Geruchsprobe: Charlotte Roche im Interview

Written by on 26/03/2008 in Neon with 1 Comment

Charlotte Roche, ehemalige VivaZwei und ProSieben-Moderatorin, hat ihren ersten Roman geschrieben. Noch nie hat eine deutsche Autorin so explizit über weibliche Exkremente, Analduschen und Spermageschmack geschrieben wie in »Feuchtgebiete«. Warum das nötig sein soll, welche Fehler der Feminismus gemacht hat und was bei der weiblichen Sexualität noch immer grundsätzlich schiefläuft, erklärt Charlotte Roche im Interview.

Der Verlag Kiepenheuer & Witsch hat dein Buch abgelehnt, es war ihm zu pornografisch.

Das ist doch eine großartige Begründung, ein Buch abzulehnen. Besser als: »Schlecht geschrieben. « Nein, im Ernst: Ich habe nach der Absage natürlich gezweifelt. Aber dann habe ich das Buch meinem Mann und Roger Willemsen zum Lesen gegeben. Und die meinten beide: »Okay, Kiepenheuer macht’s nicht. Aber sonst wird’s jeder machen.«

In dem Buch schreibst du unter anderem gegen das verkrampfte Verhältnis von Mädchen zu ihren Exkrementen an. Aber warum in dieser Ausführlichkeit?

Es ist für Mädchen ein massives Problem – vor allem darüber zu reden. Wenn Männer zusammen sind, haben die kein Problem damit zu sagen: »Ich geh mal eben kacken.« Spräche eine Frau so, würden sich alle umdrehen und fragen: »Wie bitte?« Frauen pupsen ja noch nicht mal, wenn sie unter sich sind.Warum ist das so?

Ich bezweifle immer mehr, dass diese ganzen Sachen, mit denen Frauen Probleme haben, von den Männern kommen, wie das der Feminismus gerne behauptet. Entweder sie machen sich die Probleme selber oder sie werden dazu von ihren Müttern erzogen.

Bist du selbst im Gespräch mit deinen Freundinnen denn offener?

Nein, ich rede auch nicht übers Kacken. Das gehört nicht zu einer Frau dazu. Leider. Denn ich glaube, dass sich ein Mensch im Laufe seines Lebens unglaublich viel mit Kacke, Pipi, Blasenvolumen und all diesem Zeug beschäftigt. Das passiert aber nur im Geheimen, noch nicht mal mit dem eigenen Partner redet man darüber. In meinem Buch ist das anders. Helen, die Hauptfigur beschäftigt sich exzessiv damit, für alle zum Nachlesen.

Und warum sollte das jemand lesen?

Das kann ich euch ganz genau sagen: damit die Leute lockerer werden. Das betrifft zum Beispiel die Sache mit den Hämorrhoiden. Frauen kriegen die oft nach der Geburt, viele erben das auch. Ich habe mit vielen Proktologen, also Arschdoktoren, gesprochen. Wenn sie ihre Patienten fragen, ob deren Eltern das auch hatten, bekommen sie stets die gleiche Antwort: »Keine Ahnung.« Das weiß niemand, ob die eigenen Eltern darunter vielleicht auch ein Leben lang gelitten haben. Diese Verklemmtheit gilt für alle Tabustellen am Körper. Wenn es da wehtut, sagt man das niemandem. Und ich denke, dass jedes Da rübersprechen, auch im Witz, dazu führen kann, dass jemand schneller zum Arzt geht. Man ist dann cooler mit Hämorrhoiden.

Helen hat auch Hämorrhoiden.

Ich habe die Hämorrhoiden mit Absicht einem Mädchen drangeheftet, damit ein Mädchen darüber reden muss.

Du hast selbst eine kleine Tochter. Nach welchen Werten erziehst du Polly?

Ich möchte diesen Quatsch von ihr fernhalten, wie ein Mädchen angeblich zu sein hat. Die soll wissen, dass sie mit Puppen spielen darf, wenn sie dazu Lust hat – dass sie aber auch mit Mama dübeln und heimwerken darf. Weil beides Spaß macht und nichts den Jungen vorbehalten sein sollte.

Spinnt Mario Barth, wenn er den immer gleichen Witz über die Unterschiede zwischen Frau und Mann macht?

