Spritzen-Story

Written by on 31/01/2008 in zitty with 0 Comments

Warum wir nicht aufhören können, über Pete Doherty zu reden – obwohl dieser womöglich nur eine Erfindung ist

Die Pete-Doherty-Uhr muss Mitte 2005 ihren Weg in die Redaktionsstuben weltweit gefunden haben. Seither müssen eigens dafür beschäftigte Praktikanten mehrmals am Tag die Zeiger der Uhr so umstellen, dass sie den gegenwärtigen Zustand des Babyshambles-Sängers korrekt wiedergeben: „inhaftiert / nicht inhaftiert“, „von Kate Moss getrennt / mit ihr zusammen“ oder „clean / beim Crackrauchen gefilmt“ – so lauten die unterschiedlichen Parameter, die sich gerne auch mehrmals täglich ändern können. Ein bisschen sieht das Ganze aus, wie die Scheibe, die in altmodischen WG-Küchen anzeigt, wer gerade Spüldienst hat. Redaktionen, die zunächst glaubten, auf eine solche Pete-Doherty-Uhr verzichten zu können, wurden alsbald dadurch bestraft, dass sie den Überblick über die Eskapaden der „Skandalnudel“ (Visions) völlig verloren und ihren Lesern stets veraltete Informationen aus den britischen Boulevardblättern abschrieben.

Doch woher kommt es, dass wir uns alle – vom loyalen Fan Dohertys erster Band Libertines bis zum an Musik völlig Desinteressierten – fesseln lassen vom Schicksal des jungen Mannes mit den traurigen Augen? Nach Neuigkeiten aus seinem Leben zwischen Konzertbühne und Gerichtssaal gieren? Das Geheimnis von Pete Doherty ist, dass er jedem Betrachter eine eigene Projektionsfläche bietet. Der Musikfan kann darüber wehklagen, dass einer der brillantesten Songschreiber der Gegenwart sein Leben den Gulli hinunterspritzt – beziehungsweise von der bösen Presse auf ein amüsantes Drogenwrack-Spektakel reduziert wird. Freunde des Promi-Tratsches können stundenlang darüber philosophieren, was die „Skandalnudel“ (Berliner Morgenpost) und Kate Moss aneinander finden, wer mehr von den gemeinsam gemachten Schlagzeilen profitiert und wer mehr unter der letzten Trennung gelitten hat. Mode-Aficionados diskutieren erregt den Einfluss von Dohertys Stil auf die neue Kollektion von Hedi-Slimane und die Qualität der Designs, die die „Skandalnudel“ (Die Zeit) für das britische Kultlabel Gio-Goi entworfen hat. Und die aufrechten Feinde der Boulevardisierung und Celebrity-Hörigkeit der Medienlandschaft werden geeint in ihrem Hass auf diese „männliche Paris Hilton“, der sie jedes Recht absprechen, überhaupt im Rampenlicht zu stehen: „Der nervt doch nur, dieser Typ“.

Und dann gibt es natürlich noch jene hartgesottenen bis zynischen Beobachter, die sich vornehmlich für das „Phänomen Doherty“ interessieren, es als „Pop- und Medienthema“ analysieren und sich im Weitermailen der kuriosesten Meldungen über die „Skandalnudel“ (Vanity Fair) überbieten. Für diese Spezies war die Sternstunde jener Tag im Januar 2006, als die (brillant ausgedachte) Meldung kursierte, dass das britische Pop-Prankster-Duo The KLF in einer Pressekonferenz erklärt habe, sie hätten sich die Kunstfigur Pete Doherty sowie seine beiden Bands Libertines und Babyshambles ausgedacht – um den größten Medienschwindel in der britischen Geschichte aufzuziehen. Doherty heiße in Wirklichkeit Trevor McDermott und sei den beiden Künstlern vor Jahren als erfolglos durch die Seebäder Cornwalls tingelnder Buddy-Holly-Imitator begegnet. The KLF waren neben Hits wie „What Time Is Love?“ und „3 A.M. Eternal“ vor allem dadurch bekannt wurden, dass sie in einer Kunstaktion eine Million Britische Pfund verbrannten und ein Handbuch darüber verfassten, wie man todsicher einen Nummer-Eins-Hit landet.

