anderen interessanten Blickwinkel zu sehen vermag.

Und wieder andere entwickeln sich weiter und werden am Ende zu richtigen Freundschaften. In denen es nicht mehr um Flurfunk und die nächste Weihnachtsfeier geht. Sondern um die wirklich wichtigen Dinge.

Text: Christoph Koch
Erschienen in: NEON

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About the Author

About the Author: Christoph Koch ist Journalist (brand eins, GEO, NEON, Wired, GQ, SZ- und ZEIT-Magazin, Süddeutsche, etc.), Autor ("Ich bin dann mal offline" & "Digitale Balance" & "Was, wäre wenn ...?") sowie Moderator und Vortragsredner. Auf Twitter als @christophkoch unterwegs, bei Mastodon @christophkoch@masto.ai .

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