Dieser Witz kommt ja aus den 50er Jahren. Wenn der über Beziehungen redet, spricht der für mich über meine Großeltern – so sind nicht mal mehr meine Eltern drauf. Und ich frage mich dann, ob das bei dem Publikum zu Hause eben noch so großelternmäßig zugeht oder ob die sich nur darüber kaputtlachen, dass das bei anderen so ist. Ich verstehe das ganze Prinzip nicht.

Oder hat das lachende Publikum insgeheim Sehnsucht nach früher?

Es gibt tatsächlich auch heute noch viele Frauen, die diese uralten Klischees gerne bedienen. Der Mann macht einen lahmen Witz, dass sich seine Frau nur für Schuhe interessiere. Und die sitzt daneben und sagt: »Ja, stimmt! Ich liebe Schuhe. Hahaha«, und gefällt sich tatsächlich in der Rolle.

Diese Frauen- und Männerrollen sind eine rein gesellschaftliche Konstruktion?

Die alte Rollenverteilung ist auf jeden Fall für alle Beteiligten ungesund. Dazu gehört zum Beispiel, dass der Mann wenig mit dem Kind zu tun hat. Dabei sehe ich in meinem Umfeld: Wenn die Männer dürfen, lassen die das Baby überhaupt nicht mehr los. Es ist für die Männer ein großer Gewinn, wenn sie auch weiblich sein dürfen. Umgekehrt genauso.

Was stört dich an weiblicher Sexualität?

Sie ist mir zu passiv. Bei diesem Datingquatsch fängt es an: Da gilt nach den alten Rollenverteilungen immer noch das Gesetz, dass ein Mädchen den Jungen nicht anruft. Und das Prinzip, dass etwas mit einem gemacht wird, setzt sich beim Ausgehen und im Bett fort. Das zweite Problem ist, dass Frauen und Mädchen total reinlich sein müssen. Schrecklich! Das wird genauso amerikanisiert wie die ganzen körperlichen Vorschriften. Mich regt total auf, dass sich junge Mädchen oft komplett rasieren. Da frage ich mich: Sind das die Jungs, die das wollen – oder die Mädchen, die denken, dass die Jungs das wollen könnten? Ich kann das auch nicht sicher sagen, aber ich weiß, dass der Druck sehr groß ist. Mädchen müssen sauber und haarlos sein. Und Männer, die auf Haare stehen, gelten sofort als Freak.

Glaubst du, dass Frauen und Männer den Sex aus dem Fernsehen nachmachen?

Ja. Und das ist besonders schlimm, wenn man keine Pornos kennt, sondern nur kitschigen Sex aus dem Fernsehen. Es hört sich komisch an, wenn eine Frau das sagt, aber ich bin weder für Vorspiele noch für Nachspiele zu haben. Das ist dann immer sehr lustig, wenn sich Männer darüber beschweren. Dem Klischee nach wollen das ja eigentlich die Frauen. Aber ich ziehe mich aus, mache Sex, ziehe mich wieder an und gehe weg. Ich glaube, dass Frauen sich keinen Gefallen tun, wenn sie in Sachen Liebe und Partnerschaft in Klischees denken. Zum Beispiel, dass guter Sex heißen muss, dass ein Mann die Frau erst mit Rosenblättern bestreut, sie sich dann noch ein bisschen ziert und schließlich seinen feurigen Küssen verfällt. So wird Sex aber niemals sein. Sex ist doch viel derber als dieser rosa Kuschelquatsch.

Vielleicht wollen Frauen ja derberen Sex, aber der passt nicht mit ihrem reinen Image zusammen, das sie in Männerköpfen vermuten?

Absolut. Das ist das große Problem der Unterscheidung in Nutten- und Heiligensex. Nutten blasen und lassen sich in den Arsch ficken, Heilige natürlich nicht. Die haben nur ganz normalen Reinstecksex. Am schlimmsten ist, wenn nicht geguckt wird. Deswegen finde ich Pornos gut. Weil sie einem erlauben, Schwänze und Muschis anzugucken. Bei bloßem Reinstecksex sieht man das nicht, sondern nur das Gesicht des anderen, wie die ganze Zeit sonst auch. Dabei glaube ich, dass es Frauen unglaublich befreien würde, wenn sie Nuttensachen machen dürften. Es wäre auch für die Männer viel besser, wenn sie nicht unterscheiden müssten zwischen Sex mit ihrer heiligen Ehefrau oder mit Nutten. Es ist ganz schlimm, wenn man am Anfang der Beziehung vergessen hat, über solche Dinge zu sprechen. Man muss doch sagen können: »Ich glaube, Analsex tut weh – aber wir probieren das einfach mal. Wir können ja auch wieder aufhören.«

Wann soll man denn deiner Meinung nach über so was sprechen? Schon beim Abendessen?

