Hard-Fi: „Wir sind alle Stars der Überwachungskamera“

Written by on 17/08/2005 in jetzt.de, Süddeutsche with 0 Comments

Richard Archer, Sänger der britischen Band Hard-Fi, glaubt nicht, das Monitore Verbrechen verhindern können. Ein Interview über staatliche Kontrolle und die Jugend in der Vorstadt.

Die Londoner U-Bahnhöfe sind nach den Bombenanschlägen leerer geworden. Aber sie sind voll mit schwarz-gelben Plakaten, die eine stilisierte Kamera zeigen. Jene Art von Überwachungskamera, die Bilder von den Attentätern lieferte, in die Abendnachrichten, in die Wohnzimmer, in die Köpfe der Londoner. Die schwarz-gelben Plakate werben aber nicht für eine Verstärkung des Überwachungsnetzes, wie es in Deutschland derzeit die Innenminister Schönbohm und Beckstein fordern – sondern für eine CD.

Das Album „Stars of CCTV“ der Band Hard-Fi, das diese Woche erscheint, ist für den Mercury-Preis nominiert und wird bereits als eines der besten Alben des Jahres gehandelt. Ein düsterer Bastard aus The Clash, Gorillaz und einem lokalen Dub-Soundsystem – dazu: Texte über das Leben unter „sozial erschwerten Bedingungen“ und eben Überwachungskameras. Über eine Welt, in der, wie die britische Musikzeitschrift NME schreibt, jeder Geldautomat dauerhaft auf „keine Auszahlung möglich“ gestellt ist – und jeder Schwangerschaftstest auf positiv. Wir haben mit Hard-Fi-Sänger Richard Archer, 28, über das Leben in der Provinz gesprochen und ihn gefragt, ob ein dichtes Netz aus Sicherheitskameras wirklich eine Lösung ist.

Was für ein Ort ist eure Heimatstadt Staines?
Eine Trabantenstadt außerhalb von London, in der Nähe des Flughafens Heathrow. Es ist ein guter Ort, um Kinder aufzuziehen, aber für Leute wie uns ist es die Hölle. Es gibt nichts zu tun. Keine Proberäume, keine Clubs, nicht einmal ein vernünftiger Plattenladen. Man erstickt an der Langeweile.

„Du wachst auf – mit leerer Brieftasche und voller Selbsthass.“

Wie sieht eine normale Samstagnacht in Staines aus?
Um acht gehst du ins „George“, da gibt es billige Drinks. Aber der Laden ist so schlimm, dass du nicht lange bleibst. Dann gehst du ins „Old Town Hall“ und siehst dich nach Mädchen um. Danach ins „Blue Anchor“, das hat eine Stunde länger auf. Am Ende landest du fast immer im „Cheekies“, dem einzigen Club der Stadt, obwohl du dir am Anfang der Nacht noch geschworen hast, diesmal nicht dorthin zu gehen. Es ist fürchterlich. Wenn du nach Hause gehst, wird es schon hell. Du kaufst dir noch ein Kebab. Am nächsten Morgen wachst du mit leerer Brieftasche und voller Selbsthass auf.

Klingt nicht gerade wie eine Musikmetropole. Trotzdem habt ihr eure Platte in Staines aufgenommen.
Wir haben für 300 Pfund eine ehemalige Taxizentrale zum Studio umgebaut. Ein 16 Quadratmeter kleiner Raum, völlig nikotinvergilbt. Wir haben ihn knallrot gestrichen und proben da immer noch. Aber wir können nur abends rein, weil nebenan eine Tierhandlung ist. Die wummern sonst an die Wand, wenn wir tagsüber Lärm machen.

Euer Album heißt „Stars of CCTV“. Kannst du diese Abkürzung kurz erklären?
CCTV steht für Closed Circuit Television, das sind Überwachungskameras. In England hängen die an jeder Ecke. Egal, welche Straße du entlang gehst, du wirst ständig gefilmt. Deshalb sind wir alle Stars der Überwachungskamera – und die Straße ist unsere Bühne.

Hier in Deutschland wird auch gerade darüber diskutiert, mehr von diesen Sicherheitskameras zu installieren. Warum sind sie in England schon so weit verbreitet?
Weil hier niemand gerne Geld ausgibt und es billiger ist, einen Security-Typen zu bezahlen, der 20 Monitore im Auge behält, als 20 Polizeibeamte, die rausgehen und in den Straßen für Sicherheit sorgen und Verbrechen verhindern, bevor sie passieren.

CCTV verhindert deiner Meinung nach keine Verbrechen?
Nein. Du musst nur einen Kapuzenpulli oder eine Baseballmütze tragen, dann erwischt die Kamera nicht dein Gesicht. Außerdem würde ich persönlich es ja vorziehen, überhaupt nicht überfallen zu werden – gegenüber einem Überfall, der von einer Sicherheitskamera gefilmt wird.

Aber sie schaffen ein Gefühl von Sicherheit, oder nicht?
Die Hauptstraße von Staines ist zum Beispiel komplett kameraüberwacht, trotzdem fühle ich mich da kein Stück sicherer, wenn ich Samstagnacht alleine nach Hause gehe.

„Ich würde es vorziehen, gar nicht erst überfallen zu werden.“

Und bei den Terroranschlägen auf Londoner U-Bahn? Glaubst du, dass die Täter dort ohne die Hilfe von CCTV Kameras so schnell gefasst worden wären?
Es hat sicherlich dabei geholfen, sie schneller zu schnappen, gar keine Frage. Aber vielleicht wären sie den Attentätern auch ohne die Kamerabilder auf die Schliche gekommen. Wer weiß? Den Anschlag verhindert haben die Kameras jedenfalls nicht. Ich bin auch gar nicht dagegen, manche Orte, wie zum Beispiel einsame Bahnsteige, mit solchen Kameras zu sichern. Aber müssen sie wirklich an jeder Straßenecke und vor jeder Eingangstür von Clubs und Bars hängen? Ich denke nicht.

Sind Überwachungskameras in einer Stadt wie Staines der einzige Weg, kurzzeitig vor der Kamera zu stehen?
Im Grunde ja. Aber ich glaube, die letzte Person aus Staines, die so etwas wie Kameraberühmtheit erlangt hat, war ein Typ aus der Fernsehsendung „Big Brother“. Obwohl. . ., so berühmt wurde er auch wieder nicht. Ich habe zumindest schon wieder vergessen, wie der Kerl hieß.

Interview: Christoph Koch
Erschienen in: Süddeutsche Zeitung
Fotos: Eastwest/Warner

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About the Author

About the Author: Christoph Koch ist Journalist (brand eins, GEO, NEON, Wired, GQ, SZ- und ZEIT-Magazin, Süddeutsche, etc.), Autor ("Ich bin dann mal offline" & "Digitale Balance" & "Was, wäre wenn ...?") sowie Moderator und Vortragsredner. Auf Twitter als @christophkoch unterwegs, bei Mastodon @christophkoch@masto.ai .

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