In einem vorbereiteten Statement ließen Bill Drummond und Jimmy Cauty (alias The KLF) damals angeblich verlauten, sie haben vor allem die These beweisen wollen, dass „in der so genannten ,Alternativen’ Szene alle zu große Angst davor haben, dass nächste große Ding zu verpassen, um noch auf etwas anderes zu achten“. Es wäre somit einn Kinderspiel gewesen, die Geschichten über legendäre Libertines-Auftritte ebenso zu fingieren wie die Meldung von Dohertys Einbruch bei seinem ehemaligen Bandkollegen und Freund Carl Barat. Lediglich die Affäre mit Kate Moss sei nicht ausgedacht und manipuliert gewesen: „Wir können auch nicht sagen, ob Miss Moss von unserem Hoax wusste, wir standen zu keinem Zeitpunkt in Kontakt mit ihr.“

Erst am Ende des Experiments habe sich McDermont/Doherty von seinen „Erfindern“ losgesagt – und mit den Babyshambles das Album „In Albion“ aufgenommen. „Wir waren schockiert – vom Scheitern unseres Projektes ebenso wie von dem Monster, das wir mit Pete Doherty erschaffen hatten“, erklärten die beiden KLF-Mitglieder dem Internet-Rundbrief zufolge, der den Inhalt der Pressekonferenz wiederzugeben behauptete. Er endete mit der schönen Anekdote, Pete Doherty habe Drummond und Cauty so lange mit rechtlichen Konsequenzen bedroht, bis diese ihm schließlich ein Videoband präsentierten, das ihn als Trevor McDermott bei einem Auftritt im Buddy-Holly-Outfit, „Peggy Sue“ singend, im britischen Devon zeigt.

Zugegeben – ebenso wie die KLF-Pressekonferenz ist auch die Pete-Doherty-Uhr vom Beginn des Textes nur eine Erfindung. Und selbst wenn es sie gäbe, würde sie demnächst vermutlich abgehängt – oder zumindest um eine zweite Uhr ersetzt: Denn die Meldungen über die auftoupierte Soul-Schönheit Amy Winehouse sind inzwischen fast ebenso unübersichtlich geworden. Ob hinter der Karriere dieser „Skandalnudel“ (Die Welt) auch die Pop-Gehirne von KLF stecken, ist jedoch bislang nicht kolportiert worden. Aber in diesem verrückten Internet kann das ja schon morgen anders sein.

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Drei Künstler, die ebenfalls gut von KLF erfunden sein könnten

Right Said Fred

Das glatzköpfige Trio hatte  1992 mit “I’m Too Sexy” einen Riesenhit. Jetzt sind sie als Meister-Proper-Werbefiguren wieder da – und sehen mysteriöserweise um keinen Tag gealtert aus.

Carla Bruni

Ein italienisch-französisches Modell-Schrägstrich-Pirelli-Erbin, die gut singen kann und jetzt auch noch mit dem französischen Premier Sarkozy anbandelt? Also wer bitteschön soll das denn glauben?

Tom Waits

Der stets als oberauthentisch gehandelte Knarzbarde wird ausschließlich von Menschen gehört, die Wert darauf legen, dass Künstler ihre Lieder „selber schreiben“ – ein schwieriges Unterfangen, aber dadurch eine noch größere Herausforderung für Pop-Schwindler wie The KLF.

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Die fünf schönsten Meldungen über Pete Doherty der vergangenen Wochen

Haue

Der Vater von Absturz-Sängerin Amy Winehouse zieht Pete Doherty bei einem ihrer Konzerte im Backstageraum eine Gitarre über den Schädel, da er einen schlechten Eindruck auf seine Tochter wittert.

Ehre

Ex-Beatle Paul McCartney darf sich aussuchen, wer ihn für den britischen Observer interviewen soll – und entscheiden sich für Pete Doherty: „Damit nicht wieder so ein Langweiler kommt“.

Strecke

Pete Doherty kündigt an, beim London-Marathon 2008 mitlaufen zu wollen. Er sei zwar nicht sehr gut in Form, trainiere aber mit großer Freude und seinem ehemaligen Vermieter, dem Marathonläufer Ralph Bernard.

Häme

Als das Publikum dem Animateur der MTV Music Awards nicht so recht in Sachen La-Ola-Welle und Knopfdruck-Klatschen folgen will, entschuldigt sich dieser bei Pete Doherty mit den Worten: „That’s Munich! Is it okay?“ – Doherty bejaht gnädig.

Irre

Der ehemalige Regierungssprecher bezeichnet Berlins Regiernden Bürgermeister Klaus Wowereit als den wahren Hoffnungsträger der SPD. Er vergleicht ihn sogar mit Pete Doherty: „Allerdings ohne Drogen und ohne Hut“.

Text: Christoph Koch

Erschienen in: zitty

Fotos: EMI / Richard Skidmore

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About the Author

About the Author: Christoph Koch ist Journalist (brand eins, GEO, NEON, Wired, GQ, SZ- und ZEIT-Magazin, Süddeutsche, etc.), Autor ("Ich bin dann mal offline" & "Digitale Balance" & "Was, wäre wenn ...?") sowie Moderator und Vortragsredner. Auf Twitter als @christophkoch unterwegs, bei Mastodon @christophkoch@masto.ai .

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