Im Bett finde ich es schwierig, dann ist ja, wenn es doof läuft, alles wieder vorbei. Am besten: beim Abendessen – wenn keine Kinder mit am Tisch sitzen.

Ein anderes ausführliches Thema deines Romans: Körpergerüche. Du hattest ja tatsächlich mal eine Phase, in der du dich nicht mehr gewaschen hast, oder?

Das war in der Pubertät und war für mich eine radikale Art, der Welt meine komplette Ablehnung zu signalisieren. Ich war damals in der Schule und muss wahnsinnig gestunken haben: fettige Haare, krasser Körpergestank und immer die gleichen Klamotten. So eine Art Körpermessie. Aber ich hatte auch da Partnerschaften. Bei denen entschuldige ich mich hiermit.

Heutzutage benutzen Frauen parfümierte Slip – ein lagen und Intimwaschlotionen.

Und die schreien mir laut ins Gesicht: Dein natürlicher Geruch ist ekelhaft! Mit diesen Intimwaschlotionen wurde eine Seife entwickelt, die angeblich den genauen Muschi-PHWert hat, damit da sämtlicher Geruch weggeht. Das bedeutet, dass das natürliche Frausein und alles Weibliche dreckig ist. Das ist doch grauenhaft. Es gibt natürlich diese bescheuerten Fischgeruchwitze aus der Kneipe. Aber zu Hause spielt das nach meiner Erfahrung keine Rolle. Was ist an einer chemisch hergestellten Geruchsnote besser als an dem tollen Muschigeruch? Der ist gut für Sex, und gute Männer stehen darauf. Die stört es nicht, dass eine Frau beim Oralsex nach Muschi riecht, wie sich das gehört.

Und warum glauben Frauen Männern nicht, wenn sie ihnen das sagen?

Frauen glauben einem Mann auch nicht, wenn der sagt: »Dein Körper ist schön.« Frauen haben ein Problem damit, wie sie aussehen, wie sie riechen – mit allem. Je älter ich werde, desto mehr habe ich das Gefühl, dass Frauen sich hassen und sich zu hart rannehmen. Männer sind da lockerer. Ich habe eine Freundin, die sehr schön ist. Die hatte mal einen Freund, der klein, stämmig und blass war. Und der hat sich nackt vor den Spiegel gestellt und gesagt: »Boah, was seh ich wieder geil aus heute!« Meine Freundin hatte dagegen riesige Probleme mit sich, sieht aber aus wie ein Topmodel.

Hätte man als Mann nicht irgendwann auch ein Egoproblem, wenn an jeder Bushaltestelle ein durchtrainierter Typ mit Riesenschwanz als Beautyplakat hängen würde?

Der Vergleich ist gut. Der Penis wird ja in der Öffentlichkeit nicht verglichen wie bei Frauen die Brüste. In Pornos sieht man aber auch Schwänze – meist sogar überdurchschnittlich große – und die meisten Männer sind trotzdem so selbstbewusst, dass sie da drüber hinwegsehen können. Die wurden dazu erzogen, cooler zu sein. Und noch sind sie das.

Erzähl doch mal von deinen Recherchen für das Buch. Das wollen jetzt nämlich alle wissen: Was von dem Schweinkram, über den Charlotte Roche schreibt, hat sie schon selber gemacht.

Ich glaube, dass ich das Buch kaputt machen würde, wenn ich erzählen würde, welche Dinge von mir tatsächlich ausprobiert wurden. Trotzdem kann ich verstehen, dass die Leute das wissen wollen, und natürlich kommen da »echte« Sachen drin vor. Wenn ich gefragt werde, beziffere ich den Wahrheitsgehalt an manchen Tagen mit 25 Prozent und an einem guten Tag vielleicht mit 70 Prozent. Ich weiß, dass Leute biografische Bezüge herstellen werden und dass die Menschen eigentlich nichts anderes interessiert. Davor muss ich mich eben schützen.

Wird deiner Mutter das Buch gefallen?

Ich hoffe inständig, dass sie es nicht liest. Ich würde meinen Eltern am liebsten eine Kreuzfahrt bezahlen, die vier Monate dauert, damit sie den Rummel um das Buch versäumen. Jeder Mensch in Deutschland kann gerne lesen, was ich über Sex schreibe, aber doch bitte nicht mein Vater und meine Mutter. Für mich gibt es zwischen Eltern und Kind eine sexuelle Grenze. So, wie ich nicht will, dass meine Eltern Sex haben – niemand will das doch – sollen die auch nicht überfordert werden mit der Frage, was von dem Sexkram in dem Buch ich schon gemacht habe.

Deine Mutter ist Feministin. Ihr wurdet vor sieben Jahren zusammen für Emma interviewt. Wie glaubst du, gefällt das Buch Alice Schwarzer, deren Haltung ja »Por-No!« ist?

Das Buch ist auf jeden Fall Por-Jaaa! Ich finde es unglaublich plump, Pornografie einfach verbieten zu wollen. Pornografie ist per se nichts Schlechtes. Wie wär’s denn, wenn man Pornografie als etwas betrachtet, bei dem Männer auch was lernen können? Wie man Frauen befriedigt, zum Beispiel. Oder wo Paare gemeinsam was Gutes daraus ziehen können? Pornos sind dazu da, Leute aufzugeilen. Was ist daran schlimm?

Auffällig ist, dass in deinem Buch die Mutter sehr negativ gestaltet ist. Eigentlich wird Helen aber von beiden Eltern alleingelassen. Warum wird vor allem die Mutter so böse gezeigt?

Insgesamt wollte ich da das typische schlimme Mutter-Tochter-Verhältnis zeigen. Dem Vater läuft Helen ja eher hinterher. Der ist gefühlskalt und kann nicht richtig mit ihr sprechen.

Aber die Mutter ist wirklich böse. Was hast du gegen Mütter?

Ich habe nur gegen bestimmte Mütter was. Nicht gegen alle. Wenn ich mit meinen Freundinnen zusammensitze und wir offen miteinander reden, erzählen viele, dass sie eigentlich nette Mütter hatten, dass diese aber viel netter mit den Brüdern umgegangen sind als mit ihnen, den Töchtern. Frauen nehmen ihre Töchter häufig total hart ran. Das hat mit Selbsthass zu tun. Die Mama sagt: Du bist mein Ebenbild, und gibt  ihren Selbsthass an das Kind weiter. Deswegen sind viele Mütter schlecht für ihre Töchter. Die machen denen das Leben schwer. Da fallen während der Pubertät Sätze wie: »Musst du unbedingt so mit dem Arsch wackeln, wenn du gehst?« Die sehen, da wächst etwas Sexuelles heran, und das wird unterdrückt.

Glaubst du überhaupt daran, dass das Modell Vater-Mutter-Kinder funktioniert?

An große Familien glaube ich überhaupt nicht. An eine kleine vielleicht, wenn viel geredet wird. Ich habe die Theorie, dass man spätestens, wenn man ein Kind bekommt, in Therapie gehen sollte. Alle mir bekannten Leute, die eine Therapie gemacht haben, gehen so viel bewusster durchs Leben und verletzen andere weniger. Ich sehe einfach ständig, dass Eltern mit Kindern Scheiße bauen. Auch die Eltern meiner Generation. Was die da für einen Quatsch veranstaltet haben, ist unglaublich. Und dann denke ich, dass die Leute Hilfe brauchen, um bessere Menschen zu sein. Weil man das alleine gar nicht kann.

Interview: Antonia Baum & Christoph Koch
Erschienen in: NEON
Fotos: Dumont Verlag

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About the Author

About the Author: Christoph Koch ist Journalist (brand eins, GEO, NEON, Wired, GQ, SZ- und ZEIT-Magazin, Süddeutsche, etc.), Autor ("Ich bin dann mal offline" & "Digitale Balance" & "Was, wäre wenn ...?") sowie Moderator und Vortragsredner. Auf Twitter als @christophkoch unterwegs, bei Mastodon @christophkoch@masto.ai